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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

603-605

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Townsend, Philippa, and Moulie Vidas [Eds.]

Titel/Untertitel:

Revelation, Literature, and Community in Late Antiquity.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. VIII, 368 S. = Text and Studies in Ancient Judaism, 146. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-150644-4.

Rezensent:

Franz Tóth

Der von Philippa Townsend und Moulie Vidas herausgegebene Sammelband geht auf eine 2007 unter der Leitung der Herausgeber und Peter Schäfer an der Princeton Universität abgehaltene Tagung zurück und erschien schließlich 2011. In 13 Beiträgen beleuchten die Autoren die literarischen und literatursoziologischen Funktionen von Offenbarungen und deren Geltungsanspruch in frühchristlichen, rabbinischen, mittelpersischen und frühislamischen Texten. Der Problemhorizont, unter dem die Themenschwerpunkte des Bandes gestellt werden, ist u. a. die vieldiskutierte Frage nach dem »Aufhören der Prophetie« – eine Vorstellung, die seit der Antike viel diskutiert wurde, kanongeschichtliche Bedeutung erhielt und zur Periodisierung der Geschichte beitrug. Dass diese Frage erneut an Aktualität gewinnt, bezeugt u. a. die Arbeit von L. Stephen Cook (On the Question of the »Cessation of Prophecy« in Ancient Judaism, TSAJ 145), die im gleichen Jahr erschienen ist. Der offenbarungsbasierte Geltungsanspruch antiker Texte, so ein weiterer Leitgedanke des Bandes, hat auch maßgeblichen Einfluss auf Sprache und Stil eines Offenbarungstextes sowie auf die Textualisierungs- und Kanonisierungsprozesse und auf die damit einhergehende Identität der Trägerkreise. Der Band greift also Debatten auf »about rationality, the periodization of history, the distinction be-tween direct experience and literary, the construction of genres, the significance of shifts between inspired persons and inspired texts, and the social location of those for whom divine revelation is claimed« (12). Zwei miteinander verschränkte Themenkreise lassen sich dabei erkennen, die sich durch die Beiträge ziehen: zum einen der Kontrast von göttlicher Offenbarung und menschlichem, literarischem Kunstwerk und zum anderen die Verbindung von Offenbarung und Historiographie.
Diese vielfältigen, gleichwohl in sich zusammenhängenden Aspekte werden in einem forschungsgeschichtlichen Abriss im Einführungsteil von den Herausgebern gebündelt zur Sprache gebracht. Es zeigt sich, dass konventionelle Klassifizierungen von z. B. ›Apokalyptik‹, ›Prophetie‹ und ›Weisheit‹ sowie das Narrativ vom ›Ende der Prophetie‹ in der jüngeren Forschung ebenso grundlegend in Frage gestellt werden wie die Vorstellung von der Erlebnisechtheit in apokalyptischen Texten oder in der Hekhalot-Literatur, deren literarischer Charakter zunehmend in den Blick gerät. Auch das rabbinische Konzept von der mündlichen Tora oder die antiken Orakeldiskurse und das Phänomen frühchristlicher Prophetie werden im Lichte jüngerer Diskussionen um die Lite-rarizität und die Geltungsansprüche göttlicher Offenbarungen neu als Legitimations-, Autorisations- und Machtdiskurse bewertet. Annette Yoshiko Reed diskutiert in einem instruktiven Beitrag (»Pseudepigraphy and/as Prophecy. Continuity and Transformation in the Formation and Reception of Early Enoch Writings«, 25–42) das Wechselspiel von Oralität und Literalität in der Henochliteratur. Reed verweist auf die Prozesse der Textualisierung von Prophetie und göttlicher Offenbarungsworte u. a. am Beispiel der Bücher Ezekiel, Jeremia und dem äthiopischen Henochbuch, deren charakteristisches Merkmal die Figuration der literarischen Selbstbezüglichkeit sei: »Textualized self-referentiality thus serves not only to explain how the book itself came to be but also the account for its later transmission and reception. In the process, even the reader/ hearers of the book are encompassed within its revelatory discourse – as actors in the divine drama of knowledge hidden and proclaimed.« (36) Zugleich seien aber auch gegenläufige Prozesse einer ›Prophetisierung‹ der Henochfigur als Formen von Legitimierungsstrategien zu erkennen (36–42). Unter dem Titel »Prophets, Economics, and the Rise of Man. Some Issues of Authority in Early Christian Tradition« (43–63) untersucht Christine Trevett den sozialen Status christlicher Propheten und den Zusammenhang von Ökonomie und prophetischen Bewegungen im Kontext griechischer-römischer und christlicher Hierarchiediskurse. Pavlos Avlamis, »Isis and the People in the Life of Aesop« (65–101), stellt die herkömmliche Zuschreibung des Äsop-Romans als »Volksliteratur« in Frage, indem er aufzeigt, dass der Trägerkreis des Werkes eher einer gehobenen, literarisch gebildeten Schicht zuzuordnen ist – die mirakulösen Motive in der erzählten Welt sind dementsprechend Ausdruck »of a literate individual’s double vision of everyday life created through the twin prisms of the great and little traditions« (101). In »Revelation as the Path to Ignorance. The Sethian Platonizing Apocalypse Allogenes« (103–115) verweist John D. Turner auf die Verschränkung von apokalyptischen Vorstellungen bzw. Himmelsreisen und platonischer Metaphysik in der gnostischen Schrift Allogenes. Funktion des Werkes sei »not so much a technique as a spiritual possibility, a model by which its recipients might emulate Allogenes by way of imagination rather than by the replication of a revealed technique« (111). Nach Gregory Shaw (»The Soul’s Innate Gnosis of the Gods. Revelation in Iamblichean Theurgy«, 117–129) hat der theurgische Platonismus des Jamblichus den Zweck, »to preserve a tradition rooted in revelations that unite us with the gods« (123). Im theurgischen Ritual als Offenbarungsgeschehen vollziehe sich diese Einheit in paradoxen Parametern: »we become divine only by remaining human, immortal only by remaining mortal« (125). Daniel L. Schwartz analysiert unter dem Titel »Keeping Secrets and Making Christians. Catechesis and the Revelation of the Christian Mysteries« (131–151) die rhetorische Funktion altchristlicher Arkandisziplin. Schwartz versteht die Rhetorik des Geheimen als performativen Akt im Dienste von Hierarchisierungs- und Autorisationsdiskursen. Eduard Iricinschi (»Tam pretiosi codices vestri. Hebrew Scriptures and Persian Books in Augustine’s Anti-Manichaean Writings«, 153–176) stellt die These auf, »that Augustine employed a Manichaean conception of religious books to defend the inclusion of the Hebrew Scriptures in the biblical canon from the Manichaean contestation« (175). Mit den folgenden zwei Beiträgen kommen sodann jüdische Forschungsperspektiven zu rabbinischen Schriften in den Blick. Assan Yadin-IsraelRabbi Aqiva. Midrash and the Site of Revelation«, 177–216) skizziert zwei um die Person Rabbi Aqibas kreisende Traditionen. Danach verbinden sich mit seinem Namen ebenso umfassende halachische Toradeutungen und Auslegungsmethoden wie mystische Überlieferungen, was freilich das Narrativ vom Ende der Prophetie nochmals verkompliziert. Martha Himmelfarb (»Revelation and Rabbinization in Sefer Zerubbabbel and Sefer Eliyyahu«, 217–236) hingegen bietet eine vergleichende Diskussion zweier, klassisch als Apokalypsen bezeichneter, aus jüdischem Milieu stammender Schriften aus dem 7. Jh. n. Chr., des Sefer Zerubbabel und der hebräischen Apokalypse des Elia (Sefer Elijjahu), die auf je unterschiedliche Weise apokalyptische und rabbinische Traditionen verarbeiten. Yuhan Sohrab-Dinshaw Vevaina (»Miscegenation, ›Mixture,‹ and ›Mixed Iron‹. The Hermeneutics, Historiography, and Cultural Poesis of the ›Four Ages‹ in Zoroastrianism«, 237–269) fragt in einem materialreichen Beitrag nach literatursoziologischen und rhetorischen Funktionen apokalyptischer Texte wie Dēnkard 9 und Zand ī Wahman Yash (Bahman Yašt) in der mittelpersischen Pahlavi-Literatur, in denen die an Dan 2 erinnernden Metallzeitalter thematisiert werden. Mit dem Beitrag von Michael E. Pregill, »Ahab, Bar Kokhba, Muḥammad, and the Lying Spirit. Prophetic Discourse before and after the Rise of Islam« (271–313), der die spätantiken Prophetiediskurse im Zusammenhang mit dem prophetischen Auftreten Mohammeds untersucht, ist das Feld der islamischen Studien betreten. Forschungsperspektivisch empfiehlt Pregill »a fully integrated, synoptic account of prophecy in late Antiquity … to evaluate the diverse oracular, prophetic, messianic, and sectarian phenomena of the period, before and after the rise of Islam, alongside the normative statements found in contemporary theological and philosophical sources from the Jewish, Christian, and Muslim communities« (313). Der abschließende Beitrag von Patricia Crone (»Angels versus Humans as Messengers of God. The View of the Qur’ānic Pagans«, 315–336) zeichnet die Dispute zwischen Mohammed und seinen Gegnern um die Legitimität von Prophetie und Offenbarung nach. Crone zeigt auf, wie sich anhand dieser Debatten Rückschlüsse auf das prophetische Selbstverständnis Mohammeds ziehen lassen.
Der Sammelband bietet einen breitgefächerten, luzide und materialreich bearbeiteten Zugang zum komplexen Themenfeld von Offenbarungsdiskursen in antiken und spätantiken Texten und deren Funktion zur Konstruktion von religiösen Identitäten, Gemeinschafen und Texten. Anzumerken ist die zum Teil schmale Berücksichtigung der einschlägigen deutschsprachigen Fachliteratur – so vermisst man z. B. die kenntnisreiche Studie von Marco Frenschkowski, Offenbarung und Epiphanie. Bd. 1: Grundlagen des spätantiken und frühchristlichen Offenbarungsglaubens, WUNT 79, Tübingen 1995. Der künftigen Forschung ist mit diesem Band gleichwohl ein informativer wie inspirierender Beitrag an die Hand gegeben.