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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

601-603

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kleinert, Ulfrid

Titel/Untertitel:

Das Rätsel der Königin von Saba. Geschichte und Mythos.

Verlag:

Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2014. 207 S. m. zahlr. Abb. u. 1 Kt. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-8053-4713-6.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Die Königin von Saba – die in der arabischen Tradition den Namen Bilqis und in der äthiopischen den Namen Makeda trägt – gehört zu den schillerndsten Figuren des biblisch-orientalischen Sagenkreises. Nach ihrem großen Auftritt in 1Kön 10 wird sie in Lk 11,31/ Mt 12,42 noch einmal kurz als »die Königin vom Süden« erinnert. Ihre große Karriere beginnt im äthiopischen Nationalepos »Kebra Nagast« (13. Jh.), wo sie zur Hauptfigur avanciert. Unterdessen beschäftigt sie die Phantasie der jüdischen Midraschim und Targumim, tritt in die mittelalterliche Legende ein, spielt eine tragende Rolle in der »Geschichte des Kreuzesholzes«, wird als Expertin für verschlüsselte Weisheit in Anspruch genommen, erobert sich einen Platz in der gotischen Kathedralplastik und taucht überall da auf, wo man der geheimnisvollen Weisheit des Orients be­darf. Von Rätseln ist sie allemal umgeben – sei es, dass ihre Herkunft und Eigenart im Bereich der Andeutungen verbleiben, sei es, dass sie selbst zur Beteiligten eines märchenhaften Rätselwettstreites wird.
Von jeher hat sich deshalb die Königin von Saba bei Exegeten großer Beliebtheit erfreut. Dabei erscheint sie geradezu als Symbolfigur jener vielfältigen Vernetzungen, mit denen die biblische Geschichte in ihre jeweilige kulturelle Welt eingebunden ist. Diesen Vernetzungen geht der Band von Ulfrid Kleinert kenntnisreich nach. Er entfaltet ein breites und buntes Spektrum an Text- und Bildtraditionen, in denen die Wanderungen der Königin als einer faszinierenden Erzählfigur anschaulich sichtbar werden.
Den Ausgangspunkt stellt im ersten Kapitel eine Analyse von 1Kön 10 – der biblischen Grunderzählung – dar, die in fünf Beobachtungen vor allem die Fortschreibungen und Modifikationen des Textes zwischen dem 8. und 4. Jh. v. Chr. darstellt. Zugleich werden alle Spuren, die das Land »Saba« ansonsten in der alttestamentlichen Überlieferung hinterlassen hat, sorgfältig aufgenommen und verfolgt. So entsteht das Bild einer volkstümlichen Erzählung, in der zwei Linien zusammenfinden: zum einen erfährt die Weisheit des Königs Salomo eine zunehmende Idealisierung; zum anderen wird das ferne, reiche Saba zu Israel in Beziehung gesetzt und letztlich als Platzhalter einer künftigen Völkerwallfahrt zum Zion aufgebaut.
Nach einem Exkurs, der die Deutung des Liebespaares im »Hohenlied« auf Salomo und die Königin von Saba behandelt, nimmt das zweite Kapitel die kurzen Anspielungen im Neuen Testament in den Blick. Als ein provozierendes Vorbild wird die Königin dabei im Munde Jesu »diesem Geschlecht« vorgehalten. Dass sie auch in Mt 2 als Analogie zu den Magiern aus dem Osten fungieren könnte, ist jedoch sehr viel mehr ein Phänomen der Rezeptionsgeschichte als des Textes selbst.
Bunt und vielfältig wird es im dritten Kapitel, denn – »die Ge­schichte verzweigt sich«. Anhand von 13 Beispielen aus der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition entsteht nun ein eindrucksvolles Bild von der Allgegenwart der Königin selbst in weit auseinander liegenden Literaturbereichen, von der Wandlungsfähigkeit ihrer Figur und von der Verlockung der biblischen Leerstellen. Der Rundgang beginnt bei 1. Josephus und seinem Bericht über die Königin »Nikaule«, geht weiter 2. zum »Testament Salomos« und der jüdisch-christlichen Dämonologie, 3. zu Sure 27 im Koran und 4. der Erzählung im Targum Scheni, verbreitet sich 5. bei den religionsübergreifenden Geschichten eines Rätselwettstreites mit der Königin als Hauptfigur, beschäftigt sich 6. auf der Basis des »Alphabetes des Ben Sira« mit den Bezügen zwischen der Königin von Saba und Lilith, der ersten Frau Adams, würdigt 7. die islamischen Überlieferungen um die Königin »Bilqis«, inspiziert 8. am Beispiel des Freiberger Doms die Funktion der Königin in der Kathedralplastik und 9. am Beispiel der Bibelfenster im Kölner Dom ihr typologisches Potential, behandelt 10. ihre Rolle in der Legende vom Kreuzesholz, kommt schließlich 11. mit dem äthiopischen Nationalepos um die Königin »Makeda« und ihren von Salomo gezeugten Sohn »Menelik« zum prominentesten und politisch wirksamsten Teil der Rezeptionsgeschichte, gefolgt von einem Exkurs über die Geschicke der Bundeslade, um schließlich 12. mit persischen Miniaturen zu dem königlichen Liebespaar und 13. einem Ausblick auf die Vermarktung des Stoffes in der Traumfabrik Hollywood zu schließen. Die Königin tritt dabei endgültig aus der Ecke einer vermeintlichen Nebenrolle heraus und erweist sich als Figur von internationalem Rang und religionsverbindendem Charakter.
Sehr behutsam nimmt dann das vierte Kapitel noch einmal die archäologischen Spuren der Sabäer im Jemen und in Nordäthiopien auf, die in einer kurzen Einführung am Beginn schon angedeutet waren.
Das fünfte Kapitel zieht schließlich ein Fazit und fragt, »was drei Religionen verbindet und was sie unterscheidet, aber nicht trennt, und warum nicht alle Rätsel gelöst sind«. Das ist eine große Frage, die letztlich an das Publikum dieses anregenden Buches weitergereicht wird. Die Geschichte einer Begegnung mit dem Fremden – faszinierend, gefährlich, verlockend, herausfordernd – geht weiter. »Schreiben wir unsere eigene …« (152), so endet das Buch.
Diese Aufforderung hat verschiedene Aspekte. Zum einen lässt sich die umfangreiche Materialsammlung zum Ausgangspunkt nehmen, der Figur der Königin weiter nachzugehen. Das lohnt sich vor allem hinsichtlich der Überlieferungen zu ihrem Rätselwettkampf mit Salomo. Denn die hier behandelten Texte sind nur die Spitze eines Eisberges, der sich an seiner Basis mit der persischen Geschichte der Prinzessin Turandot berührt. Auch die Frage nach einer theologischen Domestizierung der Königin, die 1955 von Jean Daniélou in seinem berühmten Buch über die »Heiligen Heiden« angeregt worden ist, verdient es, weiter verfolgt zu werden. Zum anderen zielt dieses Fallbeispiel einer Begegnung der Religionen und Kulturen, die produktiv wird und beide Seiten verändert – mit allen ihren Abgründigkeiten und Asymmetrien – auf die Herausforderungen unserer globalisierten Welt, in der das Fremde erneut als das Bedrohliche und Faszinierende zugleich erscheint und zur Auseinandersetzung nötigt. Im Munde Jesu wird die Königin immerhin zum (ärgerlichen) Vorbild für jene, die sich den Zeichen der Zeit verschließen.
Das Buch ist hervorragend ausgestattet. Man nimmt es mit Lust zur Hand. Ein ästhetisch anspruchsvolles Layout, grau unterlegte Exkurse, eingefügte Zierleisten, vor allem aber farbige Reproduktionen von gediegener Qualität machen die Lektüre zu einem Genuss. Von der ersten bis zur letzten Seite steht die Lesefreundlichkeit im Vordergrund: zwischen Inhaltsverzeichnis und Vorwort begegnet man schon einmal einer Übersetzung von 1Kön 10 in strukturierter Gestalt; eingefügte Bildbeschreibungen ergänzen den Text; ein Anhang präsentiert acht der zuvor behandelten Textdokumente vollständig und in modernen, gut lesbaren Übersetzungen; ein Literaturverzeichnis bietet die wichtigsten Informationen für weiterführende Interessen; Anmerkungen, von denen der Haupttext entlastet ist, finden sich am Schluss.
Dem Vf. ist mit diesem Band eine Darstellung großer biblischer Zusammenhänge und deren verzweigter Rezeptionswege gelungen – in einer Kombination aus wissenschaftlich solider Recherche und belletristischem Lesevergnügen. Von den vielen populären Titeln, die sich bisher schon der Königin von Saba gewidmet haben, hebt sich dieses Buch durch seinen seriösen, theologisch versierten Blick auf die breit gestreute Überlieferung wohltuend ab.
Wer sich mit außerbiblischen Traditionen zu biblischen Erzählfiguren beschäftigt und dabei in andere, gelegentlich weit entfernt liegende religiöse und kulturelle Kontexte gerät, treibt kein Allotria. Für unser Verständnis der biblischen Überlieferung ist dieser Horizont elementar und unerlässlich.