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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

568-571

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Habermas, Rebekka, u. Richard Hölzl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mission global.Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert.

Verlag:

Wien u. a.: Böhlau Verlag 2014. 348 S. m. Abb. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-412-22203-1.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Dieser Sammelband geht zurück auf eine Tagung im Herbst 2011 in Göttingen. Ein Großteil der dort gehaltenen Referate hat in überarbeiteter Form Eingang in das vorzustellende Buch gefunden. Das Ziel des Buches, so die Herausgeber, sei es, »Mission als Teil einer ›entangled history‹ sichtbar zu machen«. Dabei stünden nach Aussage der Herausgeber folgende Fragen im Mittelpunkt:
»Welche Rolle spielt Religion bei der Herstellung von Räumen des Kontakts und der Abgrenzung im Prozess der Globalisierung? Welchen Einfluss hatten religiöse Akteure, wie Missionarinnen und Missionare, für die Ausbildung europäischer Resonanzräume des Cultural Encounter? In welchen transnationalen und -regionalen Netzwerken agierten Missionare und Missionarinnen und wie funktionierten diese? Welche Formen des kulturellen (ökonomischen und politischen) Transfers etablierten sie? Dahinter steht die These, dass die Geschichte des kulturellen Kontakts im 19. und 20. Jh. neu bewertet werden muss, wenn man erstens die Rolle der christlichen Mission mit einbezieht und zweitens die Ebene der Akteure und Akteurinnen wie der konkreten Orte kultureller Begegnung fokussiert.« (11)
Um die Fragen zu der Verflechtungsgeschichte der christlichen Mission in Übersee (früher oftmals als Interaktion bezeichnet) be­antworten zu können, versuchen die Herausgeber eine kritische Sichtung der Forschungsergebnisse vorzunehmen. Wenngleich dieser Überblick als weitgehend gelungen und einige Anregungen vermittelnd bezeichnet werden kann, fällt dem Missionshistoriker doch eine Reihe von Lücken in der ausgewerteten Literatur auf. So fehlen weitgehend die Arbeiten, die zur außereuropäischen Chris­tentumsgeschichte in der von Klaus Koschorke herausgegebenen Reihe »Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte«, sowie die Bände, die in der Reihe »Missionsgeschichtliches Archiv« erschienen sind und seit Jahren die relevanten Forschungen mitbestimmen.
Das ist bedauerlich, sind doch so Chancen vergeben worden, eine allumfassende Bestandsaufnahme der missionsgeschichtlichen Forschungen der letzten Jahre zu präsentieren.
Im Anschluss an die Einführung werden 13 Beiträge präsentiert, die in vier Komplexe untergliedert sind. Zunächst untersucht Katja Füllberg-Stollberg westindische Konvertiten, die Mitte des 19. Jh.s von der Basler Mission aus Jamaika nach dem heutigen Ghana geschickt worden waren. Die gerade von ihrem Sklavenstatus be­freiten »afrikastämmigen« Christen unterstützten die europäische Missionierung der afrikanischen Bevölkerung in ihrer neuen Heimat. Offiziell wurde dieses Projekt nach einigen Jahren von der Missionsleitung als gescheitert betrachtet, jedoch hatte es weitreichende kirchenpolitische Folgen, so bei der Entstehung von einheimischen unabhängigen Kirchen.
Sklaverei und Emanzipation bei katholischen Frauen- und Männerorden in der frankophonen Karibik stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Ulrike Schmieder. Sie macht in ihrem Beitrag deutlich, dass die verschiedenen Orden unterschiedliche Positionen zur Abschaffung der Sklaverei bezogen.
Dem Streit um Englisch als Unterrichtsfach in lutherischen Missionsschulen Südafrikas in der Zeit von etwa 1895 bis 1910 ist der Aufsatz von Kirsten Rüther gewidmet. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stehen die Berliner sowie die Hermannsburger Missionsgesellschaften. Es gelingt Rüther, einige bislang recht wenig be­leuchtete Fakten und Prozesse der Tätigkeit deutscher Missionare auf pädagogischem Gebiet herauszuarbeiten. Nicht gefolgt werden kann hingegen der Schlussfolgerung von Rüther, dass die Berliner Mis­sionare im südafrikanischen Transvaal als Feudalherren aufgetreten seien (96). Insgesamt fasst Rüther in ihren komprimierten Ausführungen einige Ergebnisse ihrer Forschungen zur südafrika-nischen Missionsgeschichte zusammen und legt dennoch einige wichtige Ergebnisse zur missionarischen Schulgeschichte vor.
Katharina Stornig konzentriert sich in ihrem Beitrag über »Geschlecht, Religion und Differenz in der Missionspraxis deutscher Ordensfrauen im kolonialen Togo (1896–1918)« auf die Steyler Schwestern, die in der kleinsten deutschen Kolonie in Afrika um die Jahrhundertwende mehrere Niederlassungen eröffneten. Sie arbeitet heraus, dass zwar die Intentionen des Ordensgründers nicht zu realisieren waren, jedoch durch die Zusammenarbeit zwischen einheimischen Frauen und den Ordensschwestern einige Afrikanerinnen Fähigkeiten in der Schulbildung und Krankenpflege gewannen. Die Herausgeber kommen bei der Vorstellung dieses Aufsatzes zu der folgenden Schlussfolgerung: »Damit aber beanspruchten sie für sich eine mit höchster Dignität ausgestaltete Lebensform, die der Katholizismus in seinen feinen rassistischen Unterscheidungen nur für Europäerinnen vorgesehen hatte« (18).
Welchen Beitrag Kaiserwerther Diakonissen zur Entstehung und »Zirkulation« von Wissen aus ihrem Arbeitsfeld in Beirut leis­teten, untersucht Julia Hauser. Drei weitere Beiträge – erfreulicherweise alle von afrikanischen Wissenschaftlern – befassen sich mit dem Transfer von Wissen. Gilbert Dotsé Yigbe analysiert den Beitrag von afrikanischen Mitarbeitern und Helfern europäischer Missionsgesellschaften, vor allem der Norddeutschen Missionsgesellschaft, zur Entstehung einer verschriftlichten Kultur in Deutsch-Togo. Die Rolle, die einige Ewe-Christen in Würt-temberg im Kultur- und Wissenstransfer zwischen Westafrika und Deutschland in den Jahren 1884 bis 1939 gespielt haben, zeichnet Kokou Azamede nach. Der Kameruner Germanist Albert Gouaffo unterzieht eine Novelle des »Urwald-Doktors« und »Ärzte-Missionars« Heinrich Norden unter dem Gesichtspunkt von dessen Form der Schilderung des Wissenstransfers einer interessanten Analyse.
Innovativ sind auch die Ausführungen von Judith Becker, die untersucht, wie sich englische und deutsche protestantische Missionare im 19. Jh. zwischen Afrika und Europa verorteten, wie sie sich als »Europäer« oder Angehörige einer Nation oder als Christen selbst thematisierten und wie sie insbesondere Afrika als ihre neue Heimat in der Kommunikation mit ihren Missionsleitungen verbalisierten.
Katholische Kinderbücher und -zeitschriften, Theaterstücke, Bild- und Werbematerial aus der ersten Hälfte des 20. Jh.s untersucht Richard Hölzl unter einem emotionengeschichtlichen An­satz. Er stellt fest, dass es eine breite, spezifisch für Kinder konzipierte Anzahl von Formen missionarischer Publikationen gegeben hat, die zur Herstellung neuer, transnational wirkender emotionaler Bindungen beitrugen.
Abschließend widmet sich Kathrin Langewisch der sozialen Herkunft und dem Wirken afrikanischer katholischer Ordensfrauen in kolonialen, aber auch in postkolonialen Zeiten. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt auf der Herausbildung von missionarischen Beziehungsnetzwerken in Burkina Faso. Roman Loimeier stellt die missionarischen Dynamiken im religiösen Wettbewerb in Tansania im 20. Jh. in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Am Beispiel der Muslim Bible Preaches in Dar es Salaam zeigt er auf, wie neue muslimische Missionsvereinigungen in den 1990er Jahren auf die Missionserfolge christlicher Pfingstkirchen in Ostafrika reagierten.
Insgesamt gesehen bietet der Sammelband ein breit gefächertes Angebot von neuesten missionsgeschichtlichen Forschungsergebnissen, die belegen, welchen Beitrag diese zur Global- oder Verflechtungsgeschichte leisten.
Die beim Lesen der Beiträge offensichtlich werdende Heterogenität versuchen die beiden Herausgeber in der Einleitung nicht zu definieren, sondern diese eher durch theoretische Konstrukte zu verbinden. Das mutet zuweilen etwas weit hergeholt an. Dennoch, dies sei ausdrücklich betont, werden hier wichtige Arbeiten zur Diskussion gestellt, die in Zukunft Bestand haben werden und für weiter- und tiefgehende Analysen zu den hier behandelten Themen der Missions- und Globalgeschichte wichtige Informationen liefern.