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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

565-567

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Carman, John B., and Chilkuri Vasantha Rao

Titel/Untertitel:

Christians in South Indian Villages, 1959–2009. Decline and Revival in Telangana.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2014. XVI, 242 S. = Studies in the History of Christian Missions. Kart. US$ 35,00. ISBN 978-0-8028-7163-3.

Rezensent:

Klaus Roeber

Das Buch erläutert eine im Jahr 1968 veröffentlichte Studie und reflektiert die entstandenen Beziehungen christlicher Dörfer des Bundesstaates Andhra Prades im Kontext zur Hindu-Kultur. Das Ergebnis wurde 2009 wiederum untersucht und findet sich im Titel des Buches: Niedergang und Aufstieg des religiösen Lebens in Telangana. Eigentlich ist es eine Spezialstudie zur Kirchen- und Missionsgeschichte, die sich dem gesellschaftlichen Kontext und den geistigen Entwicklungen des nachkolonialen Indien verpflichtet weiß. Es wird aufgezeigt, wie unter der neu gewonnenen Freiheit seit 1947 und mit der demokratischen Verfassung seit 1950 sich die Gemeinden und Dörfer der in ihnen waltenden geistigen Kräfte bewusst werden. Mit dem Buch verbindet sich eine perspekti-vische Ansage für die Zukunft, in der die verbindenden und heilenden Kräfte der religiösen Bewegungen zur Geltung kommen. Christen und Hindu, die als Harijans, Outcasts, Dalit und Unberührbare stigmatisiert sind, solidarisieren sich im Namen ihrer Religion für ein ihrem göttlichen Ursprung entsprechendes würdiges und selbstbestimmtes Zusammenleben.
Die Aufbruchstimmung der 1950er Jahre auf dem Subkontinent begünstigte innerhalb des kolonial belasteten Systems der Church of South India (CSI) das Entstehen ›unabhängiger Kirchen‹, auch die lastende Kastenordnung Indiens verlor durch emanzipatorische Bewegungen im Hinduismus an Schärfe. Diese Entwicklung vollzog sich in der Region um Hyderabad in der Medak-Diözese un-ter Christen, Hindus in Andhra Pradesh. Mit Neugestaltung der Wohn- und Lebenswelten unter Christen und Hindus, die sich gegenüber dem diskriminierenden Kontext der Gesellschaft und beunruhigten Vertretern der jeweiligen Religionen behaupten, wurden Wege zur Überwindung der entwürdigenden Zustände beschritten. An den Untersuchungen beteiligten sich acht Pastoren der Church of South India (CSI), die die ermutigenden Veränderungen in Kirche und Gesellschaft und vor allem die Begegnung mit unabhängigen Gemeinden und spirituellen Bewegungen unter Christen und Hindus begleiteten. In den Bericht und Verlauf der Studie sind Beobachtungen zur Kirchengeschichte, zur Religionsgeschichte sowie zur Sozialgeschichte eingearbeitet.
Diese interdisziplinäre Vorgehensweise gewährleisten die Hochschullehrer John. B. Carman von der Havard Divinity School und Chilkuri Vasantha Rao, seinerzeit Principal des Andhra Chris­tian Theological College (ACTC) in Hyderabad. Beide Autoren und deren Einrichtungen fördern Lehrangebote mit interkultureller und interkonfessioneller Thematik, und so entspricht auch die Veröffentlichung der Ergebnisse den Anliegen der Havard Divinity School, Center for Studies of World Religions, sowie des interkonfessionellen Andhra Christian Theological College in Hyderabad. Die Autoren haben R. E. Frykenberg und P. D. Wiebe zu Beiträgen aus religionssoziologischer, sozialwissenschaftlicher und historischer Perspektive gewonnen. Als erfahrene Hochschullehrer haben sie mit methodisch didaktischer Erfahrung den Inhalt des Buches und seine Botschaft gestaltet.
Das einleitende Kapitel (XI–XVI) beschreibt die Fragestellungen, Probleme und benennt die Mitarbeitenden der Studie, die als Beitrag zu einer von Indern geschriebenen Kirchengeschichte angesehen werden kann.
Es folgt ein erster Teil (Kapitel 1–5), der die Christentumsgeschichte in Südindien anhand der Mitgliedskirchen der CSI, die Geschichte der hinduistischen Bewegungen in den Kontext der politischen und gesellschaftlichen Bewegungen stellt, die zur Un­abhängigkeit Indiens führten.
Der zweite Teil (Kapitel 6–12) stellt die religiösen Entwicklungen dar, die aufgrund der politischen Unabhängigkeit Indiens, begünstigt durch die demokratische Verfassung, einsetzten und zur Bildung unabhängiger Kirchen und deren Annäherung an das hinduistisch geprägte Brauchtum erleichterten. Gleichzeitig nä­herte sich die Frömmigkeit der Hindus den christlichen Ausdrucksformen. Miteinander entdeckten sie die heilenden Kräfte spiritueller Begegnungen, die durch die Macht des christlichen Betens und die Kraft hingebungsvoller Meditation geweckt wurden. Die Veränderung führte zur Neubesinnung auf Bekennen und neuer Erfahrung mit Bekehrung. Mit den aufkommenden Formen spiritueller Unabhängigkeit und sozialer Befreiung in neuen Ge­meinschaftsformen erfuhren auch neue Führungspersönlichkeiten ihre Berufung. Sie lassen sich schwer den kirchlichen Amtsträgern noch der Führungselite Indiens zuordnen. Das weckt den Argwohn der Religionsbeamten und der Hüter der gesellschaftlichen Ordnung.
Ein abschließendes Kapitel eröffnet den Blick auf die Möglichkeiten, wie die etablierte CSI und die administrative Gesellschaftspolitik auf das religiöse Selbstbewusstsein in Gemeinden und den Dalit-Dörfern reagieren könnten – und doch eigentlich auch sollten.
Die Autoren sind überzeugt, dass unter dem Gesichtspunkt der universalen Gemeinschaft aller Menschen in verschiedenen Formen ihrer Spiritualität nun die heilenden Kräfte für den Einzelnen und für die Gesellschaft wahrgenommen werden als die »powerful presence of Jesus, the healer« (13). Dieser Botschaft des Buches entsprechend sind drei Predigten dokumentiert. Auch wird die Authentizität des Werkes bestätigt mit Fotos und Landkarten von den Orten des Geschehens. Dem Leser wird das Zurechtfinden im interkulturellen Kontext durch ein Glossar erleichtert. Während das Stichwortverzeichnis selektiv gehalten bleibt, ist die Bibliographie umfangreich angelegt und richtet sich auf das weitergehende Interesse in Missionswissenschaft, Ökumenik und Religionswissenschaft als Schrittmacher für eine ökumenisch-interkulturelle Theologie. Dies hat in Indien eine Tradition und je eigene Ge­schichte.
Die in der Studie beobachteten regionalen und genuin indischen Entwicklungen in Südindien lassen sich durchaus im Horizont der Weltgeschichte des Christentums verbinden, nachdem die 3. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1961 in Neu Delhi die Integration des Internationalen Missionsrates beschlossen hatte. Derzeit begann das Selbstverständnis der Missionstheologie sich als Interkulturelle Theologie zu öffnen. Dennoch stand die Frage nach der Einheit der Kirche im Vordergrund. Jedoch 50 Jahre nach Neu Delhi wird die 7. Vollversammlung des ÖRK und eine neue Missionserklärung vorbereitet. Die Vorarbeiten dafür fanden zur Zeit der Entstehung des Buches statt und wurden 2013 in Busan/Südkorea angenommen. Darin wird erklärt, dass sich die Kirche in Gottes Mission angesichts der globalen lebensbedrohlichen Entwicklungen für die Lebenswelt der Menschen einsetzt. Nicht die Einheit der Kirche allein, sondern die Botschaft ist die Gemeinschaft der Geschöpfe Gottes durch seinen lebenspendenden Geist. Im Licht der Lebenszusagen in den Religionen kommt es nun darauf an, gemeinsam die Abkehr von Todesmächten zur Quelle des Lebens transformierend zu gestalten.
Aus dieser Perspektive ist das vorliegende Werk zu würdigen nicht nur als ein genuin indischer Beitrag zur Geschichte der Kirchen in Indien, sondern generell als Ermutigung für die ökumenische Bewegung in ihrer Begegnung mit den Weltreligionen.