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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

942–944

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Zimmermann-Acklin, Markus

Titel/Untertitel:

Euthanasie. Eine theologisch-ethische Untersuchung.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Freiburg-Wien: Herder 1997. 489 S. gr.8 = Studien zur theologischen Ethik, 79. Kart. DM 98,-. ISBN 3-7278-1148-X u. 3-451-26554-0.

Rezensent:

Michael Quante

Die vorliegende Untersuchung ist eine an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg im Jahre 1997 angenommene Dissertation, die sich der Frage nach den verschiedenen Formen der Euthanasie auf einer theologischen Basis in ethischer Perspektive zuwendet. Der Anspruch von Zimmermann-Acklin ist dabei nicht nur, "eine Vermittlung zwischen der angelsächsischen und der kontinentalen Diskussion zu suchen" (14), sondern auch, philosophische und theologische Argumente in einen konstruktiven Diskurs zu bringen. Aufgrund dieses Anspruches wird das Problem der Euthanasie auch nicht von der fundamentalen Frage her angegangen, ob das Selbstbestimmungsrecht der Person überhaupt ein Recht auf Selbsttötung oder gar einen Anspruch auf aktive Euthanasie einschließt. Allerdings kommt dieser Problematik im Kontext der Erörterung solcher Argumente, die auf der Prämisse der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens beruhen, durchaus auch Bedeutung zu.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile, von denen der erste der "Begriffs- und Ideengeschichte der Euthanasie" (19) mit dem Ziel gewidmet ist, einen Definitionsvorschlag zu unterbreiten, der im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen brauchbar ist. Nach historisch umfangreicher Darstellung des Begriffsgebrauchs (Kap. 1) schlägt Z.-A. (in Kap. 2) für die weitere Untersuchung vor, unter Euthanasie "den Akt des Tötens oder Sterbenlassens eines schwer Leidenden oder Sterbenden durch einen anderen Menschen" zu verstehen, "der stets das Wohl des Sterbenden bezwecken muß" (157). Dabei geht der Autor davon aus, daß sich dieser Akt durch erläuternde Adjektive wie "aktiv", "passiv", "direkt", "indirekt", "freiwillig", "nichtfreiwillig" und "unfreiwillig" für den Gang der ethischen Erörterung weiter "sinnvoll präzisiert" (157) werden kann.

Der ethischen Relevanz dieser Qualifizierungen ist der zweite Teil der Untersuchung gewidmet, der die "grundlegenden Denkfiguren der aktuellen Euthanasiediskussion" (159) analysiert und auf ihre moralische und deskriptive Tragfähigkeit hin untersucht: Das Prinzip der Heiligkeit des Lebens (Kap. 3), die moralische Relevanz der Aktiv-Passiv-Unterscheidung (Kap. 4), die Bedeutung der Direkt-Indirekt-Unterscheidung (Kap. 5) und die Begründungskraft von sogenannten "slippery-slope-Argumenten" (Kap. 6). Mit Bezug auf die Lehre von der Heiligkeit des (menschlichen) Lebens kommt die vorliegende Untersuchung zu dem Resultat, daß kaum Möglichkeiten einer Verständigung zwischen philosophischen Positionen, die eine säkulare Ethik und Anthropologie vertreten, und solchen theologischen oder philosophischen Positionen, die einem christlichen Ideenhintergrund verpflichtet sind, gegeben sind (225 f.).

An dieser Stelle schafft es der Autor, der argumentativen Sackgasse durch den Nachweis zu entgehen, daß auch unter der Voraussetzung eines schöpfungstheologischen Hintergrundes konkrete Handlungsnormen erst gewonnen werden können, wenn man sich den anderen Unterscheidungen zuwendet. Dies ist mit dem Zugeständnis verbunden, daß sich auch innerhalb eines solchen theologischen Rahmens keine kategorischen Einwände gegen alle Formen der Euthanasie begründen lassen. Die Erörterung der moralischen "Signifikanz der Aktiv-Passiv-Unterscheidung" (280) bringt dann zutage, daß diese Differenzierung höchstens dann einen ethischen Unterschied markiert, wenn man moralpragmatische und -psychologische Aspekte hinzuzieht. Ob diese für sich allein aber den Unterschied zwischen erlaubten und verbotenen Handlungen begründen können, bleibt fraglich.

Z.-A.s Erörterung der ethischen Tragfähigkeit der Direkt-Indirekt-Unterscheidung läßt zum einen das Problem deutlich werden, daß diese Differenzierung je nach vorausgesetzter ethischer Theorie (deontologisch versus konsequentialistisch) schon unterschiedliches Gewicht erhält. Zum anderen zeigt sie auch, daß diese Perspektive allein nicht ausreicht, um alle moralisch relevanten Facetten des Euthanasieproblems in den Blick zu bekommen. Aufgrund der "Arztzentriertheit dieses Ansatzes" (350) wird es in diesem Rahmen sehr problematisch, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten als moralisch relevante Größe adäquat zu erfassen. In seiner Diskussion der in der Literatur vielfach, um nicht zu sagen, inflationär, gebrauchten slippery-slope-Argumente zieht der Autor das Fazit, daß solche Argumente nur dazu dienen können, die Beweislasten umzukehren (415). Dennoch trägt Z.-A. im vierten Teil dieses Kapitels ebenfalls ein solches Argument vor, indem er die empirischen Daten aus den Niederlanden als Beleg dafür heranzieht, daß sich in der Praxis eine Trennung von freiwillig aktiver und nichtfreiwillig aktiver Euthanasie nicht durchhalten läßt (416). Darin sieht er, und hier wird - gleichsam als Auftakt zum dritten Teil - erstmals in dieser Untersuchung rhetorisches und emotionalisierendes ,schweres Geschütz’ aufgefahren, eine "Gefährdung des menschlichen Zusammenlebens in einer Gesellschaft" (417).

Der dritte Teil der Untersuchung ist dann insgesamt der Sinndimension des guten Lebens und guten Sterbens gewidmet. Hier werden die aus der Diskussion bekannten Denkfiguren des "das Leiden gehört zum Leben" und "Leiden macht Leben erst sinnvoll" als mögliche ethische Interpretationsmaximen vorgeschlagen, mittels derer dem Drang nach individueller Selbstbestimmung zugunsten der Fügung in ein religiös verstandenes Geschehen widersprochen werden kann.

Auch wenn dieses abschließende Kapitel den primär philosophisch orientierten Leser etwas zu irritieren in der Lage ist, kann doch festgehalten werden, daß es Z.-A. in seinem gesamten Buch in überzeugender Weise gelingt, eine offene, informative und begrifflich klare Analyse von Positionen innerhalb und außerhalb der Philosophie zu präsentieren. Letztlich hängt zwar auch sein komplexes slippery-slope-Argument und seine Gewichtung der pro- und contra-Argumente in den einzelnen Kapiteln von seiner im letzten Kapitel angedeuteten theologischen Argumentationsbasis ab. Und vielleicht unterschätzt er auch die Unvereinbarkeiten, die sich daraus schon für die Erörterung der genauen ethischen Relevanz der von ihm diskutierten Unterscheidungen und die ethische Bewertung der Erfahrungen in den Niederlanden ergeben.

Insgesamt aber kann man Z.-A.s Buch (auch als Philosoph) mit großem Gewinn lesen. Außerdem muß man ihm dazu gratulieren, daß es ihm gelungen ist, eine sachliche, bedenkenswerte und differenzierte theologische Erörterung des Euthanasieproblems vorgelegt zu haben, die geeignet ist, der vorschnellen Aburteilung dieser Option als Irrationalismus und Dogmatismus ein gewichtiges Argument entgegenzusetzen.