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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

563-565

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd, u. Michael Domsgen[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 256 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 57. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03878-7.

Rezensent:

Fritz Lienhard

Das Buch übernimmt Beiträge zu einem Symposium im Vorgriff auf den 60. Geburtstag von C. Grethlein, und befasst sich besonders mit seiner 2012 erschienenen Praktischen Theologie. Nach einem ausführlichen Vorwort nehmen die Verfasser zu besonderen Aspekten dieses Werkes Stellung:
W. Engemann, »Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie« (15–32); B. Kirchmeier, »Drei Kommunikationsmodi – eine Funktion? Erwägungen zum Zweck der Kommunikation des Evangeliums« (33–48); S. Vollberg, »Evangelium als Kommunikation. Ansichten und Aussichten des Web 2.0« (49–60); W. Gräb, »Kommunikation des Evangeliums. Religionstheologische Ansichten und Anfragen« (61–74); M. Domsgen, »Kommunikation des Evangeliums – Perspektiven der Lebensbegleitung« (75–85); M. Saß, »Zwischen Partizipation und Distanzspielräumen. Kommunikation des Evangeliums in der Perspektive der Lebensbegleitung« (87–99); M. Meyer-Blanck, »Gebildete Routine. Das Evangelium in der pastoralen Berufspraxis« (101–110); L. Friedrichs, »Ein Amt für andere und mit anderen. Pastoraltheologische Impulse der Praktischen Theologie Christian Grethleins« (111–126); J. Hermelink, »Kritik und Konflikt. Die praktisch-theologische Wahrnehmung ehrenamtlichen Handelns als Präzisierung von »Kommunikation des Evangeliums« (127–139); B. Schröder, »Das Priestertum aller getauften und die Assistenz der Kirche. Überlegungen zur Neuformatierung der Praktischen Theologie im Anschluss an Christian Grethleins Praktische Theologie« (141–160); P. Schmidt-Leukel, »Kommunikation des Evangeliums in der interreligiösen Begegnung. Anmerkungen zu Christian Grethleins kommunikationstheoretischer Theologie aus religionstheologisch pluralistischer Perspektive« (161–184); K. Richter, »Liturgie als Kommunikation des Evangeliums. Ein ökumenischer Blick aus Sicht des katholischen Liturgiewissenschaftlers« (185–200); C. Lück, »‹Ich hoffe, dass man auch im Himmel Fußball spielen kann!‹ Kommunikation des Evangeliums im Umfeld des modernen Fußballs« (201–229); J. Grethlein, »Das Erzählen in der Kommunikation des Evangeliums. Ein literaturwissenschaftlicher Blick auf Christian Grethleins Praktische Theologie« (231–246).
Im Rahmen dieser Rezension werden wir uns darauf beschränken, einige Gesichtspunkte hervorzuheben.
Beim Motiv der »Kommunikation des Evangeliums« geht es um die Vielfalt der Kommunikationsformen und die dialogische Gestalt der Kommunikation. Im Bereich der Social Media z. B. ist die aktive Teilnahme heute zentral – im Gegensatz zum Fernsehen (Vollberg, 57). So wird auch das Evangelium durch Feiern, Lehren und Helfen kommuniziert, und nicht lediglich in verbaler Form. Evangelium identifiziert sich mit dem christlichen Grundimpuls, wie er durch das Wirken und Geschick Jesu gegeben wurde. Das Interesse von diesem Fokus auf die Kommunikation des Evangeliums liegt auch darin, sich für humanwissenschaftliche, empirische Einsichten zu öffnen. Die Überlegung wird außerdem nicht allein auf den Pfarrberuf konzentriert, sondern für andere Berufe und ehrenamtliche bzw. familiäre Tätigkeit erweitert. Zudem wird der Erkenntnis von Dalferth Rechnung getragen: Evangeliumsvermittlung ist eher pragmatisch als semantisch orientiert (so auch J. Grethlein, 201). Anders gesagt, das Evangelium lässt sich nicht zuerst material und historisch fixieren und dann kommunizieren. Der Vorgang des Kommunizierens steht konstitutiv in Wechselwirkung mit dem Gehalt des Evangeliums. »Evangelium« bezeichnet zunächst den Vollzug der Kommunikation (Vorwort, 8 ff. und Kirchmeier, 41 ff.; Saß 88 ff.), und erst dann einen »Stoff«.
Auf diese Weise geht es im Evangelium um Glauben, als eine Art, sich als Mensch zum eigenen Menschsein zu verhalten, und es geht um Subjektwerdung. Dialog ist der Modus und das Ziel der Kommunikation des Evangeliums, selbst wenn er im konkreten Vollzug im Hintergrund bleibt. In diesem Sinne wird dann auch der Dienst am Wort verstanden, als lebensdienliche Interpretation der biblischen Überlieferung, jenseits binnenkirchlicher Sachverhalte. Selbst Exorzismus lässt sich so verstehen (Richter, 193 f.). Engemann erwähnt Motive wie Würde, Freiheit, Zuwendung, positives Lebensgefühl, Hingabe und Gelassenheit (Engemann, 16–20; 27 ff.). In eine ähnliche Richtung geht Domsgens Vorschlag des Begriffes »empowerment« (Domsgen, 83).
Die Subjekte der Kommunikation bleiben im Hintergrund. Das wird Grethlein vorgeworfen. Das »bluthafte Subjekt« komme zu we­nig in den Blick (so auch Schmidt-Leukel 163). Der getaufte Christ solle im Fokus sein. Themen wie verfasste Kirche oder Religion seien in diesem Ansatz integriert. Lebensführung und Lebensdeutung einzelner rückten in den Vordergrund. In dieser Hinsicht seien alle Getauften Kommunizierende des Evangeliums. So sei praktische Theologie »als Theorie der Wahrnehmung des Priestertums aller Ge­tauften zu formulieren« (Schröder, 145–157). Folgende Anmerkung ist jedoch anzuführen: Man muss sich zum Thema »Subjekt« verständigen. Von dem souveränen, kritischen Subjekt der Moderne ist Abschied zu nehmen, und das intendiert auch Grethlein. Subjektivität kann auch als Innerlichkeit verstanden werden. Dabei ist das Subjekt immer schon eingebunden in die ihm vorausgehende Kommunikation und reagiert auf sie in Wechselwirkung. So kann das Subjekt in einem Ansatz der Kommunikation des Evangeliums thematisch neu gewonnen werden, zugleich als Empfänger und Sender dieser Kommunikation (Kirchmeier, 37–45).
Andererseits unterscheidet sich der Ansatz der Kommunikation des Evangeliums von einer religionstheoretischen Grundierung der praktischen Theologie. Es wird keine allgemeine Religiosität angenommen, sondern eine bestimmte Religion ist Gegenstand der praktischen Theologie und die Kommunikation des Evange-liums vollzieht sich nicht nur auf religiöse Weise. Für Gräb dagegen bietet der Religionsbegriff die Chance, die universalen Weiten menschlicher Lebenswirklichkeit mit einer spezifisch theologischen Fragestellung zu verbinden. »Kommunikation« ist zu weit und »Evangelium« zu eng. Gräb lehnt Offenbarungstheologie ab. Dabei lässt sich der Ausdruck »Kommunikation des Evangeliums« auf religionstheoretischer Grundlage einholen, als Fall der religiösen Kommunikation im Allgemeinen. Der Deutungsprozess ist dabei unerlässlich, und schließt Deutung von Religion und Kultur ein (Gräb, 63–70).
In der Praxis erweist sich die Interaktion zwischen Feiern, Lehren und Helfen als fruchtbar. Das gilt für die Gestaltung der Konfirmandenzeit, um aus dem Paradigma der Schule herauszukommen (Sass 92 f.). Genauso lässt sich die ästhetische Dimension des Feierns erweitern, jenseits eines rein intellektuellen Verstehens. Kommunikation ist dabei zeichenhaft zu verstehen und schließt die religiöse Dimension ein. In der Semiose muss Religion ihre Evidenz ständig neu erweisen, und andererseits gründet ihre Mitteilung auf verfestigten Evidenzen bzw. auf vorausgehenden Konstitutionsbedingungen. So ist das Evangelium »die zeichenhafte Gestaltwerdung des Christentums«. Solch ein Verständnis befreit von der Überforderung der »Authentizität«. Kommunikation in Seelsorge, Liturgie und Predigt schließt »gebildete Routine« ein (Meyer-Blanck 102–110).
Kommunikation des Evangeliums ist nicht auf verfasste Kirche beschränkt, sondern vollzieht sich auch in Familie, Schule, Diakonie und Medien. Genauso lassen sich die drei Kommunikationsmodi bei Grethlein mit der Konvivenz ergänzen. Dabei ist die Kirche kein Selbstzweck, sondern sie dient der Unterstützung der Kommunikation des Evangeliums in den anderen Sozialformen (Schröder 143ff; 158). Der Verweis auf Jesu Grundimpuls unterscheidet Evangelium und Kirche. Genauso führt Grethleins Ansatz zu einer Perspektivenerweiterung, in dem »Tätigkeiten, Akteure und Orte« auftauchen, die klassischerweise dem Blick entgehen. In den Widerständen zum ehrenamtlichen Handeln offenbart sich die Relevanz von Grethleins Anliegen, »den Theorieprimat der Amts-¬ oder Organisationskirche nachhaltig zu relativieren« (Hermelink 130). Dabei hat das Ehrenamt in der Neuzeit immer einen Protestcharakter gegen die vorfindliche Kirche. Dadurch lassen sich viele Konflikte als Spannung zwischen kirchlicher Organisation und christlicher Gemeinschaft verstehen. So kritisiert Hermelink Grethlein, da er die Praxis des kirchlichen Handelns auf die Gruppe und die Ortsgemeinde beschränke. Er vermutet, dass diese Einschränkung des Blickwinkels an der Bestimmung des christlichen Grundimpulses beim Verständnis des Evangeliums liege. Mit Jesus geht es um die unmittelbare Begegnung, die persönliche Beziehung und den konkreten Kontext. Jedoch braucht das freiwillige Handeln die Organisation (Hermelink 129–139).
Zu einer Zeit, in der »Kommunikation des Evangeliums« in der Praktischen Theologie droht, zum Schlagwort zu werden, ist dieses Buch willkommen. Durch den Dialog mit besonders einflussreichen und relevanten Kollegen zeigt es auch die Relevanz von Grethleins Denken. Die Einwände der Kollegen gelten allen, die sich diesen Ansatz aneignen und führen so den Dialog vertiefend weiter. So werden Konturen, Grenzen und Herausforderungen des Ansatzes klarer, z.B. die christologische und ekklesiologische Grundlegung betreffend. Dabei werfen die Kollegen oft Grethlein vor, dass er nicht sei wie sie. Aber gerade die Vielfalt in der Praktischen Theologie kommt als Reichtum in diesem Buch zur Geltung, das so auch ein wichtiger Beleg der aktuellen Diskussion ist.