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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

557-559

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Nord, Ilona, u. Swantje Luthe [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Social Media, christliche Religiosität und Kirche. Studien zur Praktischen Theologie mit religionspädagogischem Schwerpunkt.

Verlag:

Jena: Garamond Verlag (Edition Treskeia) 2014. 444 S. m. Abb. = Populäre Kultur und Theologie, 14. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-944830-30-8.

Rezensent:

Birgit Weyel

Dieser Band versammelt Beiträge zum Thema Religion im Web 2.0, die in Zusammenhang mit der Jahrestagung des Arbeitskreises Populäre Kultur und Religion (AK POP) aus dem Jahr 2013 entstanden sind. Dabei handelt es sich nicht nur um Vorträge, die dort gehalten wurden, sondern auch um kleinere Beiträge, die für die Publikation ausgearbeitet wurden. Ein breites Spektrum an Phänomenen wird den Leserinnen und Lesern vorgestellt und theoretische Anschlussstellen an Theologie und Kirche gesucht. Dabei steht, wie der Untertitel des Buches anzeigt, die Religionspädagogik als Bezugsdisziplin im Vordergrund, da vor allem für junge Menschen die Mediennutzung (Social Media) eine wichtige Rolle spielt. Dem AK POP kommt wieder einmal das Verdienst zu, popkulturelle Phänomene ins Blickfeld theologischer Reflexion zu rücken. Die Beiträge sind, obwohl sie sehr unterschiedliche Phänomene bearbeiten, auf der Schnittstelle von Social Media, christlicher Religiosität und Kirche angesiedelt. Tatsächlich gibt es zu diesem Themenkomplex erst in jüngster Zeit theologische Arbeiten, die sich dem Medienwandel widmen.
In ihrer Einleitung stellt Ilona Nord die paradigmatische Bedeutung des Themas heraus. Mit Social Media als Sammelbegriff für verschiedene kommunikative Phänomene im Internet verbinde sich »eine Transformation der Wahrnehmung gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, die mindestens während des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts maßgeblich als von Individualisierungsprozessen gekennzeichnet gesehen worden ist.« (11) Denn, so die These, mit Social Media verbinde sich eine »Selbstkorrektur« (ebd.) der Individualisierungsprozesse, indem Social Media Gelegenheiten bieten, »den Bedürfnissen nach sozialen Kontakten in ›neuerer‹, selbstbestimmterer Zeit und Raum überwindender, com­putergestützter Form nachzugehen.« (12) Netzwerke als spezifische, auf der interaktionellen Mesoebene angesiedelte Sozialitätsformen treten in den Vordergrund. Dass damit das Verhältnis von Individuum und Organisation bzw. Institution Kirche betroffen ist, liegt auf der Hand. Nord gelingt es in ihrer Einleitung, Theorieperspektiven in den Blick zu rücken, die sich mit der Themenstellung verbinden. Die insgesamt 21 Beiträge können nicht im Einzelnen dargestellt werden, sondern nur einzelne exemplarisch vorgestellt werden.
Die Beiträge sind in fünf Rubriken gruppiert. Zwei Beiträge (Joan Kristin Bleicher und Stefan Stumpp/Daniel Michelis) sind »Medienwissenschaftlichen Perspektiven« gewidmet. Bleichers Bei­trag bildet den Auftakt, indem sie Einblicke in die Theorie der Social Media gibt, die Geschichte sozialer Netzwerke rekonstruiert, ihre ökonomische Bedeutung erhellt und die kommunikativen Wandlungsprozesse konzeptualisiert. Sie hebt in diesem Zusammenhang insbesondere die »zunehmende Aufhebung der Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit« (43) hervor.
Die zweite Rubrik thematisiert Verhältnisbestimmungen von Religion und Social Media unter der Überschrift »zum Verhältnis von Religion und Medien aus der Perspektive Evangelischer Theologie«. Manfred L. Pirners Beitrag ist im Sinne einer Grundlegung zu verstehen, in der die lebensweltliche Einbettung von Medien hervorgehoben wird. Religion und Religiosität sind immer schon intensiv beeinflusst durch Medialität. Religion ist aber auch ein »Bedingungs- und Einflussfaktor von Medienkultur und Mediensoziali-sation« (67). Schließlich ist in der Praktischen Theologie diskutiert worden, den Mediengebrauch als solchen in eine religiöse bzw. religionstheoretische Deutungsperspektive zu rücken. Dass die Me­diennutzung in einem engen Zusammenhang mit der religiösen Sozialisation steht, kann unterstrichen werden, auch wenn die Be­deutung der Familie und peer-groups nicht zu vernachlässigen ist.
Der dritte Teil bietet »Erkundungsgänge zum Verständnis von christlicher Religiosität im Feld von Social Media«. Exemplarisch tragen die Beiträge durch ihre sorgfältige Wahrnehmung einzelner Phänomene wie beispielsweise dem Blog einer sterbenskranken Jugendlichen (Ilona Nord), der Facebook-Seite Glaubensimpulse sowie Gottesdiensten in Second Life (Kristin Merle) oder der Wahrnehmung virtueller Welten im Kinofilm (Hans Martin Gutmann) dazu bei, Religion bzw. Religiosität im Netz zu konturieren. Die Frage der Identität, des Identitätsmanagements bzw. der Hybridisierung von Identität rückt in den Vordergrund. So Merle: »Insofern bildet das Internet für religiöse Deutungsvollzüge nicht ein alienum, gar etwas Abständiges: Der Cyberspace als ernst zu nehmender Interaktionsraum moderner Subjekte kann eher verstanden werden als Erfahrungskontext, der inkorporiert wird in alltäglich stattfindende Prozesse der Selbst- und Weltdeutung«. (141 f.)
Nach den grundsätzlicheren Themen behandeln die folgenden Teile konkrete Anwendungen der Social Media. Der vierte Teil »Social media in religionspädagogischer und religionsdidaktischer Perspektive« bietet Beiträge zum Thema Cybermobbing (Ilona Nord) und Social Media (Jens Palkowitsch) als Themen im Religionsunterricht. Ingo Reuter rückt die Aspekte Kommunikation, Selbstprä-sen­tation und Heimat am Beispiel von Facebook in eine religionspädagogische Perspektive. Bernadette Jehle und Michael Penzold diskutieren Konzepte und Praktiken der »didaktischen Dienstbarmachung« (300) des Web 2.0 und bieten religionsdidaktische Anregungen, die sich einer kreativen Aneignung empfehlen. Das fünfte und letzte Kapitel »Social Media in der Perspektive von Pfarramt und Kirche« führt die Erkundungsgänge weiter. Praxis- bzw. Handlungsfelder der Praktischen Theologie, die angesprochen werden, sind die Kasualtheorie (Swantje Luthe: Social Media und ihre Relevanz für die Kasualtheorie. Eine Case-Study im Feld der Sepulkralkulturen, sowie Simon Eckhardt: Hochzeit und Be­stattung – Passagerituale in MMORGPG) und die Seelsorge (Carmen Berger-Zell: Trauerleibsorge in Social Media). Drei weitere Beiträge fragen nach dem publizistischen Nutzen des Mediengebrauchs in der Kirche (Lars Haren/Anna Heidenreich/Lisa Carstensen: Sinn und Unsinn von Social Media im Feld von Kirche, Ralf Peter Reimann/Matthias Jung: Social Media aus der Perspektive des Berufsfelds Pfarramt: Diesseits und jenseits der Parochie, sowie Antje Schrupp: Inside – aus der Perspektive einer Bloggerin und evangelischen Publizistin).
Ilona Nord und Swantje Luthe ist es sehr gut gelungen, die unterschiedlichen Beiträge zu dem weiten Themenfeld so zu gliedern, dass sich der Leserin eine Struktur erschließt. Eher grundlegende und weitere Theorieperspektiven stehen am Anfang. Theoriebildungen am Beispiel empirischer Erkundungen bilden ein wichtiges Mittelstück, weil sie methodische Anregungen und Konkretionen für weitere Analysen bieten. Schließlich wird auch zur Auseinandersetzung mit konkreten Erfahrungen eingeladen und Beispiele für den Mediengebrauch in Schule und Kirche werden vorgestellt. Das Buch bietet vielseitige Theorieperspektiven aus Theologie und Medienwissenschaften, bündelt (erste) Forschungsergebnisse und bietet (erste) Reflexionsperspektiven für ein wandlungsintensives Feld, dessen Bedeutung für die religiöse Kommunikation kaum zu überschätzen ist.