Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

546-547

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Linzey, Andrew

Titel/Untertitel:

Why Animal Suffering Matters. Philosophy, Theology, and Practical Ethics.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2013. 224 S. Kart. US$ 23,95. ISBN 978-0-19-935184-8.

Rezensent:

Anne Käfer

Andrew Linzey, Direktor des Oxford Centre for Animal Ethics und Mitglied der Theologischen Fakultät der Universität Oxford, veröffentlichte bereits 1976, in dem Jahr, in dem Peter Singer mit »Animal Liberation« zum ersten Mal auf Probleme der Tierethik aufmerksam machte, ebenfalls seine erste tierethische Publikation »Animal Rights: A Christian Assessment«. Im Gegensatz zu Singer vertritt L. keinen utilitaristischen Ansatz, sondern basiert seine ethischen Ausführungen auf dem Boden christlicher Glaubenseinsichten. Gegen Singer hält L. fest, dass es nicht bestimmte Fähigkeiten (z. B.: Selbstbewusstsein) seien, derentwegen das Leiden eines Lebewesens verhindert werden müsse. Vielmehr verlange gerade ein hohes Maß an Unfähigkeit und Verwundbarkeit besondere Sorgsamkeit. Tiere wie Kinder seien mit besonderer Fürsorge zu bedenken, weil sie nicht fähig seien, dem Umgang mit ihnen zuzustimmen, weil sie ihre eigenen Interessen nicht kundgeben und sich selbst kaum verteidigen können.
Als Motivation für die Veröffentlichung seiner Antworten auf die Frage, warum das Leiden von Tieren dem Menschen nicht gleichgültig sein kann, gibt L. eine gewisse Enttäuschung darüber an, dass in der gegenwärtig erbittert geführten Tierdebatte konsequente Gedankengänge untergingen. Ebensolche legt L. in den beiden Teilen seines Buches in überaus klarer und pointierter Argumentation dar.
Im ersten Teil argumentiert er in Auseinandersetzung mit philosophischen Ideen und der christlichen Tradition. Hierbei hält er fest, dass neben anderen Augustin die Rationalität des Menschen als dasjenige Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier hervorgehoben habe, das die Annahme stützen solle, der Schöpfer habe dem Menschen die Tiere zu dessen selbstbezogener Benutzung unterworfen.
Nach L. rechtfertigen jedoch Vernunftbegabung, Sprachfähigkeit oder moralische Überlegenheit gerade nicht, dass Menschen Tiere ausschließlich zu ihrem eigenen Vorteil gebrauchen und dabei deren Bedürfnisse und Leiden missachten. »If humans are morally superior […], it more reasonably follows that our superior-ity should, in part at least, consist in acknowledging duties to animals that they cannot acknowledge towards us.« (23) Der Mensch sei verpflichtet, seine Fähigkeiten und seine Macht dazu zu nutzen, verwundbare und leidende Lebewesen vor Leiden zu bewahren: »the greater the power, the greater the responsibility« (113).
L.s Überzeugungen sind von christlichen Einsichten geleitet: Zum einen entstammten Tiere wie Menschen Gottes Schöpferwirken. Dem Schöpfer und seinem gesamten Werk jedoch sei mit Respekt und mit Fürsorge zu begegnen. Entsprechend könne menschliches Leiden nicht grundsätzlich als höherwertig gegenüber dem Leiden der Tiere angesehen werden. Zudem sensibilisiere das Kreuz Christi für das Leiden unschuldiger und verwundbarer Lebewesen und lasse dies als unerträglich erkennen. »The cross does not validate suffering, but the reverse.« (164)
Selbstverständlich kennt L. die Argumente, die gegen eine Position wie die seine eingewendet werden. In überaus reflektierter und abwägender Weise geht er ihnen nach und zeigt auf, welche Vorurteile oftmals unhinterfragt tonangebend sind. Insbesondere mit der Rechtfertigung tierischen Leidens durch menschliche Höherwertigkeit befasst sich L. in vielerlei Hinsichten. Auf die Frage, was denn dagegen einzuwenden sei, wenn leidvolle Tierversuche zu medizinischem Fortschritt führten und dazu beitrügen, das Leiden von Menschen und gar Kindern zu lindern, begegnet er mit der Aufforderung, »to ask oneself whether such consequentialist considerations would also be given such weight in comparable situations concerning human subjects« (62). Er weist also daraufhin, dass bei der Beantwortung ethischer Fragen entscheidend ist, wie unterschiedliche Lebewesen und deren Bedürfnisse noch vor aller ethischen Urteilsfindung bewertet werden.
Dass der Gebrauch und das Leiden von Tieren für den Menschen von Vorteil sind, leugnet L. keineswegs. »None of us are untouched by our use of animals, and all of us, directly or indirectly, benefit from it.« (58) Fälle von Tierbenutzung, bei denen Tierquälerei mit der Produktion von Luxusartikeln oder menschlichem Vergnügen begründet wird und die L. darum für gänzlich inakzeptabel hält, diskutiert er im zweiten Teil seines Buches ausführlich. Er thematisiert das Jagen von Füchsen und anderen Wildtieren mit Hunden, die Pelztierzucht sowie das Schlachten von jährlich etwa 900.000 Seehunden, denen in mehr oder weniger lebendigem Zustand ihr Fell abgezogen werde. Doch weder die Zahl der Seehunde noch die der nahezu 57 Millionen Tiere, die jährlich zur Gewinnung von Tierpelzen vernichtet würden, sei hoch, »if we compare them with, say, the millions, if not billions, of farm animals slaughtered every year. But the issue isn’t just about numbers. Even just one case of institutionalised cruelty should be enough to arouse our moral concern.« (155)
Auf dem Boden christlichen Glaubens kann nach L. nicht hingenommen werden, dass ein Tier aufgrund eigennütziger Abwägung und keinesfalls lebensnotwendiger Interessen leidet. Dies stellt er in unaufdringlicher, aber überzeugender Weise dar. Seine Abhandlung ist umsichtig und spannend geschrieben. Sie ist von großem Gewinn für die theologische Ethik.