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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

536-538

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Nelson, R. David

Titel/Untertitel:

The Interruptive Word. Eberhard Jüngel on the Sacramental Structure of God’s Relation to the World.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2014. 272 S. = T & T Clark Stud­ies in Systematic Theology, 24. Kart. US$ 39,95. ISBN 978-0-567-65860-9.

Rezensent:

Hans-Anton Drewes

Die aus einer 2011 in Aberdeen abgeschlossenen Dissertation hervorgegangene Monographie von R. David Nelson bietet mehr als die Erörterung eines Einzelproblems im Werk Eberhard Jüngels. Es geht dem Vf. um eine Grundstruktur, die für alle Aussagen bestimmend ist. So bezieht sich die Untersuchung auch auf entlegenere Veröffentlichungen, darunter auch Texte, die nicht auf Englisch vorliegen. Die Übersetzungen, die der Vf. selber z. B. von Abschnitten aus »Das Sakrament – was ist das?« gibt, zeigen, wie schwer es ist, Jüngels komplexe Sprache ohne Verluste in ein verständliches Englisch zu bringen. Schon für diese Leistung, die ja auch hinter den nicht in eigenen Übersetzungen zitierenden Passagen steht, verdient der Vf. ausdrücklich Anerkennung. Seufzer über die sprachlichen Hindernisse wie »rather obscure statements« (17) oder »characteristically opaque« (124) begleiten seine Ausführungen ebenso wie die wiederkehrende Klage über Jüngels Lakonismus: »unfortunately, Jüngel does not expand upon […]« (130), »unfortunately, we are not given any clues […]« (217). Doch der Vf. hat sich durch diese Umstände nicht entmutigen lassen, sondern mit klugem Blick für die entscheidenden Punkte und mit kombinatorischem Geschick seinen Vorsatz ausgeführt, Jüngels Anschauung von der Beziehung Gottes zur Welt im Hinblick auf seine Sakramentenlehre kritisch darzulegen.
Der Begriff der »Unterbrechung« gewinnt seinen Sinn ur­sprünglich am Kreuz Jesu und im Wort vom Kreuz, d. h. im Ereignis der Rechtfertigung, das den Wirklichkeitszusammenhang elementar unterbricht (9). Diesem Materialprinzip steht das Formalprinzip zur Seite: »the claim, ubiquitous in his writings, that God comes to the world by coming-to-speech« (11). Weil dies Wort »the location of God in the world« ist, hat es »an ineluctably sacramental character« (11).
Die Probe auf das Verständnis der sorgfältig zusammengetragenen Elemente von »Jüngel’s anthropological-linguistic project« (17) liefern die Fragen, die der Vf. anschließt. Sie zielen insbesondere auf Jüngels Umkehrung der Analogie-Formel Erich Przywaras in der Behauptung einer das Wesen des christlichen Glaubens konstituierenden »inmitten noch so großer Unähnlichkeit immer noch größeren Ähnlichkeit zwischen Gott und Mensch«. Der Vf. sieht hier eine »basic aporia« (51): Jüngels »consistent appeals to the concept of interruption, to the ontological distinction between possibility and actuality, to the ideas of ›word-event‹ (or ›speech-event‹) and ›coming-to-speech,‹ to the ecstatic shape of the human existence in the event of the word, etc., tend to stress the radical dissimilarity between […] God […] and […] the worldly realities […]« (55). »At the same time, while the being of God is not exterior to his word […], according to Jüngel the being of God is necessarily ontologically exterior to the world and thus to the hearer in the event of the word.« (57)
Die kritischen Anfragen des Vf.s im Grundlagenteil zeichnen die Einwände vor, die er in den folgenden Teilen erhebt. So erweist ein Durchgang durch die ekklesiologischen Texte Jüngels, »that the concept of interruption may be too unwieldy for defining the events of the church with any sensible precision« (170). »For Jüngel, the church has its sacramental being in and as the assembly of believers in worship«, d. h. aber – folgerichtig zu der »strangely docetic impression of Jesus« (114) –, sie existiert »on the interrup-tive razor’s edge of public worship and thus neither temporally nor spatially elsewhere« (173).
In dem Teil über »The Sacramental Celebrations of Baptism and the Lord’s Supper« fällt die Kritik etwas weniger streng aus, weil sich die Erörterungen hier besonders auf einen späten Text Jüngels stützen: auf vier Vorlesungen, die 2005 in Rom gehalten und 2007 unter dem Titel »El Ser Sacramental« auf Spanisch veröffentlicht worden sind. Denn »in this text Jüngel constructs a more nuanced and in fact altogether more cogent account of the relation of the sacraments to time. Jüngel still maintains in the text that God interruptedly relates to the world through the sacramental events. But he also asserts that baptism and the Lord’s Supper are pregnant with possibilities for the whole of ecclesial existence as the church tarries through the course of the world.« (217 f.)
Dies neue Verständnis bahnte sich in Abhandlungen der 1980er Jahren an: »a turning point of sorts« (192). Mit dieser Wende ist in des Vf.s Sicht jedoch nicht ein Bruch oder eine Neuorientierung gegeben, sondern es handelt sich um »conceptual adjustments and advances within a generally consistent set of propositions« (195). Die Feststellung ist das Ergebnis einer aufschlussreichen Untersuchung »Testing the Continuity of Jüngel’s Descriptions of Baptism and the Lord’s Supper« (179–196). Doch wirft hier insbesondere das Verständnis und die Einordnung der beiden 1971 unter dem Titel »Das Sakrament – was ist das?« veröffentlichten Vorträge Fragen auf. Schon weil Barth zu den Thesen des ersten Vortrages ausdrücklich seine Zustimmung geäußert hat, scheinen sie enger, als der Vf. wahrhaben will, mit den Texten Jüngels zu Barths Tauflehre (KD IV/4) zusammenzugehören. So stutzt man, wenn der Vf. konstatiert, es sei »clear«, dass Jesus Christus in diesem ersten Vortrag von 1965 und in dessen Rekapitulation im zweiten Vortrag von 1971 als »the primary actor in the events of baptism and the Lord’s Supper« (183, vgl. 191) begriffen werde. Jüngels »axiomatische« Ge­genüberstellung von »das eine Sakrament Jesus Christus« und »die beiden Feiern des einen Sakraments« weist doch in eine andere Richtung. Wenn die Gemeinde Taufe und Abendmahl »feiert«, wenn »Taufe und Abendmahl […] als signa sacramentalia […] auf das […] Sakrament Jesus Christus« hinweisen, dann scheint Jesus Chris­tus nicht ohne ein secundum quod als »primary actor« (183) in diesen Feiern verstanden zu sein. Vermutlich ist an dieser Stelle auch eine genauere Würdigung von Ernst Fuchs unerlässlich, dessen Aufsätze zum urchristlichen Sakramentsverständnis, trotz des »abstruseness of Fuchs’s prose« (92), Aufmerksamkeit verdienten.
Es ist lehrreich, wie der Vf. eine gerade Linie in den einschlägigen Äußerungen Jüngels von 1965 bis 2005 zieht. Er muss dazu aber die Stellungnahmen zu Barths Tauflehre als »descriptive analyses« (189) beiseiteschieben. Auch bekommt bei diesem sozusagen ganzheitlichen Blick die kritische Würdigung des Eigentümlichen der frühen Texte wie der Wendung sogar zur Kindertaufe in dem spätesten Text zu wenig Gewicht. Vielleicht ist der Blick ohnehin für die Wahrnehmung individueller Akzente zu sehr auf den Grundgegensatz interruption – continuity konzentriert (79) – so sehr z. B., dass auch »einbrechen« und »sich Bahn brechen« mit »interrupt« übersetzt wird (183, anders 217). Hängt damit etwa auch zusammen, dass der Vf. »Widerfahrnis« mit »revolution« wiedergibt (58. 175.199)?
Entscheidend ist aber eine systematische Frage, die am Gottesdienst erläutert werden mag. Natürlich ist es richtig, »that there is much that occurs in Christian worship that connects the gathered assembly to the church as it exists through time«. Aber: does it »point the worshipper beyond the here and now of the immediate moment of the service and toward the historical trajectory of Chris­tian faith and praxis« (170)? Was hieße denn: mit Blick auf die Bahn des christlichen Glaubens durch die Geschichte beten? Kann das Wort anders als in Sammlung gehört, die Liturgie anders als »einfältig« gefeiert werden? Ist also das berechtigte Anliegen, der Gemeinde anderswo einen Ort zu geben als auf jenem Rasiermesser, nicht so aufzunehmen, dass, statt das » interruptive, eschatological event« (103) in einen ihm nicht eigenen geschichtlichen Horizont zu stellen und damit umzudeuten, gezeigt wird, wie in diesem eschatologischen Hier und Jetzt in der Tat »eine Wolke von Zeugen um uns ist«, dass also die beklagte »purely punctiliar conception of the relation of the word to time« (138, Anm. 66, vgl. 139.140) durchaus eine eigene, ihr eigentümliche »catholicity as extensity« (142) kennt? Zur Erörterung dieser Probleme anzuregen ist nicht das geringste Verdienst dieser Arbeit, die ein beeindru-ckendes Beispiel der Schwierigkeiten und des Gewinns darstellt, die der kritische Austausch über Grenzen der Sprache und der theologisch-philosophischen Traditionen hinweg bietet. Darüber darf sich nicht nur »the Grand Old Man of Tübingen« (XII) freuen.