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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

510-512

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Der Römerbrief. (Zweite Fassung) 1922. Hrsg. v. C. van der Kooi u. K. Tolstaja.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2010. LI, 784 S. = Karl Barth Gesamtausgabe, II. Akademische Werke, 47. Lw. EUR 125,00. ISBN 978-3-290-17562-7.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Barth, Karl: Erklärungen des Epheser- und des Jakobusbriefes 1919–1929. Hrsg. v. J.-M. Bohnet. Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2009. XXXVIII, 556 S. = Karl Barth Gesamtausgabe, II. Akademische Werke, 46. Lw. EUR 96,00. ISBN 978-3-290-17538-2.


Während die Römerbriefauslegungen von Karl Barth in ihrer ersten und zweiten Fassung gravierende Wirkungen für die Theologiegeschichte im 20. Jh. hatten, sind seine Auslegungen zum Jakobusbrief und zum Epheserbrief weitestgehend unbekannt. Das liegt vor allem daran, dass sie, abgesehen von einem kleinen Teildruck zum Jakobusbrief im Almanach des Christian-Kaiser-Verlags von 1927, ungedruckt blieben. Dasselbe gilt für die Auslegungen B.s zum 1. Korinther-, 1. Johannes-, Philipper- und Kolosserbrief sowie zur Bergpredigt, die allesamt auf exegetische Vorlesungen aus den Göttinger Jahren zwischen 1921 und 1925 zu­rückgehen. Die Jakobus-Vorlesung hat B. in erheblich überarbeiteter Gestalt im Wintersemester 1928/29 in Münster erneut vorgetragen und in dieser Fassung dann im Sommersemester 1930 in Bonn wiederholt.
Die Auslegung zum Epheserbrief reicht in ihren Vorstufen schon in die Safenwiler Zeit zurück. Dort hatte B. den Brief zu­nächst mit seinen Konfirmanden kursorisch gelesen und im Sommer 1919 in einer Reihe von 18 Predigten komplett ausgelegt (diese Predigten sind in der Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. I, Band 39, Zürich 2003, publiziert). Im Winter 1919/20 hatte er dann zwei- bis dreimal wöchentlich einem kleinen Kreis von Interessierten eine Übersetzung und kurze Auslegung des Briefes diktiert und diesen schließlich im Frühjahr und Sommer 1920 zum Gegenstand regelmäßiger Bibelbesprechungen an Sonntagabenden gemacht. Ähn-liches hatte er offenbar auch mit dem Kolosserbrief vor, wie aus seinem Briefwechsel mit Thurneysen hervorgeht. Auf die Vorbereitungen des Diktats vom Winter 1919/20 geht ein 35-seitiges Ma-nuskript zurück, das zu den mit eigenen Überschriften versehenen Abschnitten des Epheserbriefes jeweils eine Übersetzung, kurze exegetische Erläuterungen und ein Summarium zu den im Sommer 1919 gehaltenen Predigten bietet. Dieser Text bildete offenbar den Grundstock für die exegetische Vorlesung zum Epheserbrief in B.s erstem Göttinger Semester. In der einstündigen Vorlesung kam er freilich nur bis zum Ende des ersten Kapitels; in der letzten Stunde gab er nur noch einen Überblick über den Rest des Briefes. Die jetzt vorliegende Edition in der Karl Barth-Gesamtausgabe bietet zunächst die Auslegungen von 1919/20 und dann den Text des Vorlesungsmanuskripts von 1921/22.
Zum Jakobusbrief, den B. erstmals im Wintersemester 1922/23 einstündig behandelt hat, konnte er nicht auf so ausführliche und weit zurückreichende Vorarbeiten zurückgreifen. Immerhin hatte er aber auch über diesen Brief schon einmal eine Reihe von 18 (bis heute unveröffentlichten) Predigten gehalten, als Vikar in Genf in der ersten Hälfte des Jahres 1910. Auch in seiner Jakobus-Vorlesung kam B. nur bis zum Ende von Kapitel 2. Das blieb auch in der späteren Münsteraner Fassung von 1928/29 so, in der er lediglich am Schluss noch einen Überblick zu Jak 3–5 anfügte. Die Göttinger und die Münsteraner Jakobus-Vorlesung unterscheiden sich nicht so sehr im Gesamtumfang und im Wortlaut weiter Passagen als vielmehr in der Anordnung der Auslegungsabschnitte, allerdings auch in vielen theologisch bedeutsamen Einzelaussagen (darüber hinaus hatte B. bei der Bearbeitung für Münster neuere Literatur in die Göttinger Vorlage eingearbeitet). Geboten werden beide Fassungen in synoptischer Anordnung der einander entsprechenden Ab­schnitte. Sowohl eine fortlaufende als auch eine vergleichende Lektüre ist damit bequem möglich.
Wenn man bedenkt, dass zwischen den beiden Jakobus-Vorlesungen noch die ersten beiden Zyklen von Dogmatik-Vorlesungen (1924–1926: »Unterricht in der christlichen Religion«, 1926–1928: »Christliche Dogmatik«), dazu die »Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts« (1926) und die erste Ethik-Vorlesung (1928/29) entstanden sind, dann wird klar, in welch wichtige Entwicklungsphase des theologischen Denkens von B. die hier erstmals publizierten exegetischen Vorlesungen führen. Das Vorwort des Bandes von Jörg-Michael Bohnet (VII–XXXVIII) weist darauf mit hilfreichen Einführungen zur Edition, zu den biographischen Zusammenhängen und zu den Originalmanuskripten hin. Auch theologiegeschichtliche Kontexte werden sachkundig beleuchtet, wenn auch die Einzelerforschung der Bedeutung dieser exegetischen Arbeiten für B.s theologische Entwicklung noch bevorsteht. Die Edition bietet da­für eine hervorragende Grundlage.
Auch die Neuausgabe des »Zweiten Römerbriefs« in der Karl Barth-Gesamtausgabe stellt einen wesentlichen Einschnitt für die künftige Rezeptionsgeschichte dieses Werkes dar. Während bisher der immer wieder nachgedruckte »Zweite Abdruck der neuen Bearbeitung« von 1923 maßgeblich war (als »dritte Auflage« mit dem auf »Göttingen, Juli 1922« datierten Vorwort), tritt an dessen Stelle nun die hier anzuzeigende Neuedition. Sie bietet neben einem ausführlichen Vorwort der Herausgeber Cornelis van der Kooi und Katja Tolstaja zu den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhängen des Werks (IX–XVIII) und von Hans-Anton Drewes, dem frühe-ren Leiter des Karl-Barth-Archivs in Basel, zur Textkonstitution (XXXIX–XLIV) sowie völlig neu erstellten Registern (717–784; bislang standen nur die sehr knappen Stellen- und Stichwortverzeichnisse von Georg Merz aus dem »Zweiten Abdruck« zur Verfügung) vor allem in zwei Apparaten Nachweise von Zitaten und Anspielungen B.s sowie textkritische Varianten aus dem 1. Abdruck und der handschriftlichen Druckvorlage B.s für den 2. Abdruck. Welche editorische Kleinarbeit in diese Apparate Eingang gefunden hat, wird im Vorwort detailliert und erhellend erläutert. Allein schon die Zitierweise B.s erforderte erheblichen exegetischen Spürsinn und literarische wie theologische Kompetenzen. Besonders ausführliche Anmerkungen werden zu den Vorworten geboten, die hier sämtlich (von der ersten bis zur sechsten Auflage) komplett wieder abgedruckt werden. Da B. sich in diesen Vorworten immer wieder explizit und implizit mit Rezensenten und Kritikern auseinandergesetzt hatte, ohne deren Ausführungen jeweils eindeutig und korrekt nachzuweisen, sind die nunmehr in den Fußnoten gesammelten Belege außerordentlich verdienstvoll und hilfreich. Sie lassen, zusammen mit B.s Kommentierungen gelesen, ein überaus lebendiges Bild der theologischen und exegetischen Debatten in der Spätphase der liberal-historischen Exegese und der Frühphase der Dialektischen Theologie entstehen.