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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

492-494

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kirchner, Thomas

Titel/Untertitel:

Katholiken, Lutheraner und Reformierte in Aachen 1555–1618. Konfessionskulturen im Zusammenspiel.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XII, 507 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 83. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-153634-2.

Rezensent:

Albrecht Philipps

Thomas Kirchners Veröffentlichung ist seine etwas überarbeitete Dissertationsschrift, die unter dem Titel »Zusammenleben als Herausforderung. Die interaktive Konfessionalisierung der Reichsstadt Aachen« im Wintersemester 2013/14 an der RWTH Aachen von der Philosophischen Fakultät angenommen worden ist. Christine Roll hat diese Arbeit betreut.
Das Buch ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Es stellt einen profunden Beitrag zur Stadt- und Territorialkirchengeschichte Aachens dar. Es erhellt die sich ausdifferenzierende europäische Konfessionsgeschichte anhand des Beispiels einer deutschen Reichsstadt im Konfessionellen Zeitalter und weist damit auf die konfliktreiche Herausbildung von Religionspluralität als Kennzeichen moderner Staatenbildung hin. Es arbeitet umfassend heraus, wie ungereimt und komplex das Verhältnis der christlichen Konfessionen untereinander im städtischen Kontext war, und liefert damit eine Vorlage für das Verständnis von Reformationsgeschichte auch in anderen Regionen. Denn Aachen war kein »Sonderfall«, wie es in der Geschichtsschreibung vormals oft hieß, sondern dient beispielhaft urbaner Konfessionalisierungsgeschichte insgesamt.
Einen Zugang zu diesem Buch zu finden, ist so kompliziert wie das Thema, das es behandelt. Liest man zunächst das Inhaltsverzeichnis, den Klappentext und die sehr ertragreiche Ergebniszusammenfassung am Ende, so wird deutlich: Es geht hier nicht nur um die Darstellung von Konfessionskonflikten, um erfolgreiche oder gescheiterte Stadtreformation oder um katholische Restitution, sondern um die sehr viel komplexeren Koexistenzen und Konflikte von Katholiken, Lutheranern und Reformierten etwa im Stadtrat und in den Zünften der Stadt Aachen im Konfessionellen Zeitalter. Hier lagen die Dinge anders. K. stellt fest, dass weder die Definition Aachens als katholische Reichsstadt noch als Ort einer späten, gescheiterten Stadtreformation oder als bedeutsamer Ort der reformierten Kirche sie auch nur nahezu vollständig korrekt beschreiben (1 f.).
Seit etwa 1550 hatten sich die drei Konfessionen in Aachen so etabliert, dass ihre Kirchen »eine Dynamik« (2) entfalteten, die alle religiösen und politischen Bereiche der Stadt prägten. Mal duldete man sich wechselseitig, dann behinderte man zeitweise die Entwicklung der jeweils anderen Konfessionen oder bekämpfte sich. Die Aachener Konfessionskonflikte wurden am kaiserlichen Hof als »Causa Aquensis«, später als »Aachener Wirren« genau beobachtet und dort verhandelt, hatten sie doch als Unruhen in der Kaiserstadt reichsweite Bedeutung.
Einen kurzen Überblick der wechselvollen Geschichte bietet die zweite Anmerkung des Buches auf S. 2, die vielleicht der Übersicht halber im Haupttext ihren angemessenen Ort hätte finden können: Ab Mitte des 16. Jh.s wurden in Aachen lutherische und reformierte Kirchen installiert, deren Mitglieder von politischen Äm­tern der Stadt zeitweise ausgeschlossen, dann ab 1574 wieder zugelassen wurden und schließlich 1581 bis 1598 die Mehrheit im Stadtrat und bei den Amtsträgern stellten. Ein Urteil des Kaisers erklärte 1593 das mehrheitlich evangelische Stadtregiment für un­rechtmäßig; mit der Vollstreckung des Urteils fünf Jahre später war Aachen dann wieder in katholischer Hand. 1611 bis 1614 er­langten die evangelischen Bürger wiederum die Führung in der politischen Leitung, danach setzte eine massive, durch kaiserliches Urteil initiierte Rekatholisierung ein.
Zum Aufbau des Buches: Es enthält vier große Kapitel auf 460 Seiten. 1. Einleitung – Aachen als konfessionelle Stadt. 2. Die poli-tischen Auseinandersetzungen mit der Causa Aquensis 1524 bis 1616 – Akteure, Themen, Argumente. 3. Zusammenleben einer Bürgergemeinde und drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel. 4. Ergebnisse und Ausblick.
Zum ersten Kapitel kann gefragt werden, ob die Einleitung Teil dieses Kapitels sein sollte, das ansonsten den Forschungsstand sowie Fragen zur Methode, Gliederung und zu den Quellen behandelt. Auch bleibt etwas unklar, was K. mit »Aachen als konfessionelle Stadt« meint. Eine Stadt im 16. und beginnenden 17. Jh. in Deutschland war stets von spezifischer konfessioneller Prägung, die Einfluss auf die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten hatte. Was also ist hier das Spezifikum Aachens?
Das zweite Kapitel geht ausführlich auf die sogenannte »Causa Aquensis« ein. Der Titel des dritten Kapitels ist mit der doppelten Verwendung des Wortes »Zusammen« etwas irreführend: »Zusammenleben einer Bürgergemeinde und drei Konfessionskulturen im Zusammenspiel«. Das zusammenfassende Schlusskapitel beleuchtet die komplexe Konfessionsgeschichte Aachens und die »Ge­mischtkonfessionelle Gesellschaft außerhalb Aachens« (453 ff.).
Etwas unüblich ist, dass K. bei Hinweisen auf wissenschaftliche Veröffentlichungsreihen nahezu durchgängig die gängigen Ab­kürzungen nicht verwendet. Im Literaturverzeichnis sollte etwa »Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte« mit SVRG abgekürzt werden. Die vollkommen ausgeschriebenen Reihenangaben dann auch noch in den Anmerkungen zu verwenden, ist überflüssig und streckt diese unnötig. Dass ein Autor mit dem klingenden Namen Johann Arnold von Recklinghausen nicht in Osnabrück 1977 eine regionale Reformationsgeschichte veröffentlichte (483), sondern dieses Werk wohl schon 1818 vorlag, fällt auf. Die Bezeichnung »Calvinismus« und »Calvinisten« für die reformierte Tradition ist meines Wissens eher ein Schmähbegriff, der diese Konfession zur Unterscheidung von der umfassenden »katholischen« Kirche lediglich auf den Privatwillen einer Einzelperson zurückgeführt wissen möchte. »Calvinisten« und »Reformierte« sollte man nicht wechselnd verwenden.
Zum Schluss sei noch auf einen wenig erfreulichen Sachverhalt hingewiesen: die Orthographie dieses Buches. Dass man gelegentlich einmal einen Rechtschreibfehler in einer geisteswissenschaftlichen Qualifikationsschrift entdeckt, gehörte bisher zu den kleinen Freuden bei der Lektüre, die man schmunzelnd hinnahm. Dass aber in einem Buch dieser renommierten Reihe Verschreibungen derart häufig auftauchen, verwundert und erschreckt zugleich. Wohin soll das führen im Reich der Worte?
So ist mehrfach vom »Reichdeputationstag« (etwa S. 77, Anm. 86; S. 464) die Rede. Auf S. 69 ist eine Doppelung und ein fehlendes t augenfällig: »Zevel Zevel rechtfertigte die Bitschrift zunächst noch einmal […].« Auf S. 90 f. stehen in zwei Sätzen gleich drei Fehler: »Sie betrachteten aber die Religionspolitik der Reichsstadt ansonsten aber als einen Schauplatz reichsweiter religionspolitischer Konfrontationen. Dass sich Kaiser, Kurpfalz und Andere nicht um konkrete Lösungen […] bemühten, lag vor allem daran, dass bis 1580 keine geschlossenen Konfessionsparteien […] Probleme auf auf die reichspolitische Tagesordnung brachten.« Dass nicht nur der erste Satz des Vorwortes des Buches, sondern viele weitere die deutschen Kommaregeln missachten, hätte gewiss vermieden werden können: »Ende 2007 regten Prof. Dr. Christine Roll und Prof. Dr. Max Kerner an, die Geschichte der Reformierten und Lutheraner in Aachen während des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, aufzuarbeiten.« S. 107: »Ihr forderndes Auftreten, hätten die Kommissare damit gerechtfertigt, dass Aachen kein unmittelbarer Reichsstand sondern eine ›schwache und geringe stadt‹ sei.« Auf S. 97 steht: »[…] wie sie bereits in der Bittschrift der Aachener Frauen formuliert worden warSie banden ihre Supplikation außerdem auch an den politischen Diskurs an, der zwischen den Akteuren in Stadt Region und Reich […] geführt worden war.« Hin und wieder ist dort ein Spatium vor dem Komma zu viel (180, Anm. 307), hier fehlt eine Klammer (135, Anm. 216). Die Reihe ließe sich leider fortsetzen. Dem Renommee einer präzisen Wissenschaft dient das nicht!