Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

490-492

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Katalog der Reformationshandschriften. Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft. Beschrieben von D. Gehrt. 2 Bde.

Verlag:

Wiesbaden Harrassowitz Verlag 2015. XLII, 1407 S. = Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha, 2. Lw. EUR 289,00. ISBN 978-3-447-10182-0.

Rezensent:

Stefan Michel

Dass sich eine Bibliothek den Druck eines Handschriftenkataloges noch leistet und ihre Verzeichnung nicht auf eine Datenbank im Internet beschränkt, ist gar nicht hoch genug zu loben. Und wenn ein Handschriftenkatalog einer so bedeutenden Bibliothek, die wie die Forschungsbibliothek Gotha mit ihren insgesamt 3496 orientalischen und 7940 abendländischen Handschriften über so reiche und oft nachgefragte Bestände verfügt, erscheint, bedeutet dies zudem eine wesentliche Bereicherung und Anregung der wissenschaftlichen Forschungsmöglichkeiten. Insofern dürften alle, die zur Reformationsgeschichte und der Geschichte der Frühen Neuzeit forschen, dankbar sein, dass ein gründlich und kompetent erarbeiteter Katalog der 260 Gothaer Reformationshandschriften mit etwa 15800 Einzelstücken von Daniel Gehrt über Jahre hinweg erarbeitet wurde und nun gewissermaßen als Hilfsbuch zur Benutzung der Gothaer Bestände zur Verfügung steht. Dieser Katalog ersetzt endgültig die bisherigen Verzeichnungen, unter denen der Katalog von Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) aus dem Jahr 1714 wohl am bekanntesten ist. Damit stellt die Forschungsbibliothek Gotha ihren Nutzern und Nutzerinnen einen optimalen Service für die Recherche in ihren handschriftlichen Reformationsbeständen zur Verfügung: eine Datenbank (http://hans.uni-erfurt.de/ [Zugriff am 6.9.2015]) und daneben sogar einen gedruckten Katalog. Konsequent ist die Widmung des Kataloges an den Kirchenhistoriker Ernst Koch, der seit vielen Jahren ein hervorragender Kenner und kontinuierlicher Nutzer der Gothaer Handschriften ist.
In einer knappen Einleitung berichtet Gehrt über die Genese der Reformationshandschriftensammlung (XIV–XXXIII), die ein un­verkennbares Schwergewicht auf die Wittenberger Reformation legte. Seit dem 17. Jh. sammelten die Gothaer Herzöge, allen voran Ernst der Fromme (1601–1675), gezielt Reformationshandschriften. Aus diesen überreichen Beständen schöpften Forscher wie Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692), Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1709) oder Ernst Salomon Cyprian für ihre Darstellungen, die wie Seckendorffs Commentarius de Lutheranismo bis ins 19. Jh. die Re­formationsgeschichtsschreibung prägten. Zur Sammlung gehören der Nachlass des Reformators Paul Eber (1511–1569; vgl. Chart. 123–128 = 484–552: 6 Bände Briefwechsel von Paul Eber), weiterhin Handschriften aus dem Besitz Johann Friedrichs des Mittleren (1529–1595; vgl. Chart. A 77 = 288–290: »Johann Friedrich II., Herzog von Sachsen: Gebete, religiöse Gedichte, theologische Abhandlungen und Lied«), seines Bruders Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar (1530–1573; vgl. Chart. A 40 = 40–44: »Korrespondenz der Herzöge Johann Wilhelm und Johann Friedrich III. von Sachsen«) und dessen Frau Dorothea Susanna von Sachsen-Weimar (1544–1592; vgl. Chart. A 48 = 68 f.: »Dorothea Susanna, Herzogin zu Sachsen-Weimar: Glaubensbekenntnis«), des Gnesiolutheraners Bartholomäus Gernhard (1525–1600) sowie der Nachlass von Friedrich Wilhelm von Sachsen-Weimar (1562–1602). Einen besonderen Sammlungskomplex stellen Spalatiniana dar, die – wie auch andere Stücke – aus dem Ernestinischen Gesamtarchiv herausgelöst wurden. Weitere Bände berühmter Vorbesitzer vervollständigen die Sammlung, die deshalb beispielsweise über zahlreiche Briefe Lu­thers und Melanchthons, Predigten, Universitätsanschläge, Streitschriften oder Bekenntnistexte verfügt. Weiterhin berichtet Gehrt in seiner Einleitung über die bisherigen Verzeichnungen der Sammlung (XXXIII–XXXVI).
Der für den Katalogtitel verwendete Begriff Reformationshandschriften meint nicht nur Handschriften, die zu Lebzeiten Luthers oder Melanchthons Lebzeiten entstanden sind, sondern auch solche, die in den Kontext der Entstehung der Konkordienformel gehören (vgl. Chart. A 31 = 6–14: »Sammlung zu verschiedenen Lehrkontroversen und zur Konkordienformel« oder Chart. A 32 = 14–26: »Sammelband zur wettinischen Kirchenpolitik zwischen 1548 und 1576«). Diese Entscheidung ist dadurch begründet, dass die Ernestiner noch lange nach dem Verlust der Kurwürde nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 ihren Anspruch aufrecht erhielten, die eigentlichen Reformationsfürsten im Reich zu sein. Streitschriften und Bekenntnistexte bis zur Konkordienformel führen Gedanken der Wittenberger Reformation unter diesem Vorzeichen fort. Die Gothaer Sammlung spiegelt dieses spezielle konfessionspolitische Interesse besonders deutlich wider.
Durch die mit diesem Katalog vorgelegte Erschließungsarbeit wird nicht nur auf Material verwiesen, das beispielsweise für die Geschichte der innerlutherischen Streitigkeiten im Vorfeld der Konkordienformel aufschlussreich ist. Gehrt hat sich auch der Mü­he unterzogen, die über 7000 Tischreden den Nummern der Weimarer Lutherausgabe zuzuordnen. Deshalb gibt es nun auch aktuelle Beschreibungen der bekannten Handschriften Codex Besoldi (Chart. A 402 = 742–746), Codex Mehneri I (Chart. A 1048 = 829–845) oder Codex Bavari I und II (Chart. B 15 und 16 = 853–889).
Gewissenhaft verzeichnete Gehrt in seinen knappen Beschreibungen zudem, wenn ein Stück bereits ediert oder in einer weiteren Handschrift vorhanden ist. Detaillierte Register über Personen, Schrift und Sachen, Dichter und Komponisten sowie Initien von Liedern erleichtern die Benutzung des Bandes (1197–1407). Möge dieser sorgfältig erstellte Katalog weitere reformationsgeschichtliche Forschungen mit den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha fördern.