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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

480-481

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gunkel, Heidrun

Titel/Untertitel:

Der Heilige Geist bei Lukas. Theologisches Profil, Grund und Intention der lukanischen Pneumatologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XII, 420 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 389. Kart. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-153439-3.

Rezensent:

Petr Pokorn´y

Es handelt sich bei diesem Buch um die leicht überarbeitete Dissertation von Heidrun Gunkel bei R. Feldmeier (Göttingen), die dem Leser zunächst die theologische Bedeutung ihres Themas an­gesichts der gegenwärtigen »spürbaren Reserviertheit« dem Hei-ligen Geist gegenüber hervorhebt. Die Arbeit hat zwei Teile, von denen der erste der Exegese der einzelnen Stellen im lukanischen Doppelwerk gewidmet ist. Es geht um Aussagen und Erzählungen vom Heiligen Geist und seinen Auswirkungen. Praktisch alle Stellen, wo vom Heiligen Geist die Rede ist, werden ausgelegt, al­lerdings nicht sukzessiv, sondern in thematischen Gruppen, die der lukanischen heilsgeschichtlichen Sicht der Geschichte entsprechen: der Heilige Geist im Gottesvolk Israel, bei Jesus und in der Gemeinde Jesu. Auch innerhalb der einzelnen Gruppen werden die be­treffenden Texte wieder in kleineren thematisch verwandten Einheiten untersucht. Methodisch handelt es sich allerdings um eine konsequent synchrone Auslegung, die die Rolle des Heiligen Geis­tes in den lukanischen Schriften rekonstruiert. – Den zweiten Teil bildet die Auswertung des Befundes. G. fragt nach dem Grund und der Intention der lukanischen Auffassung des Heiligen Geis­tes. Ein bedeutender Abschnitt wird den Geistvorstellungen im Al­ten Tes­tament, in der hellenistischen Philosophie (Stoa, Pseudo-Platon, Plutarch), im antiken Judentum und bei Paulus gewidmet.
Das Ergebnis ist, dass der Heilige Geist Garant und Hauptakteur des göttlichen Heilsplanes, vor allem der Gestaltung der christlichen Gemeinde ist. Wenn Johannes der Täufer als Prophet schon bei der Geburt vom Geist erfüllt war, hat Jesus zu dem Heiligen Geist ein einzigartiges Verhältnis, weil er »von Gottvater zum Vermittler und Verwalter des Heiligen Geistes eingesetzt« ist (136). In der Ge­meinde, und zwar auch gegenüber seinen einzelnen Trägern, wirkt der Heilige Geist als Kraft oder Substanz und tritt manchmal als eigenständiges Subjekt, ja als eine Person auf. Er lenkt die Handlung seiner Träger und ermächtigt sie, besonders zur Mission. Das alles ist eine theologische Tendenz, an welche später die Trinitätslehre anknüpfen konnte. Dies wird auch in mehreren übersichtlichen Tabellen veranschaulicht. – Eine ziemlich um­fangreiche Bibliographie und Register schließen die Arbeit ab.
Die Arbeit erfüllt das Vorhaben G.s in vieler Hinsicht. Es ist erfreulich, eine Exegese zu lesen, die den Text ernst nimmt und sich auf sein Zeugnis und seine Gedanken – seine Theologie konzentriert. Die Rolle des Geistes in der lukanischen Theologie wird sachlich dargestellt, die hellenistische Vergegenständlichung des Geistes wird ernst genommen und doch erkennt der Leser, wie bedeutend der Geist in der lukanischen Theologie ist. Die kritischen Bemerkungen, die ich nicht verschweigen kann, mindern die Leistung G.s nicht.
G. weiß, dass »Lukas« die übernommenen Traditionen oft transformiert und neu gedeutet hat, sie wagt jedoch nicht, die Unterschiede hervorzuheben, wobei gerade eine solche Unterstreichung der Spannungen die Absicht des Erzählers deutlicher machen kann. Z. B. die Deutung der Glossolalie als Xenolalie in Apg 2,6, die G. durch Vergleich mit Apg 10,46 klarmacht, spiegelt einen Umbruch im Denken der Jesusbewegung wider, der thematisiert werden sollte. Ähnlich würde das unerwartete Auftauchen der Taufe (offensichtlich der Wassertaufe) in Apg 2,38 eine historische Ana-lyse verdienen. Es widerspricht der Verheißung der Geisttaufe aus Lk 3,16. Wo die eine Art der Taufe auftaucht, muss in der Apostelgeschichte die andere so schnell wie möglich hinzukommen. Ideal ist, wenn beide in eins fallen, wie es G. beispielsweise bei der Auslegung von Apg 9,17 (die Taufe des Paulus) beschreibt. In der Anfangszeit haben beide Initiationsriten miteinander konkurriert, und die lu-kanische Auffassung ihrer Konvergenz ist theologisch motiviert.
Ich vermisse auch eine Reflexion der Tatsache, dass im lukanischen Doppelwerk der Geist nicht nur die verschiedenen geistigen und sozialen Äußerungen des Lebens der entstehenden Kirche gelenkt und gesegnet hat, sondern dass er auch textimmanente Funktion hat, nämlich das lukanische Bild der Heilsgeschichte zu legitimieren. Die spürbare Reserviertheit dem Geist gegenüber, die G. kritisiert, hängt u. a. damit zusammen, dass die Wirkung des Heiligen Geistes als solche erst nachträglich, a posteriori erkannt wird. In unserem Fall ist es die Kanonisierung der lukanischen Schriften, die uns dazu führt, die lukanische Auffassung des Heiligen Geistes ernst zu nehmen.