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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

929 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Langthaler, Rudolf

Titel/Untertitel:

Nachmetaphysisches Denken? Kritische Anfragen an Jürgen Habermas.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1997. 426 S. gr.8 = Philosophische Schriften, 24. Kart. DM 116,-. ISBN 3-428-08939-1.

Rezensent:

Christian Danz

Daß die Verabschiedung der Metaphysik selbst nur durch Metaphysik möglich sei und demzufolge Metaphysik-Kritik nur als Kritik einer bestimmten Metaphysik auftreten kann, gehört zu den Grundeinsichten kritischen Denkens. Dieser Einsicht ist auch die Untersuchung Rudolf Langthalers Nachmetaphysisches Denken? Kritische Anfragen an Jürgen Habermas verpflichtet.

Seine kritische Überprüfung des Anspruches von Habermas, mit dem Konzept einer ,kommunikativen Vernunft’ die bis dato maßgeblichen philosophischen Paradigmen zu überwinden, stellt sich das Ziel, "ein sachgerechtes Urteil über die Plausibilität und Rechtmäßigkeit seiner [sc. Habermas] als unwiderruflich angesehenen Verabschiedung der Metaphysik zu gewinnen" (18). Da das von Habermas proklamierte kommunikationstheoretische Paradigma seine Legitimität durch einen Nachweis der Insuffizienz der ontologischen und bewußtseinsphilosophischen Paradigmen verpflichteten Tradition gewinnt, unterzieht der Vf. diese Kritik von Habermas einer Meta-Kritik. Aus dieser metakritischen Perspektive resultiert der Aufbau der Untersuchung. In einem ersten Teil wird Habermas’ Kritik an der "metaphysischen Denkform" kritisch rekonstruiert (42-106). In dem zweiten Teil seiner Untersuchung geht der Vf. Habermas’ Beurteilung der "Bewußtseinsphilosophie" nach (107-220), um anschließend, in einem dritten Teil, das aus Habermas’ Kritik an der Bewußtseinsphilosophie resultierende Programm der "Situierung der Vernunft" aus einer Kantischen Problemperspektive kritisch zu beleuchten (221-307). Abschließend wendet sich der Vf. der Anknüpfung von Habermas an zentrale Motive der Sprachphilosophie Humboldts zu (308-410).

In seiner minutiösen Prüfung der Stichhaltigkeit von Habermas’ Argumenten, welche die Notwendigkeit der Verabschiedung einer sowohl an der metaphysischen Denkform als auch an Theorien der Subjektivität orientierten Philosophie plausibilisieren sollen, zeigt der Vf., daß dieser in seiner Kritik hinter bereits erreichte Problemdifferenzierungen zurückfällt. Dies gründe, so der Vf., vor allem darin, daß Habermas leitende Motive der Tradition verkenne bzw. in ihrem argumentativen Potential nicht zur Kenntnis nehme. "Infolge dieses Versäumnisses erscheint seine Metaphysik-Kritik in entscheidenden Punkten als unvermittelt und nicht selten auch als simplifizierend." (61)

Diese Problemunterbietung, welche der Vf. der Metaphysik-Kritik von Habermas attestiert, zeige sich auch in dessen Verständnis der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie. Seine Rekonstruktion der Habermasschen Kritik der Transzendentalphilosophie ist daher an der Frage orientiert, "ob in problem-orientierter Perspektive der in dieser Kritik begründete Überwindungsanspruch gegenüber diesem angeblich erschöpften ,Paradigma’ nicht in mancher Hinsicht eine Unterbietung eines bereits erreichten Problemstandes verrät bzw. sich in zentralen Punkten erheblichen Fehlinterpretationen der Leitmotive der maßgebend gewordenen Gestalten der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie verdankt" (107).

Eine Fehlinterpretation der Transzendentalphilosophie dokumentiere sich schon in Habermas’ Verständnis der transzendentalen Reflexion als einer "Introspektion" (108-115). Maßgebliche Motive der Philosophie Kants seien in diesem Verständnis von transzendentaler Reflexion nicht mehr wiederzuerkennen. Wird doch bei einem solchen Verständnis Kant auf eine Position festgelegt, welche er selbst als kritikpflichtig erachtete. Eine Verzeichnung der transzendentalen Reflexion zeige sich ebenso in Habermas’ Verständnis des transzendentalen Ich als einem "weltlosen Ich". Die Überzeugungskraft von seinem im Anschluß an Motive der "Junghegelianer" artikulierten Programm einer "Situierung der Vernunft" beruhe, so der Vf., auf dieser Verzeichnung des transzendentalen Ich (vgl. 135). Die für Kants Begriff der Persönlichkeit bestimmende Einsicht, diese so zu fassen, daß zwischen dem transzendentalen und dem empirischen Ich zwar notwendig zu unterscheiden, jedoch nicht zu scheiden ist, wird von Habermas verkannt. Kants "zweifaches Bewußtsein des Ich" erscheint in der Rekonstruktion von Habermas als ein abstrakter Dualismus von transmundanem und mundanem Ich. Die sich an dieses Verständnis von Transzendentalphilosophie anschließende Forderung nach einer Detranszendentalisierung, welche diesem angeblichen Dualismus entgegensteuern soll, läuft dann faktisch auf eine Naturalisierung des Subjektes hinaus (131).

Mit dem Verzicht auf die transzendentallogische Sonderstellung des Ich und dem Versuch, diese transzendentalphilosophische Begründungsthematik zu überspringen, muß jedoch die Identität des Subjekts fraglich werden. Ein identisches Subjekt, welches dafür einsteht, daß eine Person sich ihrer Akte als ihrer bewußt sein kann, muß jedoch auch Habermas voraussetzen. Ermöglicht dieses doch "die notwendige ,Kohärenz’ der Sprechakte und mit der darin fundierten Identität auch die diskursive Einlösung der in aller Rede implizit enthaltenen Geltungsansprüche" (161).

So sehr Habermas die Notwendigkeit einer Situierung der Vernunft gerade durch den Nachweis einer in der Transzendentalphilosophie abstrakt, weil ungeschichtlich verbleibenden Vernunft zu begründen sucht, so sehr basiert diese Notwendigkeit auf einer Verzeichnung der transzendentalphilosophischen Fassung der Einheit der Persönlichkeit. Mit dem Nachweis der Problemverkennung wird die von ihm eingeklagte Notwendigkeit einer Überwindung des angeblich abstrakten "Bewußtseinsparadigmas" haltlos. Gehört doch die Einsicht in eine in einem praktischen Kontext vorzunehmende Konkretisierung des transzendentalen Ich zu den zentralen Themen von Kants und Fichtes Philosophie. In der Anerkennung des selb-ständigen Anderen, der an sich selbst seine Eigentätigkeit vollzieht, kommt das Selbst zu seiner Bestimmtheit. Denn die Eigenbestimmtheit des Selbst fußt in seinem unterscheidenden Bezug auf selbständiges Anderes, welches seine Funktion, für die Bestimmtheit des Selbst einzustehen, nur dann erfüllen kann, wenn es nicht unter der Ägide des Selbst steht (vgl. 248ff.). Habermas nivelliert, insbesondere in seiner Kritik an Fichtes Intersubjektivitätstheorie, diese im transzendentalen Idealismus vorgenommene Problemdifferenzierung und fällt in seiner Kritik hinter bereits erreichte Einsichten zurück.

Durch die bei Habermas festzustellende tendenzielle Naturalisierung des Subjekts wird jedoch auch dessen Berufung auf Humboldt fraglich. Denn die Aufnahme der Humboldtschen Sprachphilosophie gelinge Habermas nur durch die Ausklammerung der für Humboldt maßgeblichen transzendentalen Problemperspektive (vgl. 315 ff.). Aus diesem Grund, so der Vf., bleibt der Anspruch, "leitende Motive der Sprachpragmatik in diesem Übergang zu dem ,Paradigma der Verständigung’ auf Humboldts Sprachdenken zurückzuführen" (364), wenig überzeugend.

Die Rede vom Ende der sogenannten Subjektphilosophie, welche sich nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Theologie zunehmender Beliebtheit erfreut, steht dem Vf. zufolge deutlich in der Gefahr, einem enormen Problemverlust anheimzufallen. Wer diesen Preis nicht zu zahlen gewillt ist, wird dem von dem nachmetaphysischen Denken proklamierten Ende von metaphysischen Denkformen und Subjektphilosophie skeptisch gegenüberstehen.