Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/1999

Spalte:

927 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schindling, Anton, u. Walter Ziegler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. VII: Bilanz - Forschungsperspektiven - Register.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1997. 311 S. gr.8 = Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 57. DM 39,80 DM. ISBN 3-402-02978-2.

Rezensent:

Norbert Haag

Mit dem vorliegenden siebten Band findet die von Anton Schindling und Walter Ziegler verantwortlich konzipierte, für die Erforschung der Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation unverzichtbar gewordene Reihe ihren Abschluß. Hervorzuheben gilt nicht nur das ungewöhnlich rasche Erscheinen der einzelnen Teilbände, das die wissenschaftsorganisatorische Befähigung der Herausgeber nachdrücklich unterstreicht, sondern auch die insbesondere im letzten Band unter Beweis gestellte Fähigkeit, den Ertrag der vorausgegangenen Bände zur Synthese zu bündeln und auf gegenwärtig dominante Forschungsparadigmen zu beziehen.

Die Beiträge zu den altgläubigen und evangelischen Territorien im Konfessionalisierungsprozeß (Walter Ziegler und Dieter Stievermann) zeichnen sich durch eine überaus abgewogene, differenzierte Darstellung aus. Die Kontinuität fürstlicher Politik - bis zur Infragestellung der Epochengrenze um 1500 (Stievermann) - wird ebenso betont wie die Vielfalt der Verlaufsmöglichkeiten des Konfessionalisierungsprozesses, sei es zwischen glaubensverschiedenen oder glaubensverwandten Territorien. Im transkonfessionellen Vergleich zeigt sich, daß vor allem die späten Reformationsversuche mit einem höheren Risiko des Scheiterns behaftet waren als die frühen, während umgekehrt die katholischen Territorien- von Bayern abgesehen - erst relativ spät den Weg zum Konfessionsstaat einschlugen, die weltlichen Staaten zwischen 1570 und 1620, die geistlichen in der Regel mit zeitlicher Verzögerung, häufig erst um 1600.

In beiden Beiträgen werden Konfessionalisierung und Territorialisierung als sich gegenseitig stützende und verstärkende Prozesse verstanden und der sich konstituierende, konfessionell mehr oder weniger einheitliche Territorialstaat - religiös eingekleidetem Widerstand zum Trotz- als der eigentliche "Gewinner" des Reformationsjahrhunderts ausgezeichnet. Ergänzt wird diese Perspektive durch den Beitrag von Georg Schmidt, der das gegenseitige Verwiesensein von Territorium und Reich akzentuiert.

Der bislang von der historischen Forschung eher zögerlich aufgegriffene Begriff des Reichs-Staates dient ihm als heuristischer Schlüssel, um die gegenwärtig zentrale Forschungsperspektive, wonach die enge Verbindung von Konfessionalisierung und Territorialstaatsbildung zur Desintegration des Reichsverbandes geführt habe, zu relativieren. Insbesondere verweist Schmidt auf die Kapazitäten des Reichsverbandes zur Integration (gerade auch im konfessionellen Konflikt), eine Fähigkeit, die er in hohem Maße in der Existenz nationaler, auf das Reich als übergeordnetem Funktionszusammenhang gerichteter, um die Integrationsideologie der deutschen Nation zentrierter Werthaltungen angelegt sieht. Systemsprengend wirkte in seiner Interpretation erst die konfessionelle Aufladung einzelner Konflikte (191).

Aus sozialgeschichtlicher Perspektive entspricht dies dem Befund Manfred Rudersdorfs, der die Generation der lutherischen Landesfürsten und -fürstinnen nach 1550 beschreibt. In deutlicher Abgrenzung von der älteren Forschung, die das Wirken dieser Fürsten als epigonal-quietistisch eingestuft hatte, betont Rudersdorf den völlig anders gearteten Erfahrungshorizont und Handlungsraum dieser Generation, deren personale Prägung er in der Koinzidenz von persönlicher Frömmigkeit, pragmatisch-patriachalischem Regierungsstil und adelig-dynastischer Lebenswelt sieht. Abgerundet wird das außerordentlich differenzierte Bild der deutschen Territorien im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung durch die Beiträge von Barbara Henze und Johannes Merz, in denen Wirkungsgrad, Wirkungsbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten der Orden und der Landstädte im 16. Jahrhundert unter den Bedingungen des konfessionellen Konflikts untersucht werden.

Besonders hinzuweisen gilt es auf den einleitenden Beitrag von Anton Schindling, der die theoretische Auseinandersetzung mit dem von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard - wenngleich in unterschiedlicher Akzentuierung - elaborierten Konfessionalisierungsparadigma leistet.

Mit allem Nachdruck betont Schindling die außerordentlich fruchtbare Wirkung dieses zwischenzeitlich in eine dominante, um nicht zu sagen erdrückende Stellung eingerückten Forschungsansatzes, aber auch die nicht minder offenkundigen Defizite. So droht der Blick auf die funktionale Gleichheit der Konfessionalisierungsprozesse nicht nur den Blick auf die spezifischen Eigenheiten der Konfessionen zu verstellen; nicht minder akut ist die Gefahr, daß nicht-konfessionelle Faktoren marginalisiert oder nicht zur Kenntnis genommen werden. Diese verortet Schindling vor allem im Bereich rivalisierender Konzepte der Weltdeutung (Humanismus und Mystik, religious dissenters, volkstümlicher und gelehrter Magie). Ausgeblendet werden Sachkomplexe (etwa das Rechtswesen, das Ständewesen, die Herausbildung der modernen Behördensysteme oder des modernen Steuerstaates), für die von anderer Seite eine "eigene Entwicklungslogik" neben der Konfession postuliert wurde (Schulze). Aufmerksamkeit verdienen Schindlings Hinweise auf lohnende Forschungsfelder wie das konfessionelle Niemandsland der reichsritterschaftlichen Herrschaften oder der Kondominate.

Die Bedeutung des Westfälischen Friedens als Epochengrenze in (verfassungs)politischer - nicht konfessionsgeschichtlicher - Hinsicht wird breit gewürdigt, wobei alternative Wertungen dankenswerterweise nicht unterdrückt werden, sondern den Fußnoten zu entnehmen sind.

Beschlossen wird der rundum gelungene Band durch ein Gesamtregister zu den Bänden I-VII.