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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

924–927

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Peters, Christian

Titel/Untertitel:

Apologia Confessionis Augustanae. Untersuchungen zur Textgeschichte einer lutherischen Bekenntnisschrift (1530-1584).

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1997. XLIX, 664 S. gr.8 = Calwer Theologische Monographien, 15. Kart. DM 178,-. ISBN 3-7668-3467-3.

Rezensent:

Martin Seils

Die von Melanchthon verfaßte Apologie des Augsburger Bekenntnisses (AC) hat bislang keine mit den Bemühungen um die Confessio Augustana vergleichbare Forschungsbeachtung gefunden. In jüngerer Zeit schien es sogar opportun zu sein, Confutatio und Apologie eher zu vernachlässigen, damit ökumenische Einigungsbestrebungen insbesondere um das Jubiläumsjahr 1980 herum eine interkonfessionelle Übereinstimmung auf der Basis der Confessio Augustana herzustellen sich bemühen konnten.

Inzwischen hatte es aber wichtige Forschungsergebnisse zu den Augsburger Ausgleichsverhandlungen und zu Geschichte und Text der Confutatio gegeben. Angeregt durch Martin Brecht hat Christian Peters in einer Habilitationsschrift von 1996 nunmehr die eigentlich überfällige Untersuchung der Entstehungs- und Textgeschichte der Apologie unternommen. Von vornherein muß dies als ein Unternehmen von hoher bekenntnisgeschichtlicher Relevanz begrüßt und beachtet werden.

P. gibt einleitend einen umfassenden Bericht zu 450 Jahren Forschungsgeschichte. Teil I der Arbeit befaßt sich mit der Entstehung der Augsburger Fassungen der AC, wobei P. meint zeigen zu können, daß Vorarbeiten bereits vor der öffentlichen Verlesung der Confutatio am 3.8.1530 seit dem 9.7.1530 im Gange gewesen seien. Teil II stellt die Arbeit an der AC nach dem Erhalt des vollständigen Confutatio-Textes im November 1530 dar, die zu einer gänzlichen Neufassung des AC-Textes und unter immerwährenden Verbesserungsbemühungen Melanchthons Ende April/Anfang Mai 1531 zum Druck der sogenannten Quartausgabe lateinischen AC-Textes führte. Der Text befriedigte Melanchthon immer noch nicht, der deshalb weiterarbeitete, was Ende September 1531 zur sogenannten Oktavausgabe der AC führte. P. zeigt, daß dieser Text der zunächst verbreitete war und 1580 auch in das Konkordienbuch aufgenommen, jedoch 1584 aus Mißtrauen gegen Melanchthons Theologie durch den Text der Quartausgabe ersetzt wurde. Daraus meint P. die Folgerung ziehen zu sollen, daß eine Neuausgabe der lutherischen Bekenntnisschriften den lateinischen Oktavtext vom Herbst 1531 enthalten müßte.

In Teil III wird eine eingehende textgeschichtliche Untersuchung der Artikel 4 bis 6 der AC mit allen Be- und Überarbeitungsvarianten geboten, wobei P. darauf hinweist, daß eine bereits im August 1530 von Melanchthon für den kaiserlichen Prediger Aegidius geschriebene Thesenreihe "Quod non dilectio, sed fides iustificet" und eine im April/Mai 1531 verfaßte Disputation "Quare fide iustificemur, non dilectione" wesentlichen Einfluß gehabt haben. Teil IV beschäftigt sich mit Spuren dessen, daß Luther 1531 gelegentlich von einer "Apologia germanica", auch einer "Apologia mea" sprach. P. unterscheidet beide und meint, bei letzterer habe es sich um Luthers Bemühungen auf der Coburg um ein "Buchlin de iustificatione" gehandelt, sozusagen um Luthers "Apologie". Insgesamt habe zwischen Luther und Melanchthon zum Rechtfertigungsartikel der AC "ein echter Lern- und Austauschprozeß" (505) stattgefunden und Luthers Tischreden vom Sommer 1531 zeigten, daß er "ganz auf der Linie Melanchthons" (451) gelegen habe.

Die Bedeutung der P.schen Arbeit liegt in der Erhellung der Textentstehung und -überarbeitung der lateinischen (und deutschen) AC bis hin zu den Ausgaben vom Herbst 1531. Die Mühe um jede noch so kleine Variante ist bewundernswert. Der Einblick in die Textentstehung dürfte vollständig sein. Natürlich wird auch noch einmal klar, daß es sich bei dem Text, den man 1530 dem Kaiser übergeben wollte, und dem Text, der - in welcher Form auch immer - in das Konkordienbuch eingegangen ist, um zwei weitestgehend verschiedene Apologiefassungen handelt.

Es kann hier nicht im einzelnen auf den theologiegeschichtlichen und theologischen Ertrag eingegangen werden. Er liegt zunächst in einem minutiös erfaßbaren Beitrag zur Theologie Melanchthons und dessen Rechtfertigungsauffassung. Dabei wird deutlich, daß Melanchthon 1530/31 das solus Christus und sola fide entschieden in Luthers Sinn herausstellen wollte, daß sein Bemühen um Unterscheidung und Beziehung von fides und dilectio (bzw. charitas) den imputativen Charakter der Rechtfertigung bei aller Berücksichtigung ihres "donum"-Charakters betonend hervortreten ließ, daß sein Drang, die poenitentia als integrierendes Moment des Rechtfertigungsgeschehens herauszustellen, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zumindest tangierte. ("Evangelium arguit peccata et terret conscientias" legt er Aegidius dar, "simul autem ostendit evangelium meritum Christi et remissionem peccatorum nobis per Christum donatam") und daß eine insgesamt anthropologisch orientierte Einbettung sich bemerkbar macht (an Aegidius: "Ideo cor in illis terroribus apprehendit consolationem ex evangelio. Illa fides pacificat cor et ostendit deum placatum").

Eines besonderen Hinweises bedarf P. auf Koffmane und Greschat gestützte Einbeziehung von Luthers "Rechtfertigungs"-Fragmenten von der Coburg 1530. Sogar gegen Koffmane und Greschat möchte P. diese Fragmente möglichst spät, auf den September 1530, datieren. Nun ist wohl deutlich, daß Luther in einem Brief an Melanchthon vom 26.8.1530 zur Rechtfertigungslehre Ausführungen gemacht hat, die sich mit Aussagen in den "Iustificatio"-Fragmenten berühren. Aber P. irrt, wenn er meint, dies belege, daß Luther den Fragmenten-Text kurz nach seinem Brief an Melanchthon geschrieben habe. Er hat nicht Kenntnis genommen von einem schon 1960 veröffentlichten Brief des Luther auf der Coburg zur Seite stehenden Veit Dietrich an den Nürnberger Propst Hektor Pömer vom 8.7.1530 (s. auch RN zu WA 30 II, S. 145), in dem Dietrich mitteilt, Luther habe den Hauptinhalt (summa) des "Iustificatio"-Textes vor etwa zwei Monaten entworfen, er werde darin "alle Stellen zusammentragen, welche die Papisten über die Werkgerechtigkeit gegen die Glaubensgerechtigkeit anführen." Luther konzipierte seine "Fragmente" also schon Anfang Mai und wollte auch eigentlich kein Buch über die Rechtfertigung insgesamt, sondern eine Vergewisserung über strittige Bibelstellen zur Rechtfertigung schreiben. Dem entsprechen die Fragmente weitgehend. Die Bibelstellen lagen sozusagen in der Luft. Die Tatsache, daß manche von ihnen auch in der Confutatio angeführt werden, beweist nicht, daß Luther direkt oder indirekt auf die Confutatio Bezug genommen habe. Und natürlich konnte Luther am 26.8.1530 an Melanchthon etwas schreiben, was in seinen bereits konzipierten "Iustificatio"-Texten stand.

P.s Vorschlag, in das Konkordienbuch anstelle des Quarttextes der AC den Oktavtext vom Herbst 1531 aufzunehmen, hat den Akzept dieses Textes als Bekenntnistext durch den Tag von Schmalkalden 1537, den Naumburger Fürstentag von 1561 und die erste Auflage des Konkordienbuches von 1580 für sich. Ohne Zweifel haben aber alle nach 1584 vorgenommenen Übernahmen der Apologie oder des Konkordienbuches in lutherische Kirchenordnungen und -verfassungen den Quarttext vom Frühjahr 1531 gemeint. Der Vorschlag ist begreiflich, aber er ist repristinativ und auch ein wenig irreal.

Insgesamt: es liegt hier eine in der Sache bedeutende und in der Durchführung sorgsame, eine vielfältig anregende, wenn auch ein wenig harmonisierende Arbeit vor, die der lutherischen Bekenntnisgeschichte wichtige Abläufe und Texte erschließt und in der Forschungsgeschichte zur Apologie der Augsburgischen Confession einen ganz wesentlichen Erkenntnisfortschritt darstellt.

Beigegeben sind der P.schen Arbeit eine textkritische Ausgabe der Dresdener Handschrift der AC (der dem Kaiser am 22.9.1531 angetragene Apologie-Text), eine ebensolche Ausgabe der Haller Handschrift der ältesten Textgestalt der deutschen Apologie und eine ebenfalls textkritische Edition der frühen Wittenberger Redaktion der deutschen Apologie.

Den Rez. haben die vielen Ausrufungszeichen und Klammerhinweise in den Textwiedergaben gestört. Wenn von "Papisten" die Rede ist, müssen nicht immer gleich die "Confutatoren" gemeint sein. Drei "wahrscheinlich" ergeben ein "höchstwahrscheinlich", aber kein "sicherlich". Statt "odit iudicium Dei" S. 337, Textz. 6. v. u. steht CR 27, 433 "odit iudicantem Deum". S. 343, Z. 3/4 v. o. muß "consequimur" bis "fide" gestrichen werden (nur Stichproben).