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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

80–82

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J.

Titel/Untertitel:

Solange die Erde steht. Schöpfungsglaube in der Risikogesellschaft.

Verlag:

Hannover: Luth. Verlagshaus 1997. 144 S. 8 = Mensch - Natur - Technik, 2. ISBN 3-7859-0743-5.

Rezensent:

Jürgen Hübner

Der Band bietet eine sorgfältig überarbeitete Sammlung von Aufsätzen aus den letzten Jahren. Die einzelnen Beiträge sind systematisch einander zugeordnet und aufeinander abgestimmt worden; so ist die Skizze eines systematisch-theologischen Ansatzes entstanden, der von der Schöpfungslehre bis hin zur Eschatologie reicht und von hier aus Perspektiven theologischer Ethik begründet.

Ausgangspunkt ist das Rechtfertigungsgeschehen. In dessen Folge hofft der christliche Glaube "auf eine Zukunft der Schöpfung ..., ohne solche Hoffnung mit einer Überlebensgarantie für das Biotop Erde zu verwechseln" (15). Weisheit gründet in Lebenserfahrung, "experientia", im Unterschied zur Naturwissenschaft, die auf experimenta angewiesen ist. Das Experiment bedarf jedoch einer leitenden Fragerichtung, die ihrerseits einer Orientierungsperspektive eingebildet werden muß.

Biblisch gründet eine solche Perspektive im Vernehmen der Schöpfung und ihres Geheimnisses, das das Geheimnis Gottes ist (G. v. Rad). Nach dem Neuen Testament ist aber kein mystischer Aufschwung zu Gott möglich, vielmehr ist es die Predigt vom Kreuz, in der Neues aufscheint, auch eine neue Moral, die am universellen Gebot der Gottes- und Nächstenliebe orientiert ist. Das heißt: "Das sich seiner Verantwortung bewußte Subjekt muß sich in seinem konkreten Lebensbereich für das Ganze, aber nicht für alles verantwortlich fühlen" (50). Der Rechtfertigungsglaube führt zur Anerkennung unserer Endlichkeit und înfolgedessen zur Selbstbescheidung. "Gerade so lernen wir, was es heißt, die Erde zu bebauen und zu bewahren" (51).

In einem weiteren Kapitel setzt sich K. mit der Kritischen Evolutionstheorie auseinander (52 ff.) und zeigt auf, wie deren Begriff der "Autopoiesis" am Modell der neuzeitlichen Autonomie menschlicher Subjektivität gewonnen ist. Demgegenüber erschließt sich heute der Sinn der christlichen Schöpfungslehre über die "Kritik der Gleichsetzung von Menschsein und Tätigsein" (77). Im Tätigsein ist vielmehr stets der Sachverhalt der schlechthinnigen Abhängigkeit oder der reinen Rezeptivität mitgesetzt (79). Das wird im Folgenden entfaltet (83 ff., 95 ff.): Eine theologische Handlungstheorie muß das Handeln Gottes mitbedenken. "Das Daß unseres Daseins ... bleibt unserem Handeln entzogen" (92), "Dasein heißt Gegebensein" (93). Das Neue christlicher Wahrnehmung von Geschöpflichkeit besteht dann darin, daß für den gerechtfertigten Sünder die mortificatio der vivificatio vorausgeht: "Aus Glauben leben heißt darum, sich selbst als gerechtfertigt gegeben sein" (94). Vergebung von Schuld darf als reales Geschehen erfahren und gedacht werden. Auch eine funktional ausdifferenzierte Risikogesellschaft ist auf eine solche moralische Kompetenz ihrer Mitglieder angewiesen. Sie bedeutet "advokatorische Fürsorgebereitschaft", die auch bereit ist, für andere schuldig zu werden und für die vorhandene Schuld anderer einzustehen (112).

Von diesem Ansatz aus werden in zwei weiteren Kapiteln die ethischen Konzepte A. Schweitzers (114 ff.) und H. Küngs (134 ff.) gewürdigt und kritisiert. Schweitzer habe, vereinfacht gesagt, mit dem Rekurs auf einen universalen Willen zum Leben eine Synthese im Blick, die die Wahrheitsmomente der Philosophie Schopenhauers und derjenigen Nietzsches in sich aufheben will. K. bestreitet deren Denknotwendigkeit. "Es führt gedanklich kein Weg von meinem Wollen und dem Wollen fremden Lebens zu einem Begriff von Verantwortung" (126). Wenn dem Willen zur Macht der Wille zum Leben entgegengestellt wird, so impliziert das in der Tat keinen naturnotwendigen "Instinkt" der Ehrfurcht vor dem Leben; der Wille zum Leben erscheint hier als Wille zur Verwirklichung von Idealen (so Schweitzer selbst, zit. 127 Anm. 84). Leitend ist hier bereits der christliche Glaube. "Es geht nicht allgemein um Religion oder den Gedanken eines Schöpfergottes, sondern zugespitzt um eine Erfahrung, die sachlich dem Rechtfertigungsgeschehen des christlichen Glaubens entspricht" (132). Eine Ethik der universellen Verantwortung für das Leben lebt "heimlich oder offen von theologischen Voraussetzungen" (133).

Auch Küngs Rekurs auf das "wahrhaft Menschliche" leuchtet K. als universales Kriterium des Projekts Weltethos nicht ein. Es gibt hinreichend gegenläufige Erfahrungen mißlingender Gesprächsversuche. Küng bleibe im Kanon spezifisch westlicher Werte. Deren rationalisierende Verallgemeinerung kann anderen Kulturen nicht gerecht werden. So schlägt K. vor, "die Frage nach gemeinsamen Werten und Normen zu ersetzen durch diejenige nach gemeinsamen Handlungszielen. Nicht was wir dürfen und sollen, sondern was wir unbeschadet unserer unterschiedlichen kulturellen Prägung und religiösen Orientierung gemeinsam wollen, ist die entscheidende Frage" (149). Der gemeinsame Wille zum Überleben der Menschheit gehört dazu.

Das letzte Kapitel (151 ff.) thematisiert die Apokalyptik, und zwar "als eine Form der Seelsorge an solchen, die von Endzeitangst umgetrieben werden" (154). Drohender Untergang kann "als Übergang oder Durchgang, die Katastrophe als Krise, die Neues heraufführen kann", erscheinen (159). Krisenangst ist in dieser Sicht mit Gebärangst vergleichbar. Im Gegensatz zu metaphysischen Jenseitsspekulationen oder der säkularen Apokalyptik unserer Tage, der der Hoffnungsaspekt verloren gegangen ist, "bejaht der Glaube die Welt angesichts ihrer heute real möglichen Verneinung und Vernichtung" (166). Er ist eine Weise des Mutes, weil er von der "Erinnerung der Wirklichkeit des Heils" (164) lebt.

Für alle Teile des Buches ist die treffende sachliche Darstellung und Würdigung gerade der Auffassungen, die dann ihrerseits konsistent und kompetent kritisiert werden, hervorzuheben. Polemik kommt nicht vor, wohl aber wird die sachlich scharfe Auseinandersetzung geführt. Wird mit der Rechtfertigungslehre die Anthropologie als theologische Zentraldisziplin erneut rehabilitiert (47), so erweist sich der gängige Individualismusvorwurf jedoch als gegenstandslos. "Zur Vermittlung des Rechtfertigungsglaubens an das geschöpfliche Dasein gehört das Verwiesenwerden an die Mitgeschöpfe" (48). Diesen Ansatz in ersten Entwürfen ausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst Körtners. Man darf auf weitere Arbeiten zur Dogmatik und zur Ethik gespannt sein. Bemerkenswert ist auch der Erscheinungsort: die Buchreihe zur Expo 2000! An solchen Orten hat sich in der Tat die Theologie mit dem auseinanderzusetzen, was "in der Welt" geschieht - ohne zu vernachlässigen, daß sich die Geschöpflichkeit der Welt gerade im Geschehen von Kreuz und Auferstehung, ebenfalls der Welt, zeigt. Heidelberg