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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

921 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Keen, Ralph

Titel/Untertitel:

Johannes Cochlaeus: Philippicae I-VII. Ed. with Introduction and Commentary. I: Text; II: Introduction - Commentary - Bibliography - Appendices.

Verlag:

Nieuwkoop: dee Graaf 1995/1996. XXIII, 375 S. u. VII, 297 S. gr.8 = Bibliotheca Humanistica & Reformatorica, 54. Lw. fFr 180.-. ISBN 90-6004-425-8.

Rezensent:

Helmar Junghans

Diese Edition von sieben Schmähschriften gegen Melanchthon stellt einen eigentümlichen Beitrag zum Melanchthonjubiläum 1997 dar. Der erste Band enthält den Text mit einigen Korrekturen aufgrund von Nachdrucken oder der von Cochlaeus verwendeten Quellen. Die Quellennachweise finden sich in ungewöhnlich großzügiger Gestaltung unter "Commentary" im 2. Band (67-189). Hier werden direkte und indirekte Zitate aus der Heiligen Schrift, aus antiken Autoren, Konzilsbeschlüssen, Rechtsentscheidungen, Kirchenvätern sowie mittelalterlichen Theologen, aber auch aus den Werken von Zeitgenossen wie Johann Eck (1486-1543), Luther und Melanchthon nachgewiesen. Besondere Anerkennung verdient, daß sogar versucht wurde, die jeweils von Cochlaeus herangezogene Textausgabe zu erfassen. Das Bibelstellenregister gibt genau an, ob es sich um ein direktes oder indirektes Zitat handelt, ob der Vers im Text ergänzt oder im Kommentar ermittelt wurde. Das Orte, Personen und Sachen erfassende Register führt auch die Schriften an, aus denen Cochlaeus Zitate entnahm. Damit ist die Quellenbasis dieser Cochlaeusschriften vorbildlich erschlossen. Die Behauptung, der Leipziger Drucker Nickel Schmidt habe nur bis 1531 Schulbücher von Melanchthon, danach Werke von Gegnern der Wittenberger gedruckt (1, IX), läßt unberücksichtigt, daß Helmut Claus in dieser Druckerei bis 1539 Melanchthondrucke nachgewiesen hat.

Das Aufspüren der Vorlagen von Cochlaeus ergibt, daß dieser sich zwar in den 20er Jahren mit Schriften von Luther und Melanchthon beschäftigt, später aber ihre Veröffentlichungen nicht weiter verfolgt, sondern einfach auf seine älteren Kenntnisse zurückgegriffen oder seine Zusammenstellung von Lutherzitaten in "Septiceps Lutherus" von 1529 herangezogen hat. Melanchthons differenzierende Ausführungen in seinen späteren Lociausgaben blieben von ihm unbeachtet. So trat er nicht als ernstzunehmender Gesprächspartner in Erscheinung.

In der Einleitung spürt der Herausgeber die rhetorische Tradition auf und zeigt, wie Cochlaeus sich die Reden des Demosthenes (384-322) gegen König Philipp II. von Makedonien (um 382-336) und die Ciceros (106-43) gegen Marcus Antonius (um 82-30) zum Vorbild nahm. Wie diese beiden Rhetoriker verteidigte er ältere Zustände gegen den Neuerer Melanchthon, den er als Volksfeind und Verräter anschwärzte. Indem Cochlaeus diese antiken Philippiken aufnahm, suggerierte er humanistischen Lesern, daß Melanchthon hinterlistig und verschlagen sei sowie zerstörerisch wirke.

Der Herausgeber skizziert die historischen Gründe, die diese Philippiken entstehen ließen: 1-4: Melanchthons Verhalten auf dem Augsburger Reichstag von 1530, 5: Melanchthons Mitwirken an der Einführung der Reformation in das albertinische Sachsen 1539, wodurch Cochlaeus seine Stellung als Hofprediger und seine Pfründe in Meißen verlor, 6: Melanchthons Mitwirken an der "Kölner Reformation" 1543, und 7: Melanchthons Kritik am "Augsburger Interim" 1548. Der Herausgeber bringt dabei als Motivation für das Abfassen dieser Schriften auch die persönlichen Bedrängnisse des Cochlaeus ein, die diesem seit 1539 aus der Ausbreitung der Reformation erwuchsen. Bemerkenswerter aber ist, wie der Herausgeber die rhetorische Intention des Cochlaeus herausstellt, Kaiser Karl V. und weltliche Gewalten für einen politischen und militärischen Kampf gegen Melanchthon und damit die Reformation zu mobilisieren. Denn dieses Bestreben bestimmte die Argumentation des Cochlaeus mehr als die Absicht, Melanchthons Charakter und Werk angemessen zu schildern oder sich mit ihm theologisch auseinanderzusetzen. Melanchthon wird vorrangig als Aufrührer beschrieben. Auf die Tradition griff Cochlaeus zurück, um zu zeigen, daß die reformatorischen Lehren längst als ketzerisch widerlegt seien.

Es ist der Vorzug dieser Edition, daß sie nicht nur sehr sorgfältig die Quellenbasis des Cochlaeus aufspürt, sondern auch seine rhetorischen Mittel und Ziele bewußt macht. Damit sind gute Voraussetzungen für eine angemessene Interpretation gegeben. Als ein Jubiläumsbeitrag zur Vertiefung des Melanchthonbildes kann diese Edition schwerlich verstanden werden. Aber sie ruft die Anfeindungen ins Bewußtsein, denen Melanchthon von romtreuer Seite ausgesetzt war. Sie blieben nicht nur schon von seinen evangelischen Gegnern unberücksichtigt, sondern werden auch heute noch häufig übergangen.