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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

358-359

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Bochet, Isabelle [Éd.]

Titel/Untertitel:

Augustin philosophe et prédicateur. Hommage à Goulven Madec. Actes du colloque international organisé à Paris les 8 et 9 septembre 2011.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers (Institut d’Études Augustiniennes) 2012. XIV, 590 S. = Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité, 195. Kart. EUR 45,79. ISBN 978-2-85121-256-6.

Rezensent:

Matthias Perkams

Die hier vorzustellende Sammlung, die mit Goulven Madec einem der großen Augustinusforscher der letzten Jahrzehnte gewidmet ist, zeigt sich von seinen Interessen tiefgehend geprägt. Ein erster Teil von immerhin über 60 Seiten beschäftigt sich ganz gezielt mit Madecs Leben und Werk, indem einige Weggefährten über die Rolle des Verstorbenen für die großen Projekte der Augustinus-Forschung Auskunft geben (Augustinus-Lexikon, Bulletin Augustinien) und über die bleibende Bedeutung der von ihm erforschten Themen für die spirituelle Ausbildung in Madecs Ordensgemeinschaft, den Augustiner-Assumptionisten, nachdenken.
Die eigentlich mit Fragen der Geistes- und Ideen-, der Theologie- und Philosophiegeschichte beschäftigten Teile widmen sich nacheinander »Augustinus und Porphyrios«, »Augustinus und die Philosophie«, »Augustinus und der Dienst am Wort« (d. h. die Theologie) sowie der »Überlieferung und Rezeption« seiner Werke. Der mit Porphyrios überschriebene Teil beschäftigt sich insbesondere mit der von Augustinus in De civitate dei häufig herangezogenen, sonst aber unbekannten Schrift De regressu animae des Porphyrios. Eine neue Sammlung der durch Augustinus überlieferten Fragmente dieser Schrift bildet einen Höhepunkt des Bandes, wobei eine unveröffentlichte Arbeit Madecs zu Ende geführt wird. Im Anschluss an die ältere Fragmentsammlung von Bidez werden hier die direkt Porphyrios (bzw. seinem lateinischen Übersetzer) zu­schreibbaren Zitate mit graphischer Absetzung um Bemerkungen des Augustinus ergänzt. Auch einige weitere Parallelen werden zum bisher der Schrift zugewiesenen Material hinzugestellt, freilich mehr, um Augustinus’ Bezüge auf Porphyrios zu verdeutlichen als um etwas über den neuplatonischen Philosophen zu lernen. Der Wert der Edition liegt daher mehr in den Bemerkungen R. Goulets, insbesondere in seinem einführenden Artikel, der noch einmal reflektiert, welche augustinischen Themen von De regressu animae angeregt sein könnten, und außerdem auf bemerkenswerte Positionen des Porphyrios, z. B. sein Konzept einer pneumatischen Seele, eingeht. Abgeschlossen wird der Porphyrios-Teil durch einen Versuch von E. Bermon, die seltsamen in Augustinus’ Grammatica erwähnten Formen essendi, essendo auf die lateinischen Neuplatoniker-Übersetzungen zurückzuführen.
Als interessantester Teil des Bandes, der im Übrigen Madecs Interessen besonders deutlich spiegelt, muss aber der dritte, der Philosophie gewidmete Teil gelten: Hier ergänzt die Herausgeberin des Bandes einen weiteren Torso Madecs und gibt so eine gute Dokumentation der augustinischen Benutzung des verlorenen ciceronischen Hortensius. Das ist sowohl für die Textgeschichte dieser Schrift als auch für die bemerkenswerte geistige Entwicklung Augustins interessant, in der die Philosophie den Weg zum christlichen Glauben ebnete. Dieses Thema wird auch in den übrigen, sämtlich lesenswerten Artikeln dieses Teils verdeutlicht: Die literarischen Dokumentationen dieser Entwicklung sind besonders das Thema von A.-I. Bouton-Toboulic (Augustinus’ Freund Alypius als Skeptiker), B. Stock (die literarische Tradition des Selbstgesprächs in der Antike) und L. Alici (die Verbindung von Fragen und Streben bei Augustinus), während O. Boulnois und G. van Riel noch stärker den Philosophiebegriff als solchen in den Blick nehmen: Der Erste diskutiert ausführlich die von Augustinus nur einmal erwähnte, bei griechischen Christen hingegen häufige Wortverbindung »christliche Philosophie«, während der Zweite auf die Verwendung des Begriffs »Weisheit« eingeht. Alle diese Beiträge sind geeignet, Madecs in Deutschland nicht immer hinreichend be­kannte Feststellung zu unterstreichen, in der Spätantike habe es eher eine christianisation de héllenisme gegeben als eine Hellenisierung des Christentums (vgl. 368).
Weit disparater als dieser recht geschlossene Teil sind die folgenden Ausführungen zu diversen theologischen Themen, deren Höhepunkt wiederum eine Edition bildet, nämlich die Neuedition von sermo 139, für die F. Dolbeau dank der vor einigen Jahren aufgefundenen Mainzer Augustinus-Handschrift eine zweite Überlieferungstradition heranziehen kann; die dadurch erzielten Neuerungen betreffen aber eher Details. Das gilt insgesamt auch für die folgenden Ausführungen zu den Tränen Petri (M. Dulaey), Augus­tinus’ Psalmen-Predigten (P.-M. Hombert) sowie dem Schicksal der Juden nach Augustinus (A. Massie). Der fünfte Teil zur Rezeption beginnt mit einem sehr interessanten Artikel von C. Weidmann über die Frage, wie Augustinus seine Texte organisiert hat und wie er mit vorliegendem Material umgegangen ist. Auch Ph. Selliers Bemerkungen zu Pascals Augustinus-Lektüre erschließen neue Horizonte, während E. Falques Analysen noch einmal den jeweils partiell perspektivischen Charakter der modernen phänomenologischen Augustinus-Lektüre zeigen.
Aufs Ganze gesehen zeigt der Band keine geschlossene Thematik, sondern wirkt wie eine Sammlung von Miscellanea. Doch lohnt gerade für den an der Entwicklung des Philosophiebegriffs Interessierten die Lektüre des dritten Teils sehr, und durch die beiden Editionen erhält der Band einen bleibenden Wert. Beeindruckend ist aber vor allem immer wieder die hohe persönliche und fachliche Hochachtung gegenüber der Person des Goulven Madec, die aus den Bemerkungen aller Beteiligten durchscheint.