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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

343-345

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Frevel, Christian, Pola, Thomas, and Aaron Schart[Eds.]

Titel/Untertitel:

Torah and the Book of Numbers.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. VIII, 429 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 62. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-152947-4.

Rezensent:

Harald Samuel

Der anzuzeigende Band geht auf eine gleichnamige Tagung an der Ruhr-Universität Bochum im Jahr 2011 im Rahmen des Projektes »Traditions- und Redaktionsprozesse im Buch Numeri und ihr Zusammenhang mit der Entstehung des Pentateuchs« zurück.
Der mit Gewinn zu lesende Eingangsessay von Chr. Frevel bietet neben einer kondensierten Einführung in die mit dem Numeribuch verbundenen Forschungsprobleme (Ende der Priesterschrift, Verhältnis von H und P, Funktion spätpriesterlicher Texte in Num, Existenz eines vor-p Fadens) zugleich eine kurze Untersuchung zu Num 27 und 36. Beide Texte sind ein Testfall für die Deutung spätester Fortschreibungen in Num als Toraauslegung, die angesichts verdichteter Selbstreferenzialität überhaupt erst zur Formierung der Tora als solcher führt.
Den zuvor genannten Problemfeldern nähert sich Th. Pola (»Back to the Future: The Twofold Priestly Concept of History«) eher auf Umwegen: Während Pg die von den vor- bis frühnachexilischen Propheten erwartete eschatologische Zukunft in die Vergangenheit transponiere, trage Ps die Probleme ihrer Zeit und nicht zuletzt die Gerichtstheologie in die Vergangenheit ein. Darin spiegele sich eine Art Kompromiss mit spätdeuteronomistischer Theologie, zugleich begründe der eschatologische Charakter von Pg bzw. P im Ganzen das Ende der Literargeschichte des Pentateuchs. Auch wenn solche idealtypischen Gegenüberstellungen nicht ohne Berechtigung sind, wünschte man sich doch gelegentlich eingehendere Begründungen für die recht weitgehenden Schlussfolgerungen.
Dem negativen Bild der Wüstenwanderungszeit geht Th. Römer (»Egypt Nostalgia in Exodus 14 – Numbers 21«) nach. Während sich die Ägypten-Nos-talgie in den Murrgeschichten in Ex jeweils als redaktionell nachgetragen zeigen lasse, gehöre sie in Num eher zur Substanz der Erzählungen (dass die Dathan-Abiram-Episode in Num 16 zum Jüngsten gehören soll, passt nicht in dieses Bild, ist allerdings auch nicht überzeugend) und zeige so die tendenziell späte Formung des Numeribuches. Offen bleibt, inwieweit die betreffenden Texte zur gleichen Schicht gehören oder ob diachron weiter differenziert werden muss, woran sich die generelle methodische Frage nach der Reichweite von Redaktionen anschließt.
Eine Art kommentierte Inhaltsangabe des Buches Numeri liefert H. Seebass (»Numeri als eigene Komposition«). Das begrüßenswerte Bestreben, Num in seiner Eigenheit zu würdigen, kommt an seine Grenzen, wenn »einige Elemente« in die Komposition »nicht ganz ungezwungen eingepasst sind« (106) und Texte wie 7,1–88; 9,1–14 und 31,1–54 erst »kanonische Zusätze« (98, ein hochproblematischer Begriff) sein sollen. Die Argumentation findet ihr Ziel in der Behauptung, Num gehöre sachlich »in die Folge des Buches Exodus« (106), Lev hingegen sei nirgends vorausgesetzt. Mindestens ebenso erstaunlich wie diese gewagte These ist auch das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit R. Achenbachs »Vollendung der Tora«.
Chr. Nihan (»The Priestly Laws of Numbers, the Holiness Legislation, and the Pentateuch«) widmet sich in Abgrenzung von Thesen einer »Holiness School« (I. Knohl) oder »~Redaction« (J. Milgrom) der genaueren Standortbestimmung »(spät)priesterlicher« Fortschreibungen im Pentateuch. Neben die Verschiedenartigkeit der literarischen Phänomene in Gen–Lev (»legal-exegetical alignment«) einerseits und Num (»new composition«) andererseits trete die sachliche Differenz letzterer Texte zum Heiligkeitsgesetz selbst oder gar zu späten Supplementierungen desselben, wie Nihan am Beispiel des Levitenzehnten Num 18/Lev 27 illustrieren kann. Für die Frage nach der Komposition des Pentateuch sind diese Beobachtungen, die noch um die Perspektive priesterlicher Revisionen im Dtn ergänzt werden müssten, von erheblicher Tragweite und wegweisend für künftige Forschung.
Mit sehr viel Feingefühl für die Vermittlung von diachroner und synchroner Logik untersucht Chr. Frevel (»Ending with the High Priest«) das Verhältnis von Priestern und Leviten in Num und dessen Konsequenzen für die Stellung des Buches im Pentateuch. In kritischer Opposition zur üblichen Forschungsmeinung sieht er keine Statusminderung der Leviten als vielmehr eine hierarchische Zuordnung, die in genealogischer Zuspitzung auf die Aaroniden und schließlich hohepriesterliche Führungsansprüche auch politischer Natur in Num 35 zulaufe. Der Unterschied zum bekannten »Levitenschweigen« in Gen–Lev sei nicht notwendigerweise literarhistorischer Natur, sondern lasse sich auch auf narrativ-konzeptionelle Gründe zurückführen. Gegen das Verständnis von Num als später Brücke zwischen einem Triateuch und dem Deuteronomium spreche etwa, dass keinerlei Vermittlung mit dem deuteronomischen Konzept von Levitentum vorliege. Mit dem Thema rührt Frevel an eines der Schlüsselprobleme der alttestamentlichen Literargeschichte, und auch wenn sich manche Detailprobleme bei stärkerer Betrachtung des Dtn unter Umständen anders darstellen mögen, so hat Frevel hier jedenfalls eine Reihe gewichtiger Beobachtungen und Argumente vorgelegt, die es künftig zu beachten gilt.
Die vieldiskutierten Kundschaftergeschichten Num 13 f./Dtn 1 werden von A. Schart (»The Spy Story and the Final Redaction of the Hexateuch«) untersucht. Basierend auf der andernorts ausführlich begründeten Annahme, Num 13 f. sei aus einem J- und einem P-Faden zusammengesetzt, wobei letzterer ersteren kenne, beleuchtet Schart sorgfältig und unter eingehender Berücksichtigung der LXX Dtn 1,19–46. Dieser Text setze noch nicht die P-Version von Num 13 f. voraus, weise aber auch mit der J-Fassung nicht genügend wörtliche Parallelen auf, um die Annahme literarischer Abhängigkeit zu rechtfertigen, vielmehr sei mit gemeinsamer »oral tradition« zu rechnen (dass die Grundschicht in Dtn 1 ohne eine Vorlage von Num 13 f.* sinnvoll lesbar sei, wird man bestreiten können). Zunächst in einem selbständigen Werkzusammenhang fortgeschrieben (Dtn 1,29–33*), zeigen sich danach zwei Gruppen harmonisierender Glossierungen: zuerst auf J bezogen, später auf P. Während Num 32,8–13 nochmals jünger als die Zusammenarbeitung all dieser Fassungen sei, kenne Dtn 9 P noch nicht, gleiches gelte für Jos 14,6–15a, welches aber andererseits Details und evtl. sogar denselben Verfasser mit Num 32 teile (ein logisches Problem, das unaufgelöst bleibt); Jos 15,13 f. verweise eher auf eine Hexateuch-Schicht, die der Verknüpfung mit P vorangehe; Ps 106 schließlich scheine von J und P unbeeinflusst. Eine deutende Lesung im kanonischen Zusammenhang und theologische Implikationen runden den anregenden Artikel ab.
Eine Fülle an Beobachtungen zu intertextuellen Bezugnahmen, die sich in dem sehr späten Text Num 15 spiegeln, findet sich bei R. Achenbach (»Complementary Reading of the Torah in the Priestly Texts of Numbers 15«). Minutiös wird die Verwertung von Vorlagen vor allem aus Lev nachgewiesen und die jeweils damit einhergehende interpretative Veränderung fruchtbar gemacht für eine Lesart, welche die diesem Literaturbereich so eigene Verschränkung von Gesetz und Erzählung beachtet. Auf diese Weise gelingt es Achenbach überzeugend, Rolle und Stellung von Num 15 zwischen den Rebellionsgeschichten Num 13 f. und 16 f. einerseits, zwischen Aufbruch vom Sinai und Erteilung der letzten Anweisungen an die Priester (Num 18) andererseits zu erklären.
Nach einem knappen forschungsgeschichtlichen Abriss zu Num 17 nimmt J. Baden (»Source Stratification, Secondary Additions, and the Documentary Hypothesis in the Book of Numbers: The Case of Numbers 17«) seinen Ausgangspunkt bei Ps 106 und Num 26. Während diese Texte deutlich machten, was bei Rezeption der bereits miteinander verbundenen priesterlichen und nicht-pries-terlichen Erzählfäden aus Num 16 zu erwarten sei, zeige Num 17 keinerlei Kenntnis der nicht-priesterlichen Geschichte. Das Kapitel könne daher, ebenso wie mögliche Supplementierungen darin, nur Teil der noch selbständigen Pries­terschrift sein, wodurch sich die Quellenhypothese indirekt einmal mehr bestätige. Eine nachvollziehbare Aufschlüsselung von Num 16 auf mögliche Quellen unterbleibt freilich ebenso wie eine auch nur andeutungsweise Auseinandersetzung mit redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zu diesem Kapitel, womit bereits eine Grundvoraussetzung Badens fraglich wird. Gleiches gilt für die Erwartungshaltung, Num 17 als Fortsetzung von Num 16 müsse sich eben-so verhalten wie die Bezugnahmen auf die Erzählung an sich in Ps 106 oder Num 26 (Dtn 11 wird nur am Rande erwähnt). Viel Rhetorik zur Verteidigung der »New Documentary Hypothesis« geht hier Hand in Hand mit einem bemerkenswerten Unverständnis für literarkritische Methodik.
A. Leveen (»›Lo we perish‹: A Reading of Numbers 17:27–20:29«) bietet ein »close reading« der im Untertitel benannten Passage unter dem Aspekt von Tod und Untergang. Der Ertrag mitgeteilter Lektüreeindrücke ohne jegliche Thesenbildung erschließt sich mir freilich nicht.
Eher wie eine Predigtmeditation liest sich über weite Strecken der Aufsatz von H. Specht (»Die Verfehlung Moses und Aarons in Num 20,1–13* P«). Die Lektüre ist durchaus anregend und Specht vermag dem Text interessante Aspekte abzugewinnen. Freilich bleibt die Forderung nach einer »P-spezifische[n] Literarkritik« (274) methodisch hochproblematisch, wie die nachfolgenden Seiten überdeutlich machen: Statt mit Beobachtungen am Text wird thesenhaft mit einem vorgängigen Verständnis von P gearbeitet. Der Zirkelschluss bei diesem Verfahren liegt auf der Hand.
In einer detaillierten literarkritischen Analyse erläutert L. Schmidt (»Sihon und Og in Num 21,21 ff.* und Dtn 2,24 ff.*«) seine Sichtweise der komplexen literarischen Wechselbeziehung zwischen besagten Texten, wobei die Stellen im Dtn in der Substanz von ihren Vorlagen in Num abhängig seien. Man wird in Fragen der absoluten Datierung und redaktionsgeschichtlicher Einzelheiten anders urteilen können: So scheint mir etwa der Vorschlag Sh. Gesundheits, Dtn 2,26–31 als innerbiblischen Midrasch/Fortschreibung im Kontext zu verstehen, ausgesprochen bedenkenswert. Auch wenn sich dadurch das Bild in Dtn 2 erheblich ändert, bleiben andere Argumente für die Abhängigkeit der Dtn-Passagen von Num bestehen. Für die Idee, das Buch Num sei im Ganzen eine späte redaktionelle Bildung, ist das, so einleuchtend Schmidt, ein schwerlich zu lösendes Problem.
J. M. Robker (»The Balaam Narrative in the Pentateuch/Hexateuch/Enneateuch«) argumentiert schlüssig gegen Versuche einer Quellenscheidung in Num 22–24 und entwickelt stattdessen ein redaktionsgeschichtliches Modell. Eine ursprünglich selbständige, aus dem Nordreich stammende Bileamerzählung (einschließlich der Verse 5.11 – diese würden nur auf Tradition, nicht notwendigerweise auf Texte verweisen!) sei noch vor-dtr in einem enneateuchischen Kontext erweitert worden, erst anschließend in einem Hexateuch- und schließlich Pentateuchrahmen. Dieses Bild decke sich im Grundsatz mit der Entwicklung sonstiger Bileamtraditionen im Alten Testament von einem positiven Bild des fremden Sehers hin zu einer immer negativeren Charakterisierung. Die in Teilen gewiss originelle These leidet ein wenig unter der mangelnden Berücksichtigung manch relevanter Vorgänger (u. a. Rösel 1999, Witte 2002).
Die literarische, sozio-historische, ideologische und theologische Funktion des Motivs der zweieinhalb ostjordanischen Stämme ist das Thema für O. Artus (»Numbers 32: The Problem of the Two and a Half Transjordanian Tribes and the Final Composition of the Book of Numbers«). Für Num 32 lasse sich eine zweistufige Entstehung wahrscheinlich machen, wobei die jüngere Schicht einen Schwerpunkt auf priesterlichen Führungsanspruch (Eleasar) auch über die Diaspora lege; Ähnliches gelte für Jos 13–22. Diese Texte spiegelten das Interesse postpriesterlicher Autoren, innerhalb eines polyzentrischen Judentums die Zentralität von Jehud und Jerusalem durchzusetzen (375). Das 9 ½+2½-Stämme-Schema, das die geographische Vielfalt des Judentums in spätpersischer Zeit repräsentiere, überlagere dabei das ältere Ger-Esrach-Schema des Heiligkeitsgesetzes, bei dem die unterschiedliche Herkunft – Gola oder im Lande verbliebene Bewohner – im Vordergrund stehe. Artus’ Ideen verdienen gründliche Beachtung.
Der Beschluss des Bandes ist E. Otto (»The Books of Deuteronomy and Numbers in One Torah. The Book of Numbers Read in the Horizon of the Postexilic Fortschreibung in the Book of Deuteronomy: New Horizons in the Interpretation of the Pentateuch«) überlassen. In einer Synthese seiner Ideen bekräftigt Otto noch einmal die Schlüsselrolle des Deuteronomiums für die Literargeschichte auch des Num-Buches, das im Lichte einer Fragmentenhypothese und post-dtr Hexa- und Pentateuchredaktionen verstanden werden müsse. Die Bestimmung von Ort und Ziel der vor-dtr Fragmente einer Kundschaftergeschichte oder einer Edom-Sihon-Erzählung, die einerseits ins dtr Dtn aufgenommen, andererseits aber (dtr vermittelt und doch davon geschieden) als post-dtr Hexateuchfortschreibung in Num aufgenommen wurden, bleibt dann wohl den »New Horizons« überlassen.
Der Band ist grundsätzlich in gewohnter Sorgfalt hergestellt, lediglich bei hebräischer Schrift gibt es gelegentlich Unstimmigkeiten. Die eingangs von Frevel so konzis formulierten Forschungsfragen finden, sofern sie bearbeitet werden, recht unterschiedliche Antworten. Das kann momentan wohl auch nicht anders sein, umso mehr ist den Herausgebern für ihr Engagement in diesem wichtigen Feld alttestamentlicher Forschung zu danken.