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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

919–921

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schumacher, Thomas

Titel/Untertitel:

Trinität. Zur Interpretation eines Strukturelements Cusanischen Denkens.

Verlag:

München: Utz 1997. 243 S. 8 = Philosophie. Kart. DM 88,-. ISBN 3-89675-244-8.

Rezensent:

Martin Thurner

Die vorliegende, an der Hochschule für Philosophie S. J., München bei J. Splett als Dissertation entstandene Untersuchung stellt in mehrerlei Hinsicht hohe Ansprüche: Zum einen thematisiert der Autor das bei Nikolaus von Kues ebenso zentrale wie komplexe Trinitätsproblem; zum anderen will er sich gegenüber der Monographie zur selben Thematik von R. Haubst dadurch profilieren, daß er nicht "beschreibend die Vielfalt auslegt, in welcher NvK die Schöpfung als Abbild des dreieinen Gottes auffaßt, sondern auf die Bewertung einer systematischen Trinitätslehre des NvK abzielt" (21); weiter verspricht sich der Vf. von seinen "parallelen Aktivitäten in der Strategischen Planung des Volkswagenwerks ... einen höheren Gesamtoutput, als es die thematische Monokultur leisten könnte" (5), um dadurch "dem Leser einen Mehrwert zu vermitteln"; letztendlich will er aber mit seiner Untersuchung nichts weniger erreichen als "dem einen Ziel zu dienen: Ad maiorem Dei gloriam" (6). Seinem Anliegen entsprechend, "bestimmte cusanische Systemansätze ... auf ein Trinitätskonzept hin konstruktiv (und damit nicht nur deskriptiv) zu interpretieren" (22), gliedert der Vf. die Studie in vier Teile: "Die vorliegende Arbeit konfrontiert daher das cusanische Denken (Analysen in den Teilen 1 und 2) mit der systematischen Frage nach der Trinität (konstruktive Interpretation im Teil 3). Auf dieser Basis lassen sich schließlich (in Teil 4) die cusanische Trinitätslehre bewerten wie auch ihr Beitrag zu einer systematisch motivierten Auseinandersetzung mit der Frage nach der Trinität überhaupt ermessen." (19) Insgesamt verspricht Schumacher, "die Trinitätslehre des NvK im Kontext des cusanischen Systems insgesamt zu ergründen" (22).

Zunächst ist es auffällig, daß die Darlegung des eigentlichen Themas, nämlich des cusanischen Trinitätsgedankens, auf 36 Seiten erfolgt. Die den übrigen Raum (also über 200 Seiten) einnehmenden Abschnitte behandeln zu einem kleineren Teil allgemeine Aspekte des cusanischen Denkens und seiner Interpretation, zum überwiegenden Teil aber Gedankenzusammenhänge anderer Autoren (Przywara, Rahner, Splett, Bochenski, Weissmahr u. a.), die zur intendierten ,konstruktiv-systematischen Interpretation’ dienen sollen. Bereits die einleitenden Bemerkungen über die ,historisch-systematische Fokussierung’ (9-14) des cusanischen Denkens vermitteln einen Eindruck von der Arbeitsweise des Vf.s: Es handelt sich größtenteils um eine Sammlung von Sekundärliteraturzitaten zur Frage nach der mittelalterlichen oder neuzeitlichen Einordnung des Cusanus und dem Problem, inwiefern sein Denken ,systematische’ Züge hat, ohne daß daraus schließlich eine klare eigenständige Position bezogen und deren Zusammenhang mit der Trinitätsthematik aufgewiesen würde. Nicht um schulmeisterlicher Korrektur willen, sondern für den Leser, der in diesem Zitatensteinbruch den einen oder anderen Diamanten herausleuchten sieht und dessen Quelle finden möchte, sei angemerkt, daß der häufig als ,Dangelmeyer’ zitierte Autor unter ,Dangelmayr’ in den Katalogen zu finden ist. In den breiten Ausführungen zur Analyse des Geistes und der Erkenntnis bei Cusanus (30-82) fehlt nicht nur der Bezug auf die Trinitätsthematik, sondern sie führen im einzelnen zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen wie etwa, daß bei Cusanus "im zahlenmystischen ontologischen Ordnungsschema Ästhetik zum Kriterium für Wahrheit avanciert" (52).

Was den zentralen Abschnitt über den cusanischen Trinitätsgedanken betrifft, ist zunächst festzustellen, auf welcher Quellenbasis er erarbeitet ist. Dabei fällt auf, daß der Vf. fast ausschließlich aus den Predigten nach dem gegenwärtigen Editionsstand der kritischen Gesamtausgabe (also gut der Hälfte, allesamt aus der frühen Phase des cusanischen Denkens) zitiert. Er hält es offenbar nicht für notwendig, die bedeutenden Abschnitte zur Trinität aus den philosophischen Schriften (De docta ignorantia, Idiota-Schriften, De pace fidei, De visione dei, De beryllo, De aequalitate, De possest, De non aliud, De ludo globi, De venatione sapientiae) einzubeziehen. Doch auch die relevanten Gedankengänge aus den betreffenden Predigten werden nicht interpretierend nachvollzogen, sondern einzelne Sätze daraus als Bestätigung für unabhängig davon gewonnene Aussagen in den Fußnoten zitiert. Inhaltlich will der Autor in diesem Hauptteil "die Begriffe Einheit und Dreiheit aus dem Werk des NvK heraus näher beleuchten" (102).

Auf 10 Seiten äußert er sich zum cusanischen Einheitsbegriff und seiner neuplatonischen Herkunft, wobei aber kaum auf die Trinität Bezug genommen wird, und es nicht einmal als Frage gesehen wird, inwiefern Cusanus das neuplatonische Einheitskonzept von seinem Trinitätsverständnis her modifiziert. Daß "Cusanus der neuplatonischen Denktradition folgt, ... wo ein geistiger Selbstvollzug nur auf der ersten Emanationsstufe möglich ist" (103) trifft wohl weniger zu, weil das cusanische Verständnis der Trinität des Absoluten das neuplatonische Einheitsverständnis gerade dahingehend modifiziert, daß es die von Plotin auf der zweiten Stufe des Geistes angenommene zeitfreie Selbsterkenntnis schon von der obersten Stufe der trinitarisch begriffenen absoluten Einheit aussagt. Was der Vf. meint, wenn er das Ternarelement conexio mit den eingeklammert danebenstehenden Begriffen "nous=mens" gleichsetzt (105), ist schwer nachzuvollziehen; wahrscheinlich beruht dies auf einer Identifikation des Heiligen Geistes, den dieser Begriff bezeichnet, mit dem plotinischen nous-Gedanken und dem cusanischen mens-Verständnis, die sich der fundamentalen Differenzen dieser drei mit demselben Wort ,Geist’ benannten Inhalten offenbar nicht bewußt ist. Überhaupt scheint der Vf. mit philosophiegeschichtlichen Gleichschaltungen keine großen Schwierigkeiten zu haben: Wenn Cusanus "die Schöpfung als explicatio-complicatio-Vollzug interpretiert", so "scheint er Ähnliches zu behaupten", wie Hegel in seinem Trinitätsverständnis (15 f.); nun ist aber bei Cusanus die Schöpfung gerade nicht als der Selbstvollzug der Trinität begriffen, sondern die Trinität im Unterschied zu Hegel als das zeitfreie Selbstverhältnis des Absoluten verstanden.

Im folgenden Abschnitt 2.2 Triaden stellt der Vf. die gedankliche Genese der cusanischen Trinitätsspekulation so dar, daß Cusanus neben der Einheitsphilosophie des Neuplatonismus mit den "triadischen Strukturen" "eine weitere Denktradition in sein System eingearbeitet hat": "aufgrund der Tatsache, daß Gott nun Prinzip dieser (triadisch strukturierten) Welt ist, mutmaßt NvK die Dreifaltigkeit bzw. Triadik Gottes." (110 f.). Ein Blick in den Gedankengang der Trinitätsargumentation beispielsweise in De docta ignorantia oder De non aliud zeigt aber, daß Cusanus die Trinität des ersten Prinzips gerade nicht von seinen kreativen Explikationen her, sondern vielmehr aus dem Begriff des Absoluten selbst deduziert. Die von dem Vf. angeführten Triadenbeispiele stammen darüber hinaus zum überwiegenden Teil nicht aus dem Bereich der Welt, sondern aus demjenigen des geistigen Selbstvollzugs des Menschen. Als "bedeutendste Vorgabe" bespricht der Vf. schließlich "den dritten großen Traditionsstrang, auf den sich NvK bezieht", nämlich "das depositum fidei seiner katholischen Kirche" (124). Auf einigen Seiten werden nun die lehramtlichen Dokumente zur Trinitätslehre zusammengefaßt, aber es wird nicht einmal danach gefragt, wie Cusanus - etwa im Unterschied zu anderen theologischen Entwürfen - die Glaubensvorgaben in einer für sein Denken spezifischen Weise reflektiert. Inwiefern Trinität, wie im Untertitel der Arbeit angekündigt, Strukturelement des cusanischen Denkens ist, wird nicht weiter thematisiert.

Auf der Grundlage dieser Erwägungen kommt der Vf. zum Ergebnis, daß "zur Frage der Trinität in den Cusanus-Texten ein heterogener Befund zu konstatieren ist: Eine aufgrund der Denktradition der Triaden plausibel erscheinende ,trinitas’ und eine durch die neuplatonische hen-Tradition gestützte ,unitas’ werden von NvK mehr rezipiert als synthetisiert" (137). Von daher sieht sich der Vf. vor die Aufgabe gestellt, das cusanische Trinitätsdenken erst zu einem solchen zu machen. Auf den Seiten 137-220 sucht er auf sogenannten Diskursfeldern nach dazu geeigneten Gedankenzusammenhängen und findet diese in der ,Identitäts-Differenz-Struktur’ des Analogiedenkens. Ob aber das aristotelisch-thomasische Seinsverständnis (auch in seinen neueren Rezeptionen, wie beispielsweise bei Przywara), von dem Cusanus sich in seinem Grund-Gedanken einer absoluten Differenz als Identität bewußt absetzt, ein geeignetes hermeneutisches Instrument für sein Trinitätsdenken ist, bleibe dahingestellt. Wie mit dem Analogiedenken die von Cusanus gedachte Disproportionalität von Unendlichem und Endlichem überwunden werden soll, ist hier nicht einmal als Problem bewußt. Aus der Bemerkung, daß "die Ontologie des NvK esse absolutum und esse contractum einander gegenüberstellt" (221), geht vielmehr hervor, daß der zentrale cusanische Gedanke des Seins Gottes über allen Gegensätzen nicht als solcher zur Kenntnis genommen wurde.

In seinem abschließenden Ergebnis faßt der Vf. zusammen, daß "NvK mit seinem Systementwurf Grundlagen für eine systematische Trinitätslehre bereitstellt, ohne jedoch selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen" (221). Cusanus "arbeitet keine konsistente Trinitätslehre aus", das Verhältnis von unitas und trinitas werde "in den Cusanischen Schriften nicht konsistent definiert ... NvK erreicht lediglich eine nachträgliche Synthese". Cusanus komme "über ein Lippenbekenntnis" nicht hinaus, "eine Begründung über die bloße Feststellung hinaus, daß unitas immer schon trinitas und trinitas immer schon unitas sei, findet sich jedoch nicht". Die "in seinem Entwurf aufgegriffenen verschiedenen Geistesströmungen" vermag "Nvk nicht in ein System hinein zu integrieren", "eine Identität der innergöttlichen Personen wahrt er im Grunde nicht". Insgesamt muß Schumacher feststellen, "daß NvK keine explizite, konsistente Trinitätstheologie entworfen hat" (223-225).

In Anbetracht der Tatsache, daß sich der Interpretierte selbst nicht mehr gegen ein derartiges Urteil wehren kann, sieht sich der Rez. dazu veranlaßt, zu behaupten, daß wohl eher Schumacher keine explizite, konsistente Darlegung, geschweige denn Interpretation der cusanischen Trinitätslehre vorgelegt hat. Zur höheren Ehre Gottes beitragen zu wollen, wird seinerseits zum Lippenbekenntnis, wenn nicht einmal der minimale Anspruch einer Wissenschaftsethik befolgt wird, nämlich die Kenntnisnahme der Quellentexte eines Autors, von dem behauptet wird, seine Ausführungen seien unzulänglich. Ein derartiger Umgang mit einem der bedeutendsten philosophisch-theologischen Denker läßt sich nur mit größten Bedenken zur Kenntnis nehmen.