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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

337-339

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Abalodo, Sebastien B.

Titel/Untertitel:

Structure et théologie dans le Trito-Isaïe. Une contribution à l’unité du Livre.

Verlag:

Rom: Editrice Pontificia Università Gregoriana 2014. 368 S. = Tesi Gregoriana Teologia, 208. Kart. EUR 27,00. ISBN 978-88-7839-286-1.

Rezensent:

Andreas Schüle

Die Arbeit von Sebastien Abalodo ordnet sich ein in eine Reihe neuerer Beiträge zu Jes 56–66, die die Funktion dieser Kapitel für das Jesajabuch im Ganzen in den Blick nehmen. Hier findet eine kritische Auseinandersetzung mit der in der Jesajaforschung lange dominierenden Ansicht statt, dass Tritojesaja (TJ) ein literarisch weitgehend inhomogener und theologisch epigonaler Appendix zu Deuterojesaja sei. Demgegenüber möchte der Vf. theologisch im Rückgriff vor allem auf Rolf Rendtorff und Martin Sweeney sowie literarisch im Anschluss an Odil Hannes Steck, Jacob Stromberg u. a. zeigen, dass TJ als intentional gestalteter Abschluss des Jesajabuches zu verstehen ist.
Der Vf. geht für TJ von einem mehrstufigen Wachstumsprozess aus, in dessen Zentrum der »Kern« von Jes 60–62 steht, an den sich, vor- und nachgestellt, weitere Textelemente anlagerten (Jes 56–59*; 63–65*). Auf diese Weise entstand im Lauf der Zeit eine konzentrische Struktur, deren äußeres Ende die Rahmung aus Jes 56,1–8 und Jes 66* bildete. Wie auch für die Theorien, auf die sich der Vf. beruft, bleiben hier allerdings offene Probleme: Die Vorstellung von Kern und Rahmen scheint sich noch an der älteren Vorstellung von TJ als ursprünglich eigenständiger Überlieferung zu orientieren, für die ein solches, in sich geschlossenes Kompositionsprinzip freilich sinnvoll erscheint. Wenn allerdings »Tritojesaja« das Ergebnis sukzessiver und in sich durchaus heterogener Fortschreibungen zum übrigen Jesajabuch ist, bleibt erklärungsbedürftig, warum diese Texte noch einmal eigens gerahmt und abgegrenzt wurden. So gewinnt man den Eindruck, dass Bernhard Duhms TJ auch noch in entstehungsgeschichtlichen Analysen präsent ist, die eigentlich schon mit der Vorstellung multipler Fortschreibungen und/oder Redaktionen arbeiten.
Im konkreten Fall hätte man sich gewünscht, dass der Vf. etwas genauer seine implizite These diskutiert hätte, dass konzentrische Strukturen, die eigentlich Modellen synchroner Textwahrnehmung entspringen, gleichsam das Kristallisat diachroner Entstehung sind. Die Frage drängt sich umso mehr auf, als der Vf. konzentrische Strukturen auf allen Ebenen der Textanalyse von Jes 56–66, im Mikro- ebenso wie im Makrobereich, findet. Im Gesamtbild ist es für den Vf. nicht erheblich, wie viele Hände über welchen Zeitraum an Jes 56–66 arbeiteten, weil das Ergebnis ein Maß an theologischer Kohärenz aufweist, das die Annahme eines impliziten Autors erlaubt, ob dieser nun real existiert hat oder nicht. Die Rede von TJ richtet sich also auf die literarische Funktion und das theologische Programm von Jes 56–66 im Blick auf das Jesajabuch insgesamt.
Entsprechend sind es weniger entstehungsgeschichtliche Fragen, die den Vf. beschäftigen, sondern die theologische Einheit des Jesajabuches, die in Jes 56–66 ihren Dreh- und Angelpunkt hat. Diesbezüglich arbeitet der Vf. in Kapitel II der Arbeit zwei thematische »Binome« heraus: Bund und Gerechtigkeit (»alliance – justice«) sowie Erwählung und Sendung (»élection – mission«). Diese werden zunächst jeweils für sich an den drei kompositorischen Einheiten TJs (Jes 56–59; 60–62; 63–66) dargestellt und dann noch einmal exemplarisch anhand von Jes 61, als Kulminationspunkt der Gesamtkomposition, und Jes 58 illustriert. Ausgehend von dieser Binnenbetrachtung werden in den Kapiteln III und IV dann die Verbindungslinien zu Deutero- und Protojesaja hergestellt. Diesbezüglich vertritt der Vf. die These, dass TJ das Thema Erwählung und Sendung aus Jes 40–55 und das Thema Bund und Gerechtigkeit aus Jes 1–39 übernimmt. Die thematische Engführung beider Linien und die daraus resultierende, übergreifende Struktur des Buches ist demnach die eigentliche Leistung TJs. Eine vergleichbare These hat zuletzt Jacob Stromberg vertreten. Allerdings schreibt dieser nur vergleichsweise wenigen Abschnitten von Jes 56–66 Bedeutung für die Entstehung des Jesajabuches zu, während der Vf. davon ausgeht, dass Jes 56–66 insgesamt dieser Aufgabe gewidmet ist.
Methodisch stützen sich die Textanalysen vorwiegend auf die Betrachtung von Schlüsselbegriffen und dazu gehörender Wortfelder. Diesbezüglich leistet die Arbeit einen eigenen und weiterführenden Beitrag. Gerne hätte man mehr darüber erfahren, wie sich der Vf. die literarische Abhängigkeit TJs von Proto- und Deuterojesaja genauer vorstellt. Der Vf. arbeitet mit der Vorstellung des »Echos«, das ältere in jüngeren Texten hinterlassen. Arbeiten wie die von Wolfgang Lau und Benjamin Sommer hätten hier Präzisierungen ermöglicht. Allerdings stellt der Vf. klar, dass ihn die unterschiedlichen Formen literarischer Abhängigkeit (Echo, Zitat, Anspielung etc.) nicht eigens interessieren – »Par ailleurs, les objectifs du travail sont essentielle thématique« (248).
Eine andere Anfrage an die Arbeit betrifft das Verhältnis von Proto- und Deuterojesaja. Der Vf. geht davon aus, dass es sich hierbei um zwei ursprünglich eigenständige und voneinander unabhängige Werke handelt, die erst durch die Hand TJs miteinander verbunden wurden. Diese These kann sich freilich besonders auf die ältere Jesajaforschung berufen – Bernhard Duhm war bekanntlich der Meinung, dass Deuterojesaja ursprünglich überhaupt nicht im Blick auf das Jesaja-, sondern das Jeremiabuch geschrieben wurde. Der Vf. positioniert sich damit allerdings im Gegensatz zur heute vorwiegenden Tendenz, Deuterojesaja als gezielte Fortsetzung und in vielen Details als Fortschreibung zu Protojesaja zu lesen. Letztere Hypothese geht davon aus, dass es bereits innerhalb von Jes 1–55* eine (oder mehrere) Synthese(n) von Proto- und Deuterojesaja gab, die TJ also bereits vorausliegen. Dafür spricht vor allem, dass die beiden vom Vf. herausgearbeiteten Binome freilich nicht auf Protojesaja einerseits und Deuterojesaja andererseits aufgeteilt werden können; vielmehr gibt es in beiden beides. Hier wäre z. B. an Jes 11 zu denken, wo sowohl das Gerechtigkeitsmotiv als auch das Erwählungs- und Sendungsmotiv begegnen. Dass Jes 11 zahlreiche Parallelen in Jes 61 und 65 hat, ist oft beschrieben worden. Handelt es sich dabei also um einen tritojesajanischen Text außerhalb von Jes 56–66? Oder sollte man annehmen, dass es theologische Synthesen, an denen der Vf. interessiert ist, eben auch vor und neben TJ gab? Die Auseinandersetzung mit Fragen dieser Art vermisst man etwas, auch und gerade weil der Vf. mit einem relativ einfachen (und insofern fraglos attraktiven!) entstehungsgeschichtlichen Modell arbeitet.
Im Gesamtbild liefert der Vf. einen substantiellen Beitrag zur Motiv- und Theologiegeschichte des Jesajabuches, die, analog zu anderen gegenwärtigen Arbeiten, zu einer Aufwertung der literarischen und inhaltlichen Bedeutung TJs für das Jesajabuch führt. Die These, dass TJ in gewisser Weise »der (eine)« Ort ist, an dem das Jesajabuch zur Einheit seiner selbst findet, dürfte aber doch etwas über das Ziel hinausschießen. Dem Band beigegeben ist ein Autoren-, leider aber kein Stellenregister.