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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

916 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Fritz

Titel/Untertitel:

Ockham-Rezeption und Ockham-Kritik im Jahrzehnt nach Wilhelm von Ockham in Oxford 1322-1332.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1998. 171 S. 8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N.F. 50. Kart. DM 54,-. ISBN 3-402-04001-8.

Rezensent:

Volker Leppin

Der vorzustellende schmale Band ist die jüngste von zahlreichen Studien des emeritierten Professors am Philosophisch-Theologischen Studium Erfurt zum Umfeld Wilhelms von Ockham. Sie ist Summe und Fortführung dieser Arbeiten zugleich: Summe, insofern H. die Anstrengung unternimmt, die vielen Einzelstudien zu einer Gesamtschau zusammenzubinden, Fortführung, insofern H. mit Adam Wodeham und Walter von Chatton seine Aufmerksamkeit auch auf bislang noch wenig von ihm beachtete Autoren richtet. Die Bedeutung des Bandes liegt darin, daß er - in Aufnahme und Weiterführung englischsprachiger Forschungen (v. a. W. J. Courtenay) - einen Beitrag dazu leistet, das intellektuelle Milieu an einer der bedeutendsten Universitäten des späten Mittelalters zu erhellen.

H.s Vorgehen ist dabei ganz ideengeschichtlich motiviert und orientiert. Aufgrund seines Interesses an der "Vorliebe für neue Erkenntnisse auf nichttheologischem Gebiet und ihre Einbeziehung in die Theologie" (16) im frühen vierzehnten Jahrhundert konzentriert er sich auf positive wie negative Reflexe Ockhamschen Denkens in der Oxforder akademischen Lehre. Wegen dieser an sich sinnvollen Konzentration nimmt H. bedauerlicherweise eine der wichtigsten neu gefundenen Quellen zu seinem Themenkomplex gar nicht in den Blick: die 1990 von Girard Etzkorn publizierte Handschrift (AFH 83, 1990, 557-567), die belegt, daß Ockham sich schon 1323 gegenüber einem franziskanischen Provinzialkapitel über die Rechtgläubigkeit seiner Lehre zu erklären hatte.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, deren erster die von H. untersuchten Quellen vorstellt, während der zweite eine zusammenfassende Auswertung bietet. Die sehr komplexe Vorstellung der Quellen findet ihren roten Faden in den Themen der Gotteslehre (mit Betonung der Allmachts- und der Gnadenlehre) einerseits und der Erkenntnislehre andererseits.

In seiner Ockham-Interpretation schließt H. sich denjenigen Forschungstendenzen an, die das Bild eines vergleichsweise moderaten Venerabilis Inceptor zeichnen, und macht dies insbesondere an der Ethik deutlich, in der er Ockham unter Verweis auf die Bindung des göttlichen Willens an die Güte Gottes von dem Vorwurf einer Willkürethik freispricht.

Anhand der Diskussion um die Frage der habituellen Gnade kann er dann nachzeichnen, wie von Ockham über dessen Kritiker Walter von Chatton zu Adam Wodeham, der die Kritik wieder zurückgibt, eine Argumentationslinie läuft, in der Ockham und Wodeham die Notwendigkeit der habituellen Gnade durch Verweis auf die göttliche Freiheit zum Erlaß abweichender Heilsordnungen relativieren. Bei allen theologischen Unterschieden bleibt dabei Grundlage die scharf logische Akzentuierung der Argumentation. Diese wird bei Holcot gar noch verschärft, der nun ganz den Gedanken der freien göttlichen acceptatio in den Vordergrund rückt, indem er betont, daß eine Abhängigkeit der Seligkeit von einem Gnadenhabitus bedeutete, daß Gott sich von etwas Geschöpflichem abhängig machte. Die Fokussierung auf Gott, wie sie sich hier in der Gnadenlehre zeigt, macht H. dann an Wilhelm Crathorns Erkenntnislehre deutlich, der seine Skepsis im Blick auf Existenzerkenntnis soweit treibt, daß am Ende allein noch Gottes Barmherzigkeit dem Menschen die Gewißheit sichern kann, daß seine Annahme von Existenz ihn nicht irreführe. Dies nimmt H. zum Anlaß zur dichten Rekonstruktion der in Anschluß an Ockham geführten Diskussion um die Rolle der species im Erkenntnisprozeß: Gerade daß Crathorn sie gegen Ockham beibehalten hat, wurde bei ihm Grundlage erkenntnistheoretischer Skepsis.

Der zweite Teil des Werks beginnt mit der Herausarbeitung der milieuspezifischen Bedingungen der dargestellten Gedankengänge: In institutioneller Hinsicht streicht H. die Prägung des Denkens durch die akademische Disputation wie auch den- von H. etwas unglücklich mit dem modernisierenden Begriff "interdisziplinär" belegten - engen Zusammenhang der Fächer an der mittelalterlichen Universität heraus und verweist zudem auf die im 14. Jahrhundert fast sprichwörtliche Fixierung der Engländer auf Logik. Es folgt eine Zusammenfassung der herausgearbeiteten theologischen Entwicklungen.

Das eindrücklichste Kapitel in diesem Zusammenhang findet sich unter der Überschrift "Forschungsgeschichtliche Erinnerungen". Es sind Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes, denn H. ist es vergönnt, auf sechzig Jahre Forschungsgeschichte als aktiv Beteiligter - beginnend mit seiner Breslauer Dissertation über Johannes Lutterell von 1941 - zurückblicken und diese nun Revue passieren lassen zu können. Vor dem Hintergrund einer in seiner Arbeit durchweg spürbaren normativen Orientierung am Werk des Thomas bekennt er sich zu der in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker verbreiteten positiven Bewertung auch des von Ockham geprägten Stromes spätscholastischer Theologie.

Dieses beeindruckende Werk eines verdienstvollen Forschers hätte eine sorgfältigere Lektorierung verdient: Das Sachregister hätte stärker im Blick auf die Wahl lateinischer oder deutscher Fachterminologie systematisiert werden können. Und daß der für logische Beispiele verwendete "Grieche" einen Eintrag in das Sachregister erhalten hat, ist ebenso wenig hilfreich wie die Aufnahme von Editorennamen in das Personenregister.