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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

283-285

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dangel, Silke

Titel/Untertitel:

Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse. Analysen zum interkonfessionellen Diskurs des Chris­tentums.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. X, 374 S. = Theologische Bibliothek Töpelmann, 168. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-034375-5.

Rezensent:

Jutta Koslowski

Dies ist die überarbeitete Fassung der Promotionsschrift von Silke Dangel, die 2013 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg angenommen wurde und dort von der evangelischen Systematikerin Friederike Nüssel betreut worden ist. Das Fachgebiet ist die ökumenische Theologie – also ein Themenbereich, bei dem es derzeit wenig neue Entwicklungen zu verzeichnen gibt und der im aktuellen Diskurs eher am Rand steht. Umso wichtiger ist es, dass sich immer wieder einzelne Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler finden, die sich in der Ökumene profilieren und dieses Fach weiter voranbringen. Bedauerlich an diesem Buch ist allerdings der Preis von knapp 100 Euro, weshalb dieses Werk wohl fast nur in Bibliotheken zu finden sein wird und für den individuellen Leser schwer erschwinglich bleibt. Sollte es nicht möglich sein, mit Hilfe von Druckkostenzuschüssen ein Buch von normalem Umfang zu einem bezahlbaren Preis zu produzieren (zumal angesichts dessen, dass die Vfn. jahrelang honorarfrei daran gearbeitet hat)? Wenn die Veröffentlichung wissenschaftlicher Er­kenntnisse nicht nur eine Formalität ist, sondern dazu dienen soll, Ideen tatsächlich ›unter die Leute zu bringen‹, dann bedarf es dazu einer veränderten Preispolitik der entsprechenden Verlage. Im Übrigen: Bei einem so teuren Buch sollte der Text professionell korrekturgelesen werden und keine zahlreichen Druckfehler enthalten, wie es hier leider der Fall ist.
Die Vfn. konzentriert sich in ihrer Arbeit auf die Frage nach der konfessionellen Identität. Dies ist ein Aspekt, dessen zentrale Be­deutung für den ökumenischen Dialog in den letzten Jahren zunehmend erkannt worden ist. Dabei wurde das Thema Identität zumeist in problematischer Weise diskutiert, nämlich so, dass die Rekonfessionalisierung – im Sinne des sogenannten ›Profilökumenismus‹ – vorangetrieben worden ist. Hier setzt die Vfn. ein Gegengewicht, indem sie dem (ebenfalls im Fokus der ökumenischen Forschung stehenden) Problem der Konstruktion konfessioneller Identitäten nachgeht (bei ihr ›Identitätskonstitution‹ genannt). In einem einführenden Kapitel beschäftigt sie sich mit »Konfessionelle[r] Identität als Gegenstand ökumenischer Prozesse«. Danach folgt der Hauptteil der Arbeit, worin die Frage nach der konfessionellen Identitätskonstitution anhand von konkreten Beispielen analysiert wird. Diese Beispiele sind zwei bilaterale Dialoge auf internationaler Ebene, nämlich zum einen der Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken über die Rechtfertigungslehre und zum andern derjenige zwischen Katholiken und Pfingstlern. Da­mit hat die Vfn. Dialoge ausgewählt, die von ihrem Charakter her sehr unterschiedlich sind, und es stellt sich die Frage, inwieweit sich die Beobachtungen aus beiden Untersuchungsgegenständen tatsächlich vergleichen lassen. Jedenfalls erhält die Darstellung dadurch eine gewisse Weite und erscheint nicht einseitig. In einem abschließenden Kapitel unter dem Titel »Konfessionelle Identitätskonstitutionen in ökumenischen Prozessen« werden die Ergebnisse ausgewertet.
Die zentrale These der Vfn. lautet, dass konfessionelle Identität keine statische Größe ist, sondern eher ein dynamischer Prozess, und dass sich die Selbstwahrnehmung aufgrund des Dialoggeschehens wandelt. Damit wird eine alte Grundwahrheit des ökumenischen Dialogs neu ausgesprochen: »Im Angesicht des andern erkenne ich mich selbst.«
Nach meinem Dafürhalten lässt sich diese These eher anhand des katholisch-pfingstlichen Dialogs belegen als aufgrund des lutherisch-katholischen Dialogs – und dies hat vermutlich mindestens ebenso viel mit den Besonderheiten dieses Dialogs mit den Pfingstlern zu tun wie mit dem Dialogprozess im Allgemeinen. Pfingstler sind bekannt für die Dynamik ihrer Glaubensauffassung, deshalb verwundert es kaum, dass sie im Verlauf des Dialoggeschehens einen deutlichen Wandlungsprozess durchlaufen ha­ben (mehr als ihre katholischen Partner, deren Identitätskonstitution in diese Untersuchung übrigens leider nicht einbezogen wird, ohne dass die Begründung hierfür überzeugt; vgl. 247). Die Pfingstler waren mit den Gepflogenheiten des offiziellen ökumenischen Dialogs zunächst wenig vertraut und haben darüber in kurzer Zeit viel gelernt, ebenso wie über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Theologie, über die katholische Kirche – und eben über sich selbst. Begünstigt wurde dies durch vertraute persönliche Beziehungen der Dialogpartner untereinander, wo­durch ein positives Klima geschaffen wurde. Insofern ist der katholisch-pfingst-liche Dialog in mancher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung innerhalb des komplexen Netzwerks bilateraler Dialoge und lässt sich deshalb nur bedingt zur Gewinnung allgemeingültiger Er­kenntnisse heranziehen.
Der lutherisch-katholische Dialog über die Rechtfertigungslehre dagegen weist eher Merkmale des »klassischen« Dialoggeschehens auf. Tatsächlich lässt sich eine Entwicklung der Identitätskonstitution der beteiligten Partner hier schwerer aufzeigen – wenn, dann vielleicht am ehesten als ›Rück-Entwicklung‹ hin zu den jeweils eigenen konfessionellen Profilen. Dennoch ist eine solche Entwicklung erkennbar, und dies spricht für die Richtigkeit der Thesen der Vfn. Über diesen Dialog resümiert sie: »Es konnte in der vorgelegten Analyse gezeigt werden, dass der Notwendigkeit der konfessionellen Selbstverständigungsdiskurse im Vorfeld der ›Gemeinsamen Erklärung‹ nicht nachgegangen wurde, weshalb der Erarbeitungsprozess an der ›Gemeinsamen Erklärung‹ selbst eine lange Diskussionsphase benötigte. Nicht zuletzt weil die Kirchenleitungen selbst zu Stellungnahmen aufgefordert wurden, verlagerte sich der Selbstverständigungsdiskurs über das Thema der Rechtfertigungslehre in die ökumenische Arbeit an der ›Ge­mein-samen Erklärung‹ hinein. […] Nach der Veröffentlichung der endgültigen Fassung brachen dann auf lutherischer und katholischer Seite auf unterschiedlichsten Ebenen Konflikte auf, die als Konflikte um die konfessionellen Identitäten charakterisiert werden können.« (232)
Insgesamt ist diese Dissertationsschrift gut lesbar; die Vfn. versteckt sich nicht hinter unnötigen Fachausdrücken und spricht an vielen Stellen ein klares und eigenständiges Urteil aus. Sie leistet einen engagierten Beitrag zu der für die Ökumene so wichtigen Frage nach der Identität und bringt dies mit der weithin anerkannten Zielvorstellung von ›Einheit in versöhnter Verschiedenheit‹ in Verbindung:
»Wird der ökumenische Einheitsgedanke ernstgenommen, und zwar nicht nur als ein postulatorisches Ziel sondern als ernsthafte Größe, aus der heraus konfessionelle Identität ihre Daseinsberechtigung bezieht, so müssen die beiden Spannungspole von Grundkonsens und Grunddifferenz, von Einheit und Verschiedenheit in den ökumenischen Einheitsgedanken integriert werden. Die Frage, ob die konfessionellen Differenzen trennende Divergenzen oder legitime Verschiedenheit darstellen, ist damit hinfällig, insofern das exklusiv verstandene Verhältnis von Konfession und Ökumene zugunsten eines neuen Verständnisses aufgegeben wird. Einheit und Verschiedenheit werden nicht mehr als einander ausschließende Größen betrachtet, sondern als aufeinander bezogene Pole verstanden.« (339)