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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

277-279

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Pulte, Matthias, u. Ansgar Hense [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderungunter besonderer Be­rücksichtigung des Verhältnisses von Staat und Katholischer Kirche in Deutschland.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 318 S. m. 10 Abb. = Kirchen- und Staatskirchenrecht, 17. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77882-6.

Rezensent:

Martin Zumbült

Der Band sammelt die Beiträge einer Fachtagung zum genannten Thema, die vom 10. bis 12. September 2012 in der Akademie Erbacher Hof des Bistums Mainz stattgefunden hat. Die 16 Beiträge, de­nen eine Ansprache des ehemaligen rheinland-pfälzischen Minis­terpräsidenten Beck vorausgeht und denen sich ein Nachwort von Hense anschließt (299–318), in dem er die bestehende Diskussion analysiert, befassen sich mit den Formen staatlicher Zuwendungen oder Begünstigungen für die Religionsgemeinschaften durch den deutschen Staat – und nur am Rande mit der Kirchensteuer – und ziehen Rechtsvergleiche mit Blick auf das benachbarte europäische Ausland. Die Beiträge ermöglichen vor allem in ihrer Zusammenschau einerseits einen umfassenden Überblick und andererseits so viel Detailwissen, dass sie den Leser in die Lage versetzen, sich kundig und differenziert ein eigenes Bild von den gesellschaftspolitischen, staatstheoretischen, rechtswissenschaftlichen, rechtsphi-losophischen, theologischen wie auch kirchenrechtlichen Im­plikationen dieses Komplexes zu verschaffen. Daher wird auf eine Einzelbesprechung der Beiträge verzichtet, vielmehr sollen die aus der Zu­sammenschau folgenden Zusammenhänge dargestellt werden.
Den staatskirchenrechtlichen Überblick bietet Pulte von Konstantin bis zum Kulturkampf über die Konkordate bis zur heutigen Kooperation (213–238), innerhalb derer der Staat die Religion fördert, insbesondere unter dem Aspekt der möglichen Förderung muslimischer Gemeinden. Fraglich ist schon hier, ob alle sogenannten res mixtae auch staatliche Förderung bedeuten. Alle Autoren differenzieren sauber zwischen den verschiedenen Arten staatlicher Förderung: Kirchensteuer(einzug), negative Staatsleistungen, z. B. Gebühren- u. Steuerbefreiungen (hierzu kenntnis- und detailreich: Kube [143–163]), Subventionen, Refinanzierung und Förderung kirchlicher Einrichtungen und den sogenannten Dotationen, den Schadensersatzleistungen für die Säkularisationsfolgen. Bezüglich Letzterer besteht Einigkeit unter den Autoren, dass der Verfassungsauftrag des Art. 138 WRV, diese Leistungen abzulösen, nach 97 Jahren endlich umzusetzen ist: zur Sicherung der staatlichen Haushalte, zur Wahrung der kirchlichen Glaubwürdigkeit. Dies reicht bis zur Präsentation eines konkreten Vorschlags von Droege (15–25), der eine Ablösung für praktikabel hält (25). Warum dies bisher nicht geschehen konnte, bringt Schon (247–258) auf den Punkt: »Rechtlich liegt der Ball im Spielfeld des Bundesgesetzgebers, politisch liegt er im Spielfeld der Kirchen.« (258) Vor allem dadurch, dass die Dotationen nicht mehr als Real-, sondern als Pauschalleistungen gezahlt werden [Droege, 19; Haering, 43], und durch den historischen Abstand und die zweifelhafte Identität des Schuldners mit seinen Rechtsvorgängern [Kruip, 140] sind diese Leistungen unverständlich geworden, auch wenn das GG sie bis zur Ablösung im Bestand garantiert. Europarechtliche Bedenken gegen die Dotationen meldet Müller-Franken (185–214) unter der Frage an, ob es sich hierbei um verbotene Beihilfen iSd. Artt. 107 ff. AEUV handelt. Dass das EU-Recht gegebenenfalls keine Scheu hätte, Kirchen als »Unternehmen« zu werten (196), weil sie Geld einnehmen, sich auf einem »Markt« bewegen und »Dienstleistungen« erbringen, erschreckt und verwundert den Leser; eine Gewinnerzielungsabsicht sei nicht erforderlich. Im Ergebnis aber sind die altrechtlich (vor 1958) begründeten Dotationen im Bestand ge­schützt. Ob zu den ablösungsbedürftigen Staatsleistungen (= StLg.) auch die neg. StLg. gehören, ist indes unter den Autoren umstritten: für möglich hält dies: Kube, 150 f.; dagegen: Droege, 16 f.; auch Haering. Kruip und Kube betonen, dass Privilegien der Kirchen umso akzeptabler sind, je mehr sie auch anderen Religionsgemeinschaften und Sozialleistungsträgern nach dem Paritätsgrundsatz zukommen. Schon stellt heraus, dass diese neg. StLg. nicht allein für die Kirchen, sondern für alle AöR und KöR bestehen (257). Selbst unter der Annahme, dass Schon pro domo argumentiert und rechnet, machen seine Darstellungen deutlich, dass der Kirchensteueranteil in refinanzierten Einrichtungen weit größer ist, als allgemein angenommen. Aus europarechtlicher Sicht ist vor allem die Förderung karitativer Einrichtungen, u. a. durch Steuer- und Abgabenbefreiungen, problematisch, da es hier einen privatrechtlichen Markt gibt (Müller-Franken, 203 ff.). Dass ein Herausnehmen der karitativen Einrichtungen aus dem Wettbewerbsrecht wegen allgemeinen wirtschaftlichen Interesses durch hoheitlichen Akt allein durch staatliche Beauftragung erfolgen könne (208 f.), erschließt sich indes nicht, denn zu denken wäre hier an eine staatliche Anerkennung analog zu Ersatzschulen. Kubes detaillierte Ausführungen zu Steuervergünstigungen für kirchliche Einrichtungen und Kirchsteuerzahler machen für den Nichtfachmann deutlich: Steuerrecht ist in all seiner Komplexität immer von vorstaatlichen Annahmen geprägt: »Denn die Existenz des Steuerpflichtigen und sein Erwerb, an dem der Staat steuerlich partizipiert, setzen infrastrukturell nicht nur körperliche Existenz und – zugespitzt formuliert – Ar­beitskleidung voraus, sondern darüber hinaus auch sehr viel weitergreifende, in Grenzen auch das Kulturelle und Religiöse einbeziehende Lebens- und damit Erwerbsgrundlagen.« (Kube, 157) Die religiöse Blindheit der EU bestehe zwar nicht mehr (Müller-Franken, 213), aber sie läuft noch immer Gefahr, dass sie in ihrer Grundausrichtung auf Wirtschaft und (Verdrängungs-)Wettbewerb die kulturellen Voraussetzungen der Einzelstaaten vernichtet, von denen sie lebt.
Dass die Probleme der staatlichen Förderung der Kirchen nicht nur in Deutschland existieren, zeigen die rechtsvergleichenden Beiträge. Messner (165–183) räumt mit dem weit verbreiteten Bild Frankreichs als religionsblind oder streng laizistisch auf. Bezüglich neg. StLg. steht Frankreich Deutschland in nichts nach. Großer Wert wird dort auf das Paritätsgebot gelegt. Getragen ist dies von der »Theorie zur sozialen Nützlichkeit der Religion« (180). In französischen Überseegebieten wird der Klerus sogar teils vom Staat be­zahlt. An Mosel und Rhein finanziert der französische Staat ca. 1.400 Stellen von Geistlichen, theologische Fakultäten und Religionslehrer. Er übernimmt im ganzen Land auch Teile der Anstaltsseel-sorge und Baulasten. In Ungarn, so zeigt Schanda (239–245), werden Religionsgemeinschaften seit der Bodenreform 1945 vor allem durch StLg. finanziert. Seit 1989 wurden den Kirchen Teile des Grundvermögens zurückgegeben, teilweise erfolgt die Finanzierung über StLg. Für Belgien und Luxemburg weist Torfs (259–277) auf die Besonderheit hin, dass zwar der Staat den Klerus bezahlt, die Diözesen und Pfarreien aber keine Rechtspersönlichkeit besitzen. In den Niederlanden bestehen StLg. in der Anstaltsseelsorge und in neg. StLg. ähnlich wie in Deutschland, dort haben religiöse Ge­meinschaften in der Regel Rechtspersönlichkeit (265 f.). In BeNeLux ist die Kirchenfinanzierung von der Entschädigung für die napoleonischen Enteignungen, Parität und der Theorie des sozialen Nutzens geprägt. Vinzent (279–298) fokussiert kaum nachvollziehbar auf Inhalte interreligiösen Religionsunterrichts als StLg. für die Church of England, die wiederum Staatskirche ist, was sie von kontinental-europäischen Kirchen wesentlich unterscheidet. Der größte Teil der englischen Kirchenfinanzierung erfolgt über Fonds und Spenden.
Wer sich qualifiziert an den oft polemisch geführten Diskussionen um die »reiche Kirche« und die Kirchenfinanzierung beteiligen will, dem sei dieses Buch zur Lektüre empfohlen. Es schafft Überblick und Detailwissen, räumt mit Vorurteilen auf und rückt vieles zurecht. Es ist keine Apologie katholischer Besitzstandswahrer, sondern ein sachlicher und nüchterner Beitrag, der das deutsche System in gute Relationen setzt und doch Änderungen anmahnt, wo sie möglich und nötig sind. Eine vom Inhalt geleitete Anordnung der Beiträge hätte den Band noch zugänglicher gemacht.