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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

914–916

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Garrett, Susan R.

Titel/Untertitel:

The Temptations of Jesus in Mark’s Gospel.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1998. X, 212 S. 8. Kart. £ 12.99. ISBN 0-8028-4259-3.

Rezensent:

Peter Müller

Susan R. Garrett, Neutestamentlerin am Louisville Presbyterian Theological Seminary in Kentucky, möchte mit ihrer Arbeit einen Beitrag leisten zur Erhellung der markinischen Christologie und Soteriologie, und dies nicht nur im Sinne einer historischen Auskunft über Jesus, sondern ebenso im Sinne der "living question of all disciples - ’Who is Jesus, for me, in my life, today?’" (2). Dabei bedient sie sich des Gedankens von Versuchung und Prüfung als eines Interpretationsmodells (3 ff.). Sie ordnet ihre Arbeit ein in die Auslegungsrichtung des narrative criticism (6). Indem sie rhetorische Signale und Konventionen benennt, die die ersten Leser des Evangeliums beim Verstehen geleitet haben, versucht sie, die Bedeutungsfülle des Textes einzugrenzen und zu bestimmen (11), nicht im Sinne der einzig möglichen, wohl aber im Sinne einer nachvollziehbaren und überzeugenden (compelling!) Lektüre (12.172). Sie geht davon aus, daß Jesu Tod für seine Nachfolger Verstehenskrisen hervorrief, die nach Jesu Auferstehung noch um die Frage ergänzt wurde, wie sie selbst für Gottes Plan nur hatten so blind sein können, bis dahin, daß sie Jesus in seiner größten Not allein ließen. So gesehen stellt das Markusevangelium sich dar als ein Ringen darum, den Tod Jesu, das eigene Unverständnis und die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu verstehen und standhaft zu bestehen. Unter dieser Perspektive sei "the most obvious hermeneutical challenge" im Markusevangelium "the problem of Satan" (15).

Im ersten Kapitel (19-49) untersucht G. traditionelle Aussagen zum Thema Versuchung. Im einzelnen geht es um göttliche Versuchungen mit der Absicht der Prüfung (etwa Gen 22) oder der Erziehung (Sprüche, Sirach) sowie um das Aushalten und Bestehen der Versuchungen (vor allem PsSal 13,7-11 und die Makkabäerbücher). Neben die göttlichen Versuchungen treten diejenigen Satans, die, von unterschiedlichen Traditionen gespeist, darauf zielen, die Gläubigen in die Irre zu führen. Hier dienen vor allem Hiob, das Testament des Hiob sowie verschiedene apokalyptische Passagen des Neuen Testaments als Belege (41 ff.). Sie unterstreichen die Auffassung, daß Satan mit all seinen Versuchungen der Gerechten doch letztlich Gott untersteht.

Vor diesem Hintergrund beschreibt G. in Kapitel 2 (51-88) und 3 (89-135) die Versuchungen, denen Jesus selbst nach dem Markusevangelium ausgesetzt ist. Sie sieht Jesus von Anfang an auf einem "straight and narrow way of the Lord" (87), der ein Weg zum Kreuz sei - und zugleich voller Versuchungen Satans, jüdischer Autoritäten und der Jünger, von ihm abzuweichen (53). Dies wird besonders an der Versuchung Jesu in der Wüste (Mk 1,12 f.), an Auseinandersetzungen mit den Pharisäern (8,11-13; 10,2; 12,13-17) und an Mk 8,27-33 dargestellt. Die Versuchung Jesu in der Wüste gilt als Schlüssel für das Evangelium insgesamt: "To make the case that testing is for Mark an important interpretive theme, I need only to show that in Mark’s portrayal enemies tested him repeatedly during the period of his itinerant ministry and his passion. ... it may not be out of line to suppose that, for Mark and for some early readers, the notion of ’testing’ was the key to interpreting all of Jesus’ interactions with his adversaries" (60). Mit diesem Verstehensschlüssel greife Markus auf die Vorstellung vom Leiden des Gerechten zurück, vor allem auf Weish 2,14 ff. (66ff.). In der Passion trete dieses Leiden des Gerechten als Versuchung seiner Standhaftigkeit in besonderer Weise hervor, und die Kreuzigung sei der Höhepunkt (134).

Im vierten Kapitel (137-169) geht es um das Verständnis der Jünger als "Disciples on Trial", wobei zu den Jünger auch die Leser/innen des Markusevangeliums gehören (151 ff.). Da die Kontrastschemata von Versuchung und Standhaftigkeit sowie Blindheit und die Mahnung zum Verstehen als Grundmuster in der frühchristlichen Literatur vielfach festzustellen seien, könne man von diesem Horizont auch bei den Leser/innen des Markusevangeliums ausgehen (147 ff.). Als "Jünger in Versuchung" (152 ff., besonders unter Hinweis auf Mk 13) könnten sie sich aber an Jesus orientieren und im Glauben an sein "perfect sacrifice" (162) ihre Versuchungen bestehen. "In summary, Mark constructs his readership as a community of faithful persons on trial" (158), die ihren Glauben in Gebet und Nachfolge (163ff.) zeigten. Und eben hierin liege auch die Bedeutung der markinischen Christologie und Soteriologie für heute.

Ich habe das Buch mit großer Sympathie gelesen. Es ist flüssig geschrieben und läßt sich leicht nachvollziehen. Das narrative Grundverständnis des Evangeliums halte ich für zutreffend, und die rezeptionsorientierte Perspektive nimmt mit den Lesern und Leserinnen des Evangeliums auch die Gegenwart in den Blick, eine Verschränkung, die ich in der gegenwärtigen Exegese für sehr wichtig halte. Bei der These von Versuchung und Standhaftigkeit als grundlegendem Interpretationsmodell des Evangeliums bin ich gleichwohl skeptisch. Die Anlage des Buches (besonders die vorgeschaltete Darlegung der Versuchungstraditionen) und die Durchführung im einzelnen (z. B. die Argumentation mit Paulus 147 ff. oder vielfach mit anderen frühchristlichen Traditionen) erwecken wiederholt den Eindruck, daß das Interpretationsmodell schon fertig ist, bevor Garrett mit ihrer Lektüre des Evangeliums beginnt. Problematisch sind auch das einlinige und die integrative Christologie des Markus nur unvollständig beschreibende Verständnis der Kreuzestheologie sowie die starke Orientierung am Leiden des Gerechten; beide Aspekte sind im Evangelium zwar vorhanden, müssen aber m. E. im Verbund mit anderen christologischen Vorstellungen interpretiert werden. Und die Vorstellung von dem Versuch Jesu, seine Jünger über seinen Leidensweg aufzuklären (enlighten, 71.75), während deren Sicht von Satan verdunkelt sei, ist eine kaum haltbare Interpretation des Jüngerunverständnisses. Kurz: Dieser in sich stringente Interpretationsversuch im Rahmen des narrative criticism müßte gleichwohl die verschiedenen Erzählstrategien des Evangeliums umfassender beachten.