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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

245-246

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Weier, Winfried

Titel/Untertitel:

Gibt es objektive Wahrheit? Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Erkenntniskritik.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 215 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-76941-1.

Rezensent:

Folkart Wittekind

Winfried Weier (1934–2013) war seit 1962 Assistent von Hans-Eduard Hengstenberg an der damals noch eigenständigen Pädago-gischen Hochschule in Würzburg, bevor er 1969 als Professor für Christliche Philosophie an die dortige Katholisch-Theologische Fakultät berufen wurde. Auf Hengstenberg beruft sich W., um die antik-mittelalterliche Teilhabe-Philosophie von Platon bis Thomas im antimodernen Sinn neu (sinntheoretisch) zu fassen. Hengs­tenberg hatte in den 20er Jahren bei Scheler und Nicolai Hartmann studiert, bevor er sich dem Guardini-Kreis anschloss und zum katholischen Glauben konvertierte. Auch bei W. zeigt sich ein kämpferischer konservativer Katholizismus, der allen modernen Autonomieforderungen grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Der Theoriestand des Buches weist auf die 1950er und 1960er Jahre zurück, in denen auch in der Fachphilosophie die existenzialistischen, phänomenologischen und sinnbezogenen Theorien der 20er Jahre ontologisch fundiert wurden. Die grundlegenden Inhalte, Interpretationen und Ideen finden sich bereits in Texten W.s aus der Dekade nach 1963.
Die eigentliche Intention des Buches besteht in der weltanschaulichen Bekämpfung des modernen »Immanentismus«: Jede Form der Selbstbegründung der Vernunft und der Ableitung von objektiver Erkenntnis aus ihrer Selbstgesetzgebung wird nicht nur abgewiesen, sondern es wird umgekehrt behauptet, dass Erkenntnis nur möglich sei, weil es objektive Wahrheit gibt. Die »Scheu vor der Sinnforderung«, die den neuzeitlichen Menschen prägt, weil »sein Begriff des Gegebenen […] ein positivistisch verengter ist«, muss durch eine »freie[] und klare[] Anerkennung der Sinnforderung« und durch ein »Sichbeugen unter die souveräne Macht des Widerspruchsgesetzes« (159) aufgehoben werden. Erkenntnistheoretische Argumentation und ideologische Generalkritik an der Moderne fließen ineinander.
Der Aufbau des Buches wird nicht recht durchsichtig, zumal es zu vielen Wiederholungen von bereits Gesagtem kommt. Im ersten Teil wird die Notwendigkeit der Metaphysik als Begründung der Möglichkeit von Erkenntnis dargestellt. Sie resultiert einerseits aus der Entwicklung der transzendentalen Erkenntnistheorie von Descartes über Berkeley und Hume zu Kant und ihrer Wiederaufnahme bei Husserl, andererseits aus dem Erfahrungsbegriff des Positivismus. Beide Theoriestränge werden kritisch auf ihre »im­manentistische« Intention befragt und als falsch und selbstwidersprüchlich entlarvt: »Wieder offenbart sich also Metaphysik als Voraussetzung ihrer Leugnung.« (72)
Im zweiten Teil entwirft W. sein Bild der Philosophiegeschichte, zunächst zustimmend von der platonischen Begründung des Teilhabegedankens (des menschlichen Erkennens an der göttlichen Wahrheit), der auch Aristoteles trotz seines Einspruchs nicht entkommen sei, über ihre augustinische Aufnahme bis zu Thomas’ Wiedereinfügung des aristotelischen Bildbegriffs in die platonische Ideenlehre. Diesem Theoriekanon stehen dann in der weiteren Entwicklung ›Krisen des Teilhabedenkens‹ gegenüber. Doch diese kritischen Theorien seien nicht stringent, was immer wieder auftretende Gegenbewegungen zeigen: so im Spätmittelalter Nikolaus von Kues, dann Spinoza, Clauberg und Leibniz gegen Descartes, danach Hegel und Schelling gegen Kant sowie Nicolai Hartmann gegen Husserl. Begriffen habe diese Dialektik der Ge­schichte der Erkenntnistheorie dann bleibend Hengs­tenberg.
Daran schließt sich ein weiterer, Aporien aufzeigender Durchgang durch die moderne Philosophiegeschichte an. Ein eigener Abschnitt ist anschließend (170–188) noch einmal (nach 27–32.45–54.63.67.95–105.145–150) einer ausführlichen Kritik Kants gewidmet. Im letzten Abschnitt werden Problemstellungen mo­dernen Denkens ihres metaphysischen Begründetseins überführt.
Das entscheidende Argument, mit dem W. die kantische Er­kenntniskritik bestreitet, lautet, dass alle Begrenzung der Er­kenntnis auf den Bereich der vom Bewusstsein konstituierten Gesetze bereits als und in diesem Versuch der Begrenzung ein Wissen um die Dinge beanspruchen müsse, die jenseits dieses Bereichs liegen. Hinter der empirischen Dingwahrheit steht auf einer zweiten Ebene eine sinnbezogene Wahrheit des Geistes (den Einzug dieser geisthaft historisch-hermeneutischen Sinnebene nennt W. als entscheidende Erneuerung gegenüber der mittelalterlichen Philosophie), und diese Möglichkeit des Bezogenseins auf Sinn und Wahrheit ist wiederum fundiert in einer Teilhabe sowohl des Subjekts als auch des Objekts an dem überwölbenden Sein der einen Wahrheit Gottes.
Als philosophischer Beitrag zur gegenwärtigen Erkenntnistheorie ist das Buch wenig ergiebig. (Selbst die argumentativ zentralen Kantexegesen verzichten auf jede Bezugnahme auf die reiche philosophische Debatte und wirken dadurch merkwürdig selbstbezogen.) Als Hinweis auf bis heute überlebende Denkmilieus, die einmal als Speerspitze der katholischen Gegenaufklärung das Bildungssystem und die Universitätslandschaft der alten Bundesrepublik prägen sollten, ist es dagegen umso aufschlussreicher.