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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

236-237

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Williams, Reggie L.

Titel/Untertitel:

Bonhoeffer’s Black Jesus. Harlem Renaissance Theology and an Ethic of Resistance.

Verlag:

Waco: Baylor University Press 2014. 196 S. Kart. US$ 39,95. ISBN 978-1-60258805-9.

Rezensent:

Annegreth Schilling

Mit diesem Buch wird der Blick auf ein bisher unerforschtes Gebiet in der Bonhoeffer-Forschung gelenkt. Der Theologe Reggie L. Williams, Assistant Professor am McCormick Theological Seminary/ Chicago für Christian Ethics, beleuchtet die Auswirkungen des Studienaufenthaltes 1930–1931 in New York auf die Theologie Dietrich Bonhoeffers und interpretiert diesen als Schlüsselmoment für seine theologische Entwicklung. Die der 2011 als Dissertation verfassten Studie zugrundliegende These lautet, dass Bonhoeffers Erfahrungen in Harlem und die Begegnungen mit Vertretern und Werken der Harlem Renaissance-Bewegung seine Theologie nachhaltig beeinflusst haben und ihn von seinem abstrakten, partiell nationalistisch geprägten akademischen Denken hin zu einer christusbezogenen und ethisch orientierten und widerständigen Theologie geführt haben, in der nun das Leiden der Menschen im Mittelpunkt steht. So wichtig die Beobachtung ist, dass Bonhoeffer entscheidende Impulse aus der »schwarzen Theologie« für sein eigenes theologisches Denken empfangen hat, so fragwürdig ist jedoch die von W. vertretene Ansicht, dass der Aufenthalt in New York einen Bruch (»confrontation«) mit seiner Kindheit und seinem akademischen Werdegang in Deutschland darstellte (4), der ihn aus seinem weißen Christsein in die »underside of the color line« (51) geführt habe.
Das in fünf Kapitel gegliederte Buch befasst sich im ersten Kapitel mit dem Weg Bonhoeffers nach Harlem und zurück nach Deutschland. Dabei arbeitet W. insbesondere die Vikariatszeit Bonhoeffers in Barcelona heraus (1928–1929) und stellt sie als Phase dar, in der sich Bonhoeffer »in step with German nationalism« (14) befand. Über ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und das amerikanische Sloan Fellowship war es dem 25-jährigen Bonhoeffer 1930 möglich, für ein Studienjahr an das Union Theological Seminary in New York zu gehen. Von dessen Theologie schien Bonhoeffer aber eher enttäuscht: »Bonhoeffer found theology at Union and in white churches very disappointing; in his first experiences of America he found no representation of Christ existing as church-community.« (19) Durch seinen afroamerikanischen Mitstudenten Albert Franklin Fisher erhielt Bonhoeffer schließlich Zugang zur Abyssinian Baptist Church in Harlem und lernte Künstler, Literaten und Theologen der Harlem Renaissance-Bewegung kennen, einer in den 1920er und 1930er Jahren bedeutenden künstlerischen Strömung Harlems, die auch unter dem Namen New Negro Movement firmierte. Im zweiten Kapitel richtet W. den Blick auf die europäische, westlich-akademische Theologie, von der er auch Bonhoeffer geprägt sieht. Der »White Christ« ist das Narrativ, von dem sich Bonhoeffer nach W. durch seine Erfahrungen in Harlem distanzierte (40 ff.). Im dritten Kapitel steht dann die Harlem Renaissance-Bewegung im Fokus. W. skizziert hier einzelne Literaten und interpretiert deren Poesie, wobei der Einfluss von W. E. B. du Bois auf Bonhoeffer besonders plausibel gemacht wird. Leider lässt das gesamte Kapitel allerdings eine genauere historische Einbettung der Harlem Renaissance und eine Begründung für die Auswahl der vorgestellten Vertreter der Bewegung vermissen. Das Kapitel 4 gehört schließlich zu den Höhepunkten des Buches, in welchem W. die Theologie von Adam Clayton Powell Sr., Pastor an der Abyssinian Baptist Church, als für Bonhoeffer besonders prägend herausstellt. Im Schlusskapitel untersucht W. dann auf anschauliche Weise, wie die Erfahrungen Bonhoeffers mit der schwarzen Bevölkerung Harlems seine Pfarrtätigkeit in Berlin in den Jahren 1932/33 geprägt haben und ihn eine prophetische und widerständige Theologie »from the perspective of the outcasts« (134) entwickeln ließen.
Zusammenfassend gesehen stellt das Buch einen spannenden und bisher nicht näher beleuchteten Zugang zur Entwicklung von Bonhoeffers Theologie dar. Es ist das Verdienst von W., das afroamerikanische Narrativ »Black Jesus« als Folie und Interpretationsform für die Theologie, Ethik und Ekklesiologie des Widerstands Bonhoeffers zu nutzen. Ebenso erhellend ist die leider nicht stär-ker konkretisierte These, dass Bonhoeffer einer der ersten weißen Theo­logen des 20. Jh.s sei, der Rassismus als christliches Problem erkannt habe (139). Allerdings wirft die Studie auch Fragen auf: Stellte New York wirklich einen Bruch mit Bonhoeffers früher Theologie dar? Oder handelte es sich nicht vielmehr um einen theologischen Reifungs- und Lernprozess, der sich gut in Bonhoeffers Biographie einfügte? Die mit 140 Seiten relativ überschaubare Arbeit ist größtenteils thetisch verfasst und aus europäisch-wissenschaftlicher Sicht methodologisch deutlich zu wenig reflektiert. So wird etwa die offenkundig dünne Quellenlage nicht kommentiert, ebenso vermisst man nicht nur eine historische, sondern auch eine theologisch-systematische Entfaltung einzelner Posi-tionen, etwa Bonhoeffers Konzept »Christus als Gemeinde exis-tierend« oder die amerikanisch-liberale Theologie (Reinhold Nie-buhr) im Unterschied zur liberalen Theologie in Deutschland. Leider kommt das Buch auch nicht ohne ein stark kontrastierendes Bild zwischen dem White-Anglo-Saxon-Protestantism des Union Theological Seminary und dem Black Christ in Harlem sowie einen stellenweise verklärenden Blick auf Bonhoeffer (»Dietrich Bonhoeffer’s via dolorosa« [7]) aus. »Bonhoeffer’s Black Jesus« kann folglich erst als Auftakt gelten, den Aufenthalt Bonhoeffers in New York 1930–1931, den Einfluss schwarzer, antirassistischer Theologie auf sein theologisches Denken sowie die bei Bonhoeffer bereits angelegte Problematisierung der »white supremacy« zu untersuchen.