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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

223-224

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lies, Jan Martin

Titel/Untertitel:

Zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Be­ziehungen Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Haus Habsburg (1534–1541).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Rup­recht 2013. 596 S. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 231. Lw. EUR 100,00. ISBN 978-3-525-10116-2.

Rezensent:

Dietrich Klein

Das Buch von Jan Martin Lies wurde 2009 vom Fachbereich Ge­schichte und Kulturwissenschaft der Universität Marburg als Dissertation angenommen. Der Vf. ist kein Kirchenhistoriker, konnte die an sich politikgeschichtlich orientierte Arbeit aber angesichts einer Doppelbetreuung durch Wilhelm Ernst Winterhager und Hans Schneider als ein interdisziplinäres Forschungsprojekt mit engem Bezug auf kirchengeschichtliche Fragestellungen entwi-ckeln. Mit der Fokussierung auf den Untersuchungszeitraum von 1534 (Beginn des Kriegs um Württemberg) bis 1541 (Abschluss des »Geheimvertrags« mit Karl V.) stößt der Vf. in eine Forschungs-lücke vor. Während die reformationsgeschichtliche Philipp-Forschung be­sonderes Gewicht auf die 1520er Jahre und Philipps Verhältnis zur Reformation legte (zuletzt im Kontext des Philipp-Jubiläums 2004), wurde der Zeitraum 1534–1541 in neuerer Zeit nur durch Gabriele Haug-Moritz’ Monographie zum Schmalkaldischen Bund und Wolfgang Friedrichs Untersuchung der hes-sischen Reichskammergerichtsprozesse berührt. Die eigentliche Blütezeit Philipps als politischen Akteurs im Reich blieb damit bislang unterbelichtet.
Erklärtes Ziel der Arbeit des Vf.s ist es, »Handlungsstrategien und Handlungsmaximen, Taktiken und Inszenierungen des Landgrafen im Spannungsfeld von Religion, Reich und Territorium nachzuzeichnen und in Vergleich zu der Zeit vor 1534 zu setzen« (14 f.), was im Blick auf die 1520er Jahre auf eine Revision des kirchengeschichtlichen Bildes Philipps als Verteidiger der Reformation hinausläuft. Hinsichtlich der Methode verweist der Vf. recht knapp auf »Instrumentarien der Politik- wie der Kirchengeschichte« sowie auf die »Kulturgeschichte des Politischen« (Stollberg-Rilinger) (20). Ebenfalls knapp fällt das Referat des Forschungsstands aus, das sich darauf beschränkt, verschiedene Philipp-Wertungen zu unterscheiden. Zum Teil intensive Diskussionen der Forschungsliteratur reicht der Vf. allerdings in den Hauptkapiteln der Arbeit nach.
In ihrem Hauptteil zerfällt die Arbeit in fünf große Kapitel, unter denen dem ersten zur Zeit vor 1534 besondere Bedeutung zukommt. Ausführlich und in intensiver Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur wird hier das überkommene Bild vor allem von der Territorialpolitik her korrigiert: Den Streit um die Grafschaft Katzenelnbogen markiert der Vf. als den wichtigsten Motor der landgräflichen Politik, die sich während der 1520er Jahre nur als eine multilaterale Bündnispolitik mit Fokus auf den südwestdeutschen Raum gestalten konnte. Als für die reformationsgeschichtliche Forschung wichtige Beiträge verbleiben hier neben der Kritik der von Schneider-Ludorff (2006) vorgetragenen These einer »Deutungsoffenheit« der landgräflichen Haltung hinsichtlich der Religionsfrage die Ausführungen zur »Libertät«, auf die Philipp im diplomatischen Ringen für Ulrich von Württemberg erstmals mit großem Erfolg verweisen konnte.
Für die Jahre 1534–36 zeigt der Vf. die europäische Dimension der landgräflichen Diplomatie im Vorfeld des Krieges um Württemberg, seine strategische Koppelung an den Krieg um das Münsteraner Täuferreich und seine Auswirkung auf das Verhältnis zu Kurfürst Johann Friedrich innerhalb des Schmalkaldischen Bunds, das unter dem dominanten Auftreten Philipps zeitweise litt. Die letztlich versöhnliche Politik gegenüber dem Hause Habsburg, die die württembergische Frage in der Regelung einer Afterlehenschaft löste, nimmt der Vf. zum Anlass, die These einer antihabsburgischen Kontinuität in der landgräflichen Politik zu korrigieren. Er charakterisiert sie vielmehr als ein »Lavieren« (212).
Für die Jahre 1537/38 rückt der Vf. die Religionsprozesse vor dem Reichskammergericht in den Mittelpunkt. Unter Rückgriff auf die vorausliegenden Forschungen wird hier das Problem eines Mit- und Gegeneinanders von Territorialisierung, Theologie und Recht skizziert, um dann den Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt 1537 unter besonderer Berücksichtigung des kaiserlichen Bevollmächtigten, Matthias Held, zu beleuchten. Die negative Beantwortung der Konzilsfrage durch den Bundestag und ihre Hintergründe kommen hier in den Blick.
Für die Jahre 1538/39 bis 1540 nimmt der Vf. das landgräfliche Engagement in Nordwestdeutschland und die Geldern- und Dänemarkpolitik in den Blick. Die These, Gespräche mit dem Reichsvizekanzler Karls V., Johann Naves, hätten hier schon 1538 zu einer erneuten Annäherung Philipps an das Haus Habsburg geführt, wird kritisiert. Im Kontext des Frankfurter Anstands von 1539 zeigt der Vf. u. a., welche Bedeutung Erwägungen zu einem präventiven Verteidigungskrieg gegen Habsburg innerhalb des Schmalkal-dischen Bunds für Philipp hatten. – Das letzte Kapitel gilt der Doppelehe Philipps, die ihn innerhalb des von ihm selbst geschaffenen Bündnissystems destabilisierte und ihn 1541 schließlich zur Ratifizierung des Geheimvertrags mit Karl V. nötigte.
Die durchweg formulierungssicher und sehr klar geschriebene Arbeit beeindruckt durch die Gründlichkeit des zugrunde liegenden Quellenstudiums. Die Stücke werden fast immer in Transkription angezeigt, so dass der Leser dem Quellenstudium auf Schritt und Tritt folgen kann. Besondere Stärken zeigt der Vf. auch, wenn es zu Beginn jeweiliger Kapitel darum geht, Problemkonstellationen zu skizzieren. Entsprechende Passagen etwa zu den Religionsprozessen des Reichskammergerichts (251 ff.) sind auch jenseits eines spezialisierten Interesses an Philipp lesenswert. Der streng chronologische Aufbau der Arbeit erleichtert die Benutzung.
Wollte man dem Vf. einen Vorwurf machen, wäre in der Einleitung der Arbeit anzusetzen, wo die im Titel anklingende Frage nach »den politischen Beziehungen« Landgraf Philipps des Großmütigen so gut wie gar nicht spezifiziert wird. An vielen Stellen würde man sich eine methodisch begründete Fokussierung wünschen, die es dem Vf. erlaubte, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven und in intensiver Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur zu reflektieren. Ansätze dazu finden sich in teils überquellenden Anmerkungen, so z. B. zu Matthias Held (313 f.).
Tatsächlich aber scheint der Vf. diese Schwäche bewusst in Kauf zu nehmen, um auf dem engen Raum von 557 Seiten ein angesichts der unübersichtlichen Quellenlage kaum adäquat zu bearbeitendes Stück Geschichte so zu präsentieren, dass Leser auf lange Zeit hin etwas davon haben.