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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

908–910

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Egger, Peter

Titel/Untertitel:

"Crucifixus sub Pontio Pilato". Das "crimen" Jesu von Nazareth im Spannungsfeld römischer und jüdischer Verwaltungs- und Rechtsstrukturen.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1997. VIII, 243 S. gr.8 = Neutestamentliche Abhandlungen, N. F. 32. Lw. DM 75,-. ISBN 3-402-04780-2.

Rezensent:

Wolfgang Fenske

Die zu besprechende Arbeit ist eine unter J. Gnilka verfaßte und im WS 1995/96 von der Katholisch-Theologischen Fakultät München angenommene Inaugural-Dissertation. Sie behandelt nach einer Einleitung in Kap. 2 die "Geschichtliche Entwicklung und rechtliche Stellung der Provinz Judäa" (15-59), in Kap. 3 "Judäa zwischen römischer Militärhoheit und eigenbehördlicher Verwaltung" (60-147), um dann in Kap. 4 einen Bezug zu "Jesus von Nazareth und die jüdische Behörde" (148-200) herzustellen. Obgleich es E. primär nicht auf den Prozeß Jesu ankommt, sondern auf das ",Vorfeld’ des eigentlichen Strafverfahrens" (2), werden in diesem Kap. wesentliche neutestamentliche Texte zum Thema herangezogen. Den Kapiteln folgen eine Zusammenfassung (201-214), ein Literaturverzeichnis (215-228) und ein Stellen-, Namen- und Sachregister (229-243).

Mit der Fragestellung handelt es sich um ein seit langer Zeit diskutiertes Thema. Zum Beispiel sah Schürer "die gewöhnliche Rechtspflege, sowohl in Criminal- als Civilsachen ... in der Hand der einheimischen Gerichte" liegen (I 19642, 466 bzw. I 1973, 368; s. u.) und ordnete Römern die Kapitalgerichtsbarkeit zu; J. Juster (Les Juifs dans l’Empire Romain, Bd. 1 f., Paris 1914) sprach den jüdischen Ordnungskräften die volle Kapitalgerichtsbarkeit in religiösen Fragen zu - nur in politischen Fragen konnte der Statthalter die Hinrichtung anordnen; nach H. Zucker (Studien zur jüdischen Selbstverwaltung im Altertum, Berlin 1936) hat der Hohepriester Delinquenten den Römern übergeben, wenn er unter den Pharisäern keine Mehrheit für eine Hinrichtung fand. E. arbeitet heraus, daß jüdische Ordnungskräfte nicht das Recht hatten, andere hinzurichten, daß aber - und das ist in dieser Betonung neu - jüdische Ordnungskräfte in bestimmten Fällen eingreifen mußten, weil sie sonst für den Fall eines Aufruhrs von den Römern selbst zur Verantwortung gezogen werden konnten (s. schon U. Holtzmeister [Zur Frage der Blutgerichtsbarkeit des Synedriums, in: Bibl. 19, 1938, 43-59; 151-174: 162 f.], der diese Beobachtung freilich nicht auswertet). E. sieht gegen verbreitete Ansicht (nach der das Synhedrion aus religiösen Gründen gegen Jesus von Nazareth einschritt und ihn aus politischen Gründen an Pilatus auslieferte) allein politische Gründe für das Einschreiten der jüdischen Ordnungsmächte: Weil politische und religiöse Gründe voneinander nicht getrennt werden konnten (100), galten prophetisch-eschatologische Handlungen als subversiv (147).

E. begründet seine Schlußfolgerungen mit Beobachtungen an Texten des Josephus (mit Diskussion über den Wert dieser Quelle), aber z. B. auch an der Apg, an Cicero (In Verrem II,5,158-162) und Tacitus (Annalen 13,54) (Kap. 3). E. nennt überwiegend Texte, in denen von Verfolgung und Verurteilung einzelner "prophetisch inspirierte(r) ,Volksführer’" (82) die Rede ist, bzw. Texte, die von dem Eingreifen der Römer gegen jüdische Ordnungskräfte berichten, die nicht in der Lage waren, einem Aufruhr wirksam zu begegnen. An diesen Texten, von denen die erstgenannten nicht selten zu dieser Fragestellung herangezogen werden (vgl. R. E. Brown, The Death of the Messiah. From Gethsemane to the Grave, Bd 1, New York u.a. 1994,679 ff. [AnchB]), arbeitet E. in einer ausführlichen Exegese eine Gemeinsamkeit der Episoden heraus, die allerdings nur annähernd mit Berichten von Jesus zusammenzusehen sind (167; Kritik an einer eindeutigen Zuordnung Jesu zu einem entsprechenden Schema s. 210 f.).

Daß Judäa für die Römer nicht ein kleines Land am Rand der Welt war, zeigen ihre massiven Eingriffe gegen Aufruhr bzw. gegen Ordnungskräfte, die als ",Werkzeug’ in der Hand" der Besatzungsmacht versagten (vgl. 110). Der Grund für die große Bedeutung Judäas liegt in der für die Römer ständig akuten Parthergefahr (2.3). "Damit ist die außenpolitische Hauptaufgabe ... umrissen, nämlich der Imperialmacht den Rücken frei zu halten für ihre Operationen an der Euphratgrenze." (22) Somit sieht E. auch, anders als bisher vielfach üblich, nicht die Tempelaustreibung als Hauptgrund des Vorgehens gegen Jesus, sondern "die gesamte öffentliche Wirksamkeit Jesu", seine Basileia-Verkündigung und seinen Anspruch, "ihr exklusiver, von Gott autorisierter Vermittler zu sein" (209; 200) - im Kontext der Wirkung auf die Bevölkerung.

Anfragen bestehen an das Werk: Ist die Frage, wieweit das Synhedrion in religiösen (!) Fragen richterliche Gewalt hatte und diese auch an Jesus zum Zuge kommen mußte, so einfach zu übergehen?

Manche Texte in den Werken des Josephus sind so eindeutig nicht. Zwar werden "Angesehene" von den Römern eingesetzt, um beruhigend auf die erregte Menge zu wirken, doch das konnte auch den Grund haben, daß die Besatzungsmacht Ansprechpartner benötigte, die auch im Volk Ansehen hatten und die politische Zusammenhänge eher durchschauen konnten als die Masse des Volkes (Ant 19,308). Das zur "Verantwortung-Ziehen" Angesehner in Bell 2,292 ist illegal gewesen; anders evtl. das in Ant 20,136 Berichtete: Wurden nach Rom gesandte Angesehene hingerichtet, weil hier Angesehene allgemein "haftbar" waren oder weil gerade sie anwesend waren? Hingerichtet wurden Bürger normalerweise dann, wenn sie mit Aufständischen paktierten (Bell 2,253; vgl. 2,73); laut Bell 2,229 zog Cumanus die Bewohner der Dörfer zur Rechenschaft; dagegen werden im Parallelbericht Ant 20,114 die Angesehenen hervorgehoben - allerdings ist hier nicht davon die Rede, daß sie die Aufständischen verfolgen und verhaften sollten, davon spricht nur Bell. E. vermischt beide Berichte und kommt auf diese Weise zu dem Ergebnis, daß "Angesehene" polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen hatten.

Das von E. betonte Prinzip galt eindeutig für militärische Befehlsempfänger, so Bell 2,195 par.; im Kontext des hier beschriebenen Widerstandes gegen die Römer wird mit Krieg gedroht, nicht damit, daß die Angesehenen etwas zu befürchten hätten. Deutlich wird auch, daß Herrscher gegen mögliche Aufstandsbewegungen agierten, weil sie befürchteten, unter der Bevölkerung an Macht zu verlieren (Ant 18,118) bzw. ihres Besitzes verlustig zu gehen (Bell 2,338) - aber das nicht unbedingt mit Blick auf die Römer. Trotz dieser Bemerkungen zeigt diese Arbeit eindrucksvoll die Bedeutung der Angesehenen im römischen Sicherheitskonzept.

Ein Überblick über die ältere Forschungsgeschichte fehlt, so wurden z. B. die oben genannten Werke (außer Juster) nicht angeführt (von Schürer wurde nur 19642 erwähnt, nicht aber die Überarbeitung durch G. Vermes u. a., The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, Vol. 1-3, Edinburgh 1973-1987).

Manchmal nennt E. viel Literatur. Es wird aber nicht immer deutlich, warum er den jeweiligen Standpunkt einnimmt (z. B. 16164; 16270; die Anmerkungen 181 ff.); die Argumentation ist hier und da ein wenig leichthin (178) - und mutig ist es, die Frage nach dem Selbstbewußtsein Jesu und die Messiasfrage auf zwei Seiten darzulegen (193 f.; vgl. 212).

Trotz dieser Anfragen: Wer etwas über die Einbettung Judäas in römische Militärstrategie erfahren möchte oder die Abhängigkeit Judäas von den Römern in Rechtsfragen, nehme dieses gut lesbare Buch. Diese übersichtliche Arbeit ist aufgrund der ausgewählten Textbasis für das, was sie in der eingangs aufgezeigten unterschiedlich beantworteten Fragestellung zeigen will, weiterführend.