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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

210-211

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hohenadel, Victoria

Titel/Untertitel:

Das Consolatorium tribulatorum des Bernhard von Waging. Redaktionsgeschichtliche Edition und literarhistorische Studie.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 310 S. = Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des Benediktinertums. Serie II: Untersuchungen, 1. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-10386-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Bei diesem Buch handelt es sich um die 2013/14 von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Münchner Universität angenommene Dissertation von Victoria Hohenadel. Das ist bei der Würdigung zu berücksichtigen.
Sein Consolatorium hat Bernhard dem Eichstätter Bischof Jo­hann von Eich gewidmet. Beide verband das Bemühen um die sogenannte Melker Reformbewegung, die sich um einen Ausgleich von vita contemplativa und vita activa bemühte, Bernhard aus mo-nastischer Sicht, Johann aus der Sicht des Weltklerikers, der sogar meinte, die Mönche brächten der Kirche keinen Nutzen (112). H. stellt das Consolatorium – nach einem kurzen Forschungsüberblick – in den Kontext spätmittelalterlicher Konsolationsliteratur (18–107). Allein im Tegernseer Benediktinerkonvent, dem Bernhard angehörte, lagen zu seiner Zeit Trostschriften von 15 Autoren – zum Teil in mehrfachen Exemplaren – vor, so u. a. von Boethius, Johannes von Dambach, Johannes Gerson, Johannes Nider, Michael von Prag. Etliche von ihnen hat Bernhard ausgiebig verwendet. Noch heute sind Spuren seiner Lektüre nachzuweisen. Die gesamte Trostliteratur basiert auf der Consolatio des Boethius. Dessen alles überragende Bedeutung im ganzen Mittelalter erstaunt immer wieder, da diese Schrift weder biblisch argumentiert noch Christus als Tröster benennt. Sie wurde zwar als philosophischer Text gelesen und unterschied sich damit von den spätmittelalterlichen Consolationes, denn diese gingen von Bibeltexten aus und betonten, dass sie uns Hoffnung verleihen (45). Bestimmend für Bernhard waren vor allem Johannes von Dambach, Gerson und Michael von Prag, die zum Teil selbst angesichts von persönlich erfahrenem Leid (wir würden heute von Mobbing reden) des Tros­tes bedurften, ihn erfuhren und ihn weitergeben konnten. Bernhard selbst hat mehrere Trostschriften verfasst. Mehrfach, besonders bei Michael von Prag, ist die Basis für den Trost die Erfahrung der providentia dei. Die Kontroverse um die vita contemplativa und die vita activa spielt immer wieder eine Rolle. Auch Wilhelm von Auvergne, ein typischer Scholastiker des 13. Jh.s, wird von Bernhard ausgiebig zitiert. Die in Tegernsee vorhandenen Trostschriften waren nur zum Teil an Mönche gerichtet, oft aber an Prediger und direkt an Laien. Die Trostliteratur sollte Zuversicht und Mut verleihen, das Leben anzunehmen und sich in der Gemeinschaft zu engagieren (101.107).
Bernhards Consolatorium liegt in drei Fassungen vor, die stark voneinander abweichen. Es zeigt sich, dass die Schrift aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt worden ist. Die Widmung weist bereits aus, dass im Zentrum der Schrift »das starke und geduldige Leiden« steht; sie will dem Bischof »das Ertragen der widrigen Bedrängnisse erleichtern«, doch werden diese nicht konkret be­nannt. Bernhard betont »die providentia Gottes allein«, »die tribulatio des irdischen Lebens [sei] der einzige Weg, das künftige Reich Gottes sowie den wahren Ruhm zu erreichen«. Dies verdeutlicht er anhand von zahlreichen Bildern und Vergleichen. Er betont »die wunderbaren Wirkungen, die die patientia bei Ertragen von Un­glück und Widrigkeiten« hervorbringe. Die letzten Kapitel behandeln die drei christlichen Tugenden Glaube – Hoffnung – Liebe. Die Hoffnung gewähre »wahre Einsicht und Befreiung« und führe zum »Erreichen von ewigem Glück«. Der Trost in Bernhards Schrift »besteht in der Zusicherung von Heil, nicht in der Veränderung der Umstände« (121–131).
Im Grunde stellt die Trostschrift Bernhards eine einzige Kompilation aus anderen Trostschriften dar: »Für den größten Teil des Consolatorium können die Texte, die Bernhard von Waging verwendet hat, nachgewiesen und konkret in einer Handschrift in der Tegernseer Klosterbibliothek identifiziert werden.« Vor allem gilt dies für Michael von Prags Remediarium abiecti prioris, die anderen Vorlagen sind ethische Werke aus dem 13. Jh. Von Michael übernimmt er weite Teile wörtlich ohne größere Kürzungen oder inhaltliche Eingriffe (132–134), von Wilhelm von Auvergne Passagen aus dessen Summa de virtutibus et vitiis bzw. aus der Summa de vitiis et virtutibus des Wilhelm Peraldus. Eigenständige Texte Bernhards finden sich nur an einigen exponierten Stellen seiner Trostschrift, die manchmal lediglich aus einem Satz bestehen.
Die deutschsprachige Schrift »Trostung den betrübten und laydsamen« lässt sich kaum als Übersetzung der Trostschrift Bernhards bezeichnen, wie mehrfach angenommen, vielmehr ist eine direkte Abhängigkeit auszuschließen (154–156).
In einer Schlussbetrachtung (157–166) fasst H. ihre Beobachtungen zusammen: »Der Text basiert auf der Vorstellung der providentia-Lehre und setzt sich zum Ziel, allen Menschen Hilfestellung bei der Bewältigung der tribulationes und pericula des irdischen Lebens zu geben.« (159) Bernhard bezeichnet sich dabei selbst als im Leiden erfahren.
In einem zweiten Teil folgt nun die Edition. H. beschreibt die Handschriften, von denen drei heute in München aufbewahrt werden, eine in London. Der Haupttext, der ediert ist, beruht auf dem Text T1, der sich nach mindestens zwei Redaktionsvorgängen rekonstruieren lässt. Wo größere Abweichungen zu anderen Texten (R, T2) bestehen, wird der Text synoptisch wiedergegeben. Fünf Apparate sind beigegeben: Korrekturen, Streichungen, Hinzufügungen der nachweisbar redigierten Fassung von T1; Abweichungen der Textfassung R; ebenso zu Textfassung T2; Quellen; von Bern­hard benutzte Vorlagen, die zumeist identifiziert werden konnten. Stemmatische Untersuchungen folgen, bevor der Text abgedruckt wird (193–271). Zwei Appendizes zu Kapitel 9 sind beigegeben, ohne dass freilich deutlich zu erkennen ist, wofür sie stehen.
Quellen- und Literaturverzeichnis sind hinzugefügt. Einige Literaturangaben des Textes sind nicht verifizierbar, wie Stichproben ergeben (so die Arbeit von Vansteenberghe, S. 16, Anm. 27; es handelt sich um sein Buch »Autour de la docte ignorance«, 1915). Bei dem Briefwechsel Bernhards mit Nikolaus von Kues ist jetzt auch auf die mehrbändige Ausgabe von Baum-Senoner (Nikolaus von Kues: Briefe und Dokumente zum Brixner Streit, Wien 1998 ff.) hinzuweisen. Einige Druckfehler sind stehengeblieben. Auf S. 72 sind die Jahreszahlen durcheinander geraten. Ob jeder Leser mit »me­nippeischer Satire« etwas anfangen kann (42)? Sind diese allgemein noch bekannt?
Das Buch gibt mehr, als der Titel verspricht. Richtiger wäre, wenn er »Das Consolatorium des Bernhard von Waging im Kontext spätmittelalterlicher Trostliteratur« gelautet hätte. H. hat eine umfassende Untersuchung zu Bernhards Trostschrift zusammen mit ihrer Edition vorgelegt. Als Theologe anerkennt der Rezensent auch die theologischen Ergebnisse ihrer Arbeit. Die spätmittelalterliche Trostliteratur wird durch die vorliegende Arbeit transparenter.