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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

205-207

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Ruben [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hermeneutik der Gleichnisse Jesu. Methodische Neuansätze zum Verstehen urchristlicher Parabeltexte. Hrsg. unter Mitarbeit v. G. Kern.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck (2008; unveränd. Studienausgabe) 2011. XII, 688 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 231. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-150850-9.

Rezensent:

Hans Weder

Das Buch, dessen Hauptbestand aus Referaten auf »zwei Bielefelder Gleichnistagungen« besteht (VII) und die eine möglichst breite Palette gegenwärtiger Ansätze darbieten wollen, ist etwas zu weiträumig und unhomogen geraten, was angesichts der Entstehung und der Zielsetzung nicht weiter verwunderlich ist. Dem geduldig nach interessanten Aspekten suchenden Leser aber bietet es reichliche Impulse für eigene Überlegungen.
Die Disparatheit der hier versammelten Arbeiten hat zur Folge, dass eine (in vielen Fällen durchaus notwendige) Auseinandersetzung mit ihnen den Rahmen einer Rezension völlig sprengen würde. Die Aufsätze können nicht einmal zusammenfassend wiedergegeben werden. Wer eine Zusammenfassung sucht, sei auf das den Texten gerecht werdende und einfühlende Referat bei Zimmermann (51–63) verwiesen.
Das übergreifende Ziel dieses Bandes stellt Ruben Zimmermann zu Beginn dar (3–24). Durch eine umsichtige Anwendung des einfachen kommunikationstheoretischen Modells (Sender – Empfänger – Gegenstände) versucht er, unterschiedliche Zugangsweisen (historische, literarische und rezeptionsästhetische) zu einer integrierten Gleichnishermeneutik zu vereinigen, indem er die particula veri jedes Zugangs herausarbeitet und so ideologische Einseitigkeiten kritisch hinterfragt. »Verschiedene Zugänge im Verstehen der Parabeln Jesu müssen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden« (14). Dieser integrative Zugang ist sehr ertragreich, aber es bleibt freilich die Frage, wie weit diese Sicht wirklich über die früheren Positionen hinausgehe (so 15 »Neuland«).
Mit großer Literaturkenntnis und sorgfältiger Wahrnehmung der einzelnen Ansätze unternimmt Zimmermann im zweiten Beitrag des Bandes (»Gleichnishermeneutik im Rückblick und Vorblick«, 25–63) den interessanten Versuch, die Gleichnisexegese der letzten 100 Jahre den drei genannten Ansätzen zuzuordnen. Dabei ist – obwohl Zimmermann ausdrücklich auf die Mehrdimensionalität mancher Ansätze hinweist – eine gewisse Schematisierung wohl unvermeidlich. Die Kategorisierung geschieht aber zu Recht und dient dem Ziel, die drei Ansätze als komplementär (oder eben integrativ) zu behandeln.
Uta Poplutz schließlich beschreibt das vorliegende Kompen-dium-Projekt (64 ff.), indem sie die einzelnen Auslegungsschritte vieldimensional reflektiert. Allerdings werden ohne Weiteres Texte aus dem Thomasevangelium unter die Gleichnisse Jesu gerechnet (vgl. 64 f. ) – eine gemessen an üblicher historischer Methodik und Erkenntnistheorie nicht gerade evidente Annahme. Bei der Erhebung des metaphorischen Bildfeldes (73 f.) wäre es lohnend gewesen, auch auf die Aussagekraft der Differenz hinzuweisen, welche die im Gleichnis realisierten Erzählzüge zum gesamten Bildfeld haben. Die Wirkungsgeschichte (75 f.), deren Beginn zu Recht schon im Neuen Testament gesehen wird, bringt jedoch nicht nur neues »Sinnpotential« und »kreative Verschiebungen«, sondern müsste auch unter dem Aspekt der Verflüchtigung des ursprüng-lichen Sinns genauer betrachtet werden.
Da der Raum fehlt, die einzelnen Arbeiten kritisch zu würdigen, seien hier zwei Beispiele herausgegriffen. Enno Edzard Popkes be­antwortet in seinem Beitrag die Frage, was die synoptische Parabeltheorie (Mk 4,10–12 und Parallelen) »für das Verständnis der im Johannes- und Thomasevangelium überlieferten Parabeltraditionen« austrägt (297). Allerdings wird die historisch und theologisch relevante Frage nach der Erklärung dieser Theorie im Zusammenhang des Mk nicht beantwortet; stattdessen geht es um »die zentralen Charakteristika der markinischen Parabeltheorie« (299; fraglich ist freilich, ob diese erhoben werden können, ohne dass die Erklärung bedacht wird). Der Gedanke, dass die Verkündigung Jesu primär die Scheidung zwischen dem kleinen Kreis der Jünger und der massa perditionis des Volkes zum Ziel habe, ist mit dem Aufriss des Markusevangeliums schlicht nicht vereinbar (so 302 im An­schluss an Klauck). Dennoch möchte Popkes den andern Gedanken, hier handle es sich um einen Fremdkörper im Markusevangelium, vermeiden; also schreibt er der Parabeltheorie die Funktion zu, die »nachösterlichen Gemeinden« (die erzählerisch durch den Jüngerkreis präfiguriert sind) »zu legitimen Interpreten der Worte und Taten Jesu« zu erklären (303). Man fragt sich allerdings, wie sich dies zu der auch von Popkes registrierten »Erzähldramaturgie« des Mk verhält, wonach die Jünger häufig als die dargestellt werden, die Jesus gerade nicht verstehen (vgl. 302). Vielleicht wäre die Annahme, dass die Parabeltheorie eine übernommene, von Mk dann in 4,1 f. und 4,33 korrigierte Tradition darstellt, historisch doch plau sibler gewesen (ein solches Verfahren wird immerhin dem Lk zu-gestanden; vgl. 304–307).
Im Blick auf das Johannesevangelium (309–314) kommt Popkes zum Schluss, es sei »durchaus möglich, dass u. a. auch die unterschiedlichen Facetten der Parabeltheorie den Verfasser des Johannesevangeliums« dazu veranlasst haben, die »jesajanische Versto-ckungsvorstellung in einer derartig elaborierten Weise« aufzunehmen und narrativ auszugestalten (314; beweisen kann man das auch laut Popkes nicht). Methodologisch wird man allerdings daran erinnern müssen, dass es in der Geschichtswissenschaft nicht um Möglichkeiten, sondern vielmehr um Wahrscheinlichkeit geht. Im Blick auf das Thomasevangelium (314–318) weist Popkes auf die vielen Differenzen des genannten Motivs zur synoptischen Tradition hin und hält zu Recht fest, dass das ThEv keine gegenüber der synoptischen Tradition frühere Ausgestaltung bietet, sondern die synoptische Parabeltheorie »dazu verwendet«, sein »hermeneutische(s) Konzept […] zu legitimieren« (320).
Herausgegriffen sei als zweites Beispiel der von Ruben Zimmermann konstatierte »Paradigmenwechsel vom ›historischen‹ zum ›erinnerten‹ Jesus«, der sich nach seinem Urteil innerhalb der gegenwärtigen Jesusforschung abzeichne (87). Nach einer zusammenfassenden Beschreibung der am historischen Jesus orientierten Gleichnisforschung – sie wird arg zugespitzt dargestellt, um den Paradigmenwechsel zum Leuchten zu bringen – der drei »quests« lautet das Fazit: Das Ziel, zur historischen Ursprungssituation der Parabelrede zurückzufinden, habe dazu geführt, die »Parabelüberlieferung […] als depraviertes Stadium innerhalb eines Überlieferungsweges« zu betrachten (101). So sehr das für einige Extrempositionen dieser Forschungsrichtung gilt, so wenig lässt sich bestreiten, dass der Überlieferungsweg beides enthält: krea-tive Entfaltungen der Botschaft Jesu ebenso wie entstellende Do­mestizierungen seines radikalen Wortes. Im Anschluss an die Ar­beiten von Schröter hält Zimmermann – niemand würde das bestreiten – fest, dass die Verkündigung Jesu »nur in der Form deutender Textwelten« zugänglich ist (vgl. 103). Dies führt zur »Trendwende« (oder eben zum Paradigmenwechsel), die darin besteht, dass die historische Frage nach dem Ursprünglichen (die »Ereignisgeschichte«) ersetzt wird durch die Frage nach den Prozessen der Erinnerung an jenes Ursprüngliche (104).
Zimmermann erweitert den Entwurf Schröters durch das Mo­ment, dass der »Sprachform« der Erinnerung bedeutend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Im Anschluss an grundle-gende Einsichten der neueren Gedächtnisforschung werden drei »Erinnerungsfunktionen von Gattungen« identifiziert (108 ff.): die traditionsstiftende, die gemeinschaftsstiftende sowie die sinnstiftende Funktion. Diese Funktionen verdanken sich in einem gewissen Maß der Sprachform, unabhängig von ihrem Inhalt. Sie werden dann auf die Gleichnisüberlieferung angewendet (111–121). Durch diesen Perspektivenwechsel gelingt es Zimmermann, die bleibende theologische Bedeutung der Erinnerung an die Gleichnisse Jesu viel intensiver wahrzunehmen, als dies nach seinem Urteil in der historisch orientierten Jesusforschung geschehen ist (er blendet allerdings jene gesamte Forschung fast ganz aus, deren Ansatz man als »historisch mit hermeneutischem Fokus« beschreiben könnte und die sowohl die theologischen Dimensionen der Gleichnisse als auch ihre stets neu wahrzunehmende Gegenwartsbedeutung mit aller Klarheit herausgearbeitet hat). Am Ansatz Zimmermanns bleibt freilich wesentlich, dass die Aufmerksamkeit konsequent den Texten selbst gilt, während einige extreme Historiker unter den Theologen nur an dem interessiert waren, was hinter den Texten steht.
So ertragreich der hier vorgestellte erinnerungshermeneutische Ansatz ist, so sehr käme es auch in diesem Kontext darauf an, zwischen einer Erinnerung, die den Erinnerten vergegenwärtigt, und einer solchen, die ihn überfremdet oder gar verflüchtigt, zu unterscheiden. Gerade Zimmermanns Beispiel für die Relevanz der Erinnerung macht dies klar: Es trifft sicher zu, dass die Erinnerung an den 11. September 2001 mit einem »bestimmten Foto verbunden« ist (105) und dass dieses Ereignis in der kollektiven Erinnerung relevant bleibt. Aber gerade um diese Erinnerung angemessen zu würdigen, ist die Frage, was an jenem Tag wirklich geschehen ist, von größter Bedeutung (auch wenn man als Historiker nie zum Beobachter werden kann und dies auch nicht wollen sollte). Genauso bleibt die Frage, ob die Erinnerung des frühen Christentums dem Weg und der Botschaft des Nazareners treu geblieben ist, von größter theologischer Relevanz: Zur Debatte steht, ob die Theologie den fundamentalen Impuls Jesu in Erinnerung behält oder ob sie sich im Selbstgespräch kreativer Sinnverschiebungen verliert.