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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

194-196

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thate, Michael J., Vanhoozer, Kevin J., and Constantine R. Campbell[Eds.]

Titel/Untertitel:

»In Christ« in Paul. Explorations in Paul’s Theol-ogy of Union and Participation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. IX, 577 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 384. Kart. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-152387-8.

Rezensent:

Günter Röhser

Der Umschlagtext des Bandes verspricht exegetische, historische und theologische Perspektiven auf »Paul’s theology of union and participation« und nimmt damit den Ausgangspunkt bei der Paulusinterpretation von E. P. Sanders (vgl. 6: »participationist eschatology«). Schon der erste Satz des Vorworts kündigt einen substanziellen neuen Beitrag zum Thema an. Gleichwohl wird der »ex-ploratory« und unabgeschlossene Charakter des Bandes betont (V).
Der Mitherausgeber Kevin J. Vanhoozer gibt eine theologische Einführung in wesentliche Aspekte des Bandes. Als Paradox, von dem die folgenden Beiträge ausgehen, benennt er die Tatsache, dass der Partizipationsgedanke für Paulus zentral, zugleich aber heutzutage weitgehend unzugänglich sei (6). Er weist auf die Parallele zwischen dem erneuerten Interesse an dem Thema bei Paulus und in der Theologie Calvins vor dem Hintergrund der Wirkungsgeschichte in der reformierten Soteriologie hin (7–9) und bezeichnet die »In-Christus«-Formel als Kurzfassung der gesamten Erlösungslehre und Heilsgeschichte (17) »from eternal election to heavenly session« (19) und »from the ›heavenlies‹ above to the earth below« (28; vgl. Eph 1,3 f.10; 2,6). Vanhoozer sieht die Notwendigkeit eines besonderen interpretativen Rahmens für die »Realität« des In-Christus-Seins (26), gleichzeitig aber auch als zentrale terminolo-gische Schwierigkeit des Buches »finding a single term« und den Wunsch mehrerer Autoren, die Vorherrschaft einer einzigen Be­schreibung auch weiterhin zu vermeiden (27). Als eigene Arbeitshypothese schlägt Vanhoozer das Konzept communification vor: »To be in Christ is to commune with Christ and other communicants in the commune that is Christ Jesus« (28), und als metaphorisches Modell dafür dasjenige des »Theaters«: »›in Christ‹ as eutopic theater« und »theodramatic participation« (13.28–30).
Douglas A. Campbell entwickelt anhand von Röm 12–15 ein umfassendes Verständnis von »Glauben« bei Paulus: »Christian believing is for Paul apparently both comprehensive and ethical, and even emotional; it is an entire mind or mentality« (44), und zeigt den organisch-ontologischen Zusammenhang zwischen Liebe Christi und Liebe der Glaubenden, zwischen Glaube und Liebe, zwischen Glaubenserkenntnis und Ethik anhand von Röm 15,1–7; Gal 5,5–6 und Röm 6,8.11. Den folgenden, letzten Schritt jedoch kann man nur mitgehen, wenn man sich bereits in der pistis Christou-Debatte entsprechend positioniert hat: denselben, nämlich partizipatorisch gedachten Zusammenhang auch zwischen dem Glauben Christi und dem Glauben der Christen herzustellen. Die weitreichenden theologischen Folgen, die Campbell im Falle einer »separation of Christian believing from participation« (58) befürchtet, muten grotesk an. Constantine R. Campbell fragt nach dem Realitätsbezug der paulinischen Metaphern für das In-Christus-Sein (Leib, Tempel und Gebäude, Ehe, neue Kleider) und kommt mit dem doppelten Bezug auf »spiritual reality« und »material reality« zu einem positiven Befund (Beispiel Leib: Sowohl Christus als auch die Kirche besitzen eine spirituelle und eine materielle Dimension.). In kritischer Auseinandersetzung mit J. Dunns Geistchristologie zeigt Grant Macaskill in einem gehaltvollen Beitrag, dass das Partizipationsdenken des Paulus in 1Kor 10 und Röm 8 einen christologischen Ansatz bei einer »incarnational ontology« erfordert. In einem ebenfalls »proto-trinitarisch« zu nennenden Ansatz (vgl. 100.111) und in Konzentration auf Röm 8 beschreibt Susan G. Eastman die Rolle des Geistes bei der Vermittlung und Aufrechterhaltung des In-Christus-Seins, welches gleichzeitig (s. den Titel des Beitrags: »Oneself in Another«) eine Partizipation der Gläubigen untereinander und eine solche zwischen Gott und den Gläubigen, zwischen seinem Geist und »unserem Geist« (beides in Röm 8,16 pneumatologisch verstanden!) darstellt (105.114). Nach der »Realität« von »Partizipation« fragt auch (vgl. C. R. Campbell) Matthew Croasmun – allerdings in evolutionsbiologischer Hinsicht. Demnach stellt die Kirche einen Organismus dar, der evolutionsbiologisch als »adaptive unit« und »social body« verstanden werden kann, dem gegenüber den individuellen »bodies« eine eigene Realität und Existenz zukommt: ein Körper im buchstäblichen (»literal«), materiellen (»material«) Sinne (136 f.). Dasselbe gilt für »the Body of Sin […] as a rival unity, a perverse system of participation« (mit Berufung auf ein kollektives Verständnis von soma in Röm 6,6.12: 145 f.). Isaac Augustine Morales, O. P. entfaltet die These, dass »participation in Christ is rooted, though not exhausted, in baptism« (168). Michael G. Gorman (»Paul’s Corporate, Cruciform, Missional Theosis in 2 Corinthians«) liest den 2. Korintherbrief als »treatise on theosis« (206) und verteidigt die Angemessenheit dieses Begriffs für die paulinische Soteriologie. Michael J. Thate vergleicht den Streit um die rechtmäßige Erbnachfolge des Kaisers Claudius zwischen Britannicus und Nero mit demjenigen um die Partizipation am Erbe und der Sohnschaft Abrahams bzw. der Adoption durch Gott zwischen Paulus und seinen Gegnern im Galaterbrief und sieht die Eigenart des »politischen« Paulus gerade in seiner mehr oder weniger bewussten »politics of neglect« gegenüber den römischen Praktiken und Ideologien; »empire […] is reduced to irrelevance« (241). Im Epheserbrief geht es um die Partizipation der Gläubigen an der Person und der Herrschaft des königlichen Messias, welche nach Joshua W. Jipp den traditionsgeschichtlichen Hintergrund bilden, vor dem die paulinische In-Christus-Vorstellung zu erklären ist, da Gott schon im Alten Testament durch den idealen König heilvoll an seinem Volk handelt. Das entscheidende »in (dem Messias)« kann ich allerdings nur in Ps 72,17 finden (260), ansonsten versagen die Parallelen. Außerdem überzieht Jipp bei Weitem den im Rahmen des Themas üblichen Sprachgebrauch, wenn er »sharing« und »participation« auch auf den Empfang der Heilsgaben (Versöhnung, Friede etc.) bezieht. In einem zweiten Beitrag aus seiner Feder beschäftigt Michael J. Thate sich vor einem umfangreichen raumtheoretischen und lokalgeschichtlichen Hintergrund mit »spatial reasoning« ( phronesis) im Philipperbrief im Rahmen von dessen »spatial imagery« (»in« Christus »in« Phi-lippi). Ist diese Lesart des Phil durch Thate nicht viel »politischer« als seine oben genannte des Gal?
Im zweiten Teil des Buches präsentieren die Herausgeber einige Stationen aus der Rezeptionsgeschichte des paulinischen Partizipationsgedankens: Ben C. Blackwell vergleicht die Konzeptionen von Irenäus und Clemens von Alexandrien (als Vertretern der griechisch-östlichen Vätertradition) miteinander, die beide die Wiederherstellung der (je unterschiedlich verstandenen) Gottebenbildlichkeit als das Ziel der Partizipation des Menschen an Christus und dem Heiligen Geist bestimmen. Darren Sarisky (sein Name fehlt im Mitarbeiterverzeichnis) steuert Überlegungen zur Römerbriefexegese Augustins (als Vertreter der westlichen Tradition) bei (insbesondere zu Röm 8 und der Gnadenlehre) und entlastet ihn von dem Vorwurf, nichts zum Thema »Partizipation« beitragen zu können. »Apocalyptic union with Christ« nennt Stephen Chester das Konzept Luthers und sieht darin keinen Gegensatz zu Luthers Rechtfertigungsverständnis, da es allein der rechtfertigende Glaube ist, durch den und in dem Christus im Glaubenden präsent ist.
Die folgenden drei Beiträge befassen sich mit der reformierten Tradition: Julie Canlis sieht bei Calvin die unio des Menschen cum Christo durch den Heiligen Geist, sein »In«-Christus-Sein (Calvin legt größten Wert auf diese Übersetzung der Präposition), gegründet in der Einheit Christi mit dem Vater und deswegen verbunden mit der Adoption des Menschen in dieses Sohnesverhältnis hinein. »For Calvin, God becoming our Father is perhaps the best summary of the gospel« (412; vgl. 414 f.). Unter der Überschrift »One with Him in Spirit« (nach 1Kor 6,17) befasst sich T. Robert Baylor mit der facettenreichen Lehre des reformierten Orthodoxen John Owen von der »union with Christ« und versteht diese bei ihm letztlich als »mystical« und »pneumatological« (450). Keith L. Johnson beschreibt »Karl Barth’s Reading of Paul’s Union with Christ […] as Vocation« (453.467), wobei auch die biblischen Bezüge (besonders zu Eph) sehr schön deutlich werden.
Der dritte Teil enthält drei Beiträge zu übergreifenden theologischen Perspektiven: Ashish Varma beschreibt die Heilsökonomie, die von der Heiligkeit des dreieinen Gottes ausgeht und zur Transformation des christlichen Lebens (»Christian virtue«) als »fitting participation« an dieser Ökonomie durch Christus führt.
Mary Patton Baker entfaltet vor dem allgemeinen Hintergrund des paulinischen koinonia-Verständnisses die Partizipation an Leib und Blut Christi im Herrenmahl (dessen Opfermahlcharakter in der Tradition Israels sehr stark betont wird). Devin P. Singh beschließt den Band mit Reflexionen über Zusammenhänge zwischen dem paulinischen Einheitsdenken (Kirche als Leib) und moderner »Biopolitik«, verstanden als »tactics of management of bodies and lives in the furtherance of political aims and of the life of the state« (531). Dies geschieht auf dem Hintergrund eines instruktiven Durchgangs durch die Geschichte politischer Theorien und endet mit einem Hinweis auf die Ambivalenz des Einheitsdenkens und -strebens überhaupt (s. den Titel des Beitrags: »Until We Are One?«) – offensichtlich in Kenntnis aller Beiträge des Bandes (vgl. 554).
Die Stärke des Buches besteht zweifellos in der Verbindung bib­lisch-, historisch- und systematisch-theologischer Beiträge. Trotz unterschiedlicher Zugänge entsteht der Eindruck großer Geschlossenheit, da die Autoren sich oft aufeinander bzw. auf dieselben Veröffentlichungen beziehen oder ein und demselben (amerikanischen evangelikalen) Diskurs angehören. Die Einheit der Disziplinen in der Bearbeitung einer gemeinsamen theologischen Aufgabe wird hier tatsächlich in Ansätzen erkennbar. Historische und systematische Fragestellungen können das Profil exegetischer Analysen schärfen (z. B. bei der Frage von »Partizipation vs. Deifika-tion«). Zu dem Preis, der für die Geschlossenheit gezahlt wird, ge­hört auch die nahezu vollständige Abwesenheit aktueller deutschsprachiger Literatur. Deutsche Theologie und Exegese kommen in diesem Buch nur vor, wenn sie in englischen Übersetzungen vorliegen. Der Einzige, der aktuelle deutsche Beiträge in nennens-wertem Umfang berücksichtigt, ist der Dominikaner I. A. Morales. Eher kommen noch althistorische Beiträge zum Zuge (M. J. Thate).
Trotzdem: Im Ergebnis haben wir vielleicht keinen substanziellen neuen Beitrag (vgl. Vorwort), aber eine eindrucksvolle Bestätigung des auch in der deutschen Paulusexegese vorherrschenden Trends vor uns, die »partizipatorische Christologie« als den Leit-gedanken paulinischer Theologie zu identifizieren und zu profi-lieren.