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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

907 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Jürgen, u. Ulrich Luz

Titel/Untertitel:

Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser. Übers. u. erkl.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1998. 244 S. gr. 8 = Das Neue Testament Deutsch, 8,1. Kart. DM 48,-. ISBN 3-525-51340-2.

Rezensent:

Eduard Lohse

Die bewährte Reihe des Kommentarwerks "Das Neue Testament Deutsch" ist um einen neu bearbeiteten Band 8/1 bereichert worden. Hatte J. Becker bereits seit längerer Zeit für die Übersetzung und Erklärung des Galaterbriefes verantwortlich gezeichnet, so legt U. Luz eine völlig neue Auslegung der Briefe an die Epheser und Kolosser vor.

Becker hebt die zentrale Bedeutung hervor, die der Theologie der Rechtfertigung für den Galaterbrief zukommt. Dabei hat er die neueste Diskussion durchgehend ausgewertet und insbesondere den Untersuchungen zur paulinischen Rhetorik gebührende Beachtung geschenkt. Mit seinem Brief wehrt sich der Apostel gegen die Gegenmission, die in die von ihm gegründeten Gemeinden eingebrochen ist. Verteidigt er Auftrag und Amt in 1,10-2,21, so trägt er in 3,1-5,12 eine argumentative Begründung seiner Lehre vor, die als probatio oder argumentatio bezeichnet werden kann. Dabei liegen in 4,12-20 typische Motive eines Freundschaftsbriefes vor. Schließlich umfaßt der in 5,13-6,10 entfaltete paränetische Abschnitt an die Leser gerichtete ethische Ermahnung, für deren Gestalt es keine vergleichbaren Vorgaben in rhetorischen Traditionen gibt (10 f.). Indem Becker in ebenso überzeugender wie zurückhaltender Urteilsbildung von den Einsichten rhetorischer Untersuchungen von den paulinischen Briefen Gebrauch macht, wertet er diese kritisch aus und trägt zugleich dem genuin brieflichen Charakter des Schreibens Rechnung.

Der Beachtung wert sind auch die mehrfach ausgesprochenen Hinweise, daß bestimmte Begriffe und fest geprägte Aussagen sich möglicherweise auf antiochenische Überlieferungen zurückführen lassen, an deren Ausbildung Paulus selbst beteiligt gewesen sein kann. In dieser Gemeinde könnte auch die paulinische Lehre von der Rechtfertigung ihre Gestalt erfahren haben (s. 40 f. zu Gal. 2,16). Auch läßt sich vielleicht ein Satz wie der von 3,28 auf Antiochia zurückführen (60). Mit dieser Einordnung werden weiterführende Beobachtungen zum Verständnis vorgegebener Wendungen urchristlichen Bekenntnisses und deren Auswertung im Zusammenhang der paulinischen Theologie vorgetragen.

Luz bewertet zu Recht den Epheserbrief als eindeutig nachpaulinisches Schriftstück, dessen erster Teil "als ein lobpreisendes Gebet" verstanden wird, "das durch eine ausführliche Erinnerung an das, wofür die Gemeindeglieder danken dürfen, unterbrochen wird" (107). In diesen Zusammenhang fügen sich auch die thematischen Ausführungen über die Kirche als Leib Christi ein. Wahrscheinlich stellt der Epheserbrief ursprünglich ein Rundschreiben dar, das dann erst sekundär mit einer Ortsangabe versehen wurde. Stilistische und theologische Überlegungen sowie die unverkennbare Abhängigkeit vom Kolosserbrief sprechen eindeutig dafür, daß nicht mit einer paulinischen Verfasserschaft zu rechnen ist.

Anders wird der Kolosserbrief beurteilt, der zwar nicht direkt, aber doch indirekt auf den Apostel zurückgeführt wird. Luz schließt sich der gelegentlich geäußerten Hypothese an, das Schreiben sei im Auftrag des gefangenen Paulus von einem seiner Mitarbeiter - wahrscheinlich Timotheus - verfaßt worden (185). Doch fragt sich, ob diese Erklärung ausreichen kann, um den auch von Luz nicht bestrittenen Abstand von den authentischen Paulusbriefen hinlänglich zu erklären. Im Bemühen, sich einer inklusiven Ausdrucksweise zu bedienen, spricht Luz immer wieder von "Adressaten und Adressatinnen" bzw. "Lesern und Leserinnen". Doch bleibt er - berechtigterweise - im Blick auf die Gegner, mit denen sich der Kolosserbrief auseinanderzusetzen hat, dabei, nur den maskulinen Ausdruck zu verwenden. Wer den Band zur Hand nimmt, wird gewiß damit einverstanden sein, sich zu den Lesern im weitesten Sinn zählen zu dürfen. Und deren möchte man den hier vorgelegten Auslegungen - keineswegs nur unter Theologen - viele wünschen.