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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

189-190

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Boda, Mark J., and Lissa M. Wray Beal [Eds.]

Titel/Untertitel:

Prophets, Prophecy, and Ancient Israelite Historiography.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2013. XII, 401 S. Geb. US$ 54,50. ISBN 978-1-57506-257-0.

Rezensent:

Roman Vielhauer

Der anzuzeigende Sammelband geht im Kern auf eine Tagung des Ancient Historiography Seminar beim Annual Meeting der Canadian Society of Biblical Studies 2009 zurück und beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Prophetie und Geschichtsschreibung in der Hebräischen Bibel. Nach einer knappen Einleitung durch die Herausgeber (VII–XII) werden die insgesamt 18 Beiträge in zwei Teilen dargeboten, einem (umfangreicheren) ersten Teil, der der Rolle von Propheten und Prophetie in den Geschichtswerken, und einem (kürzeren) zweiten Teil, der – umgekehrt – der Bedeutung von Ge­schichtsschreibung innerhalb der Prophetenbücher einschließlich Daniel und Henoch nachgeht.
Der erste Teil vereinigt zwölf Beiträge unter der Überschrift »Prophets and Prophecy in Israelite Historiographic Books«.
Bernon Lee (»›Face to Face‹: Moses as Prophet in Exodus 11:1–12:28«, 3–21) untersucht die Darstellung Moses als Prophet in Ex 11,1–12,28, Gordon Oeste (»The Shaping of a Prophet: Joshua in the Deuteronomistic History«, 23–41) die Josuas im Josuabuch in ihrer Bedeutung für das Deuteronomistische Geschichtswerk. Mark J. Boda (»Recycling Heaven’s Words: Receiving and Retrieving Divine Rev-elation in the Historiography of Judges«, 43–67) entdeckt im Richterbuch zwei unterschiedliche Arten der Vermittlung göttlicher Worte, die zudem noch mit der Anlage des Buches korrespondierten. J. Richard Middleton (»Samuel Agonis­tes: A Conflicted Prophet’s Resistance to God and Contribution to the Failure of Israel’s First King«, 69–91) hebt die Rolle Samuels beim Fall Sauls hervor und vermutet eine persönliche Rivalität von Seiten des Propheten um die Führerschaft in Israel als eigentliche Ursache für die Verstoßung des Königs. John Van Seters (»Prophecy as Prediction in Biblical Historiography«, 93–103) weist darauf hin, dass sich die drei Erzählungen 1Sam 15,1–16,13; 28,3–25; 2Sam 11,1–12,25 und 1Kön 13 nicht in das von Rad’sche Schema deuteronomistischer Geschichtstheologie von Verheißung und Erfüllung einfügten, und erklärt sie deshalb zu (parodistischen) Bearbeitungen dieses Schemas durch spätere Autoren. Lissa M. Wray Beal (»Jerobeam and the Prophets in 1 Kings 11–14: Prophet-ic Word for Two Kingdoms«, 105–124) liest die vier Prophetenepisoden aus 1Kön 11–14 im Zusammenhang und stellt ihre Bedeutung für die Geschichtsdarstellung der Königebücher heraus. Kurt L. Noll (»Presumptuous Prophets Participating in a Deuteronomic Debate«, 125–142) möchte die Vorderen Propheten weder als Geschichtswerk noch als (autoritatives) Glaubenszeugnis verstanden wissen, sondern als mehr oder weniger zufällige Mixtur aus Quellenmaterial und freien Erfindungen theologisch hoch gebildeter Gedankenspieler mit Vorbehalten gegenüber dem Deuteronomium. Paul S. Evans (»Prophecy Influ-encing History: Dialogism in the Chronicler’s Ahaz Narrative«, 143–165), methodisch der Dialogizitätstheorie Bachtins verpflichtet, zeigt auf, wie sich die Darstellung Ahas’ in 2Chr 28 literarisch neben 2Kön 16 auch aus Jes 7 speist, und bringt damit beispielhaft literaturwissenschaftlich geprägte und historisch-kritische Forschung am Alten Testament in einen fruchtbaren Dialog. Ehud Ben Zvi (»Chronicles and Its Reshaping of Memories of Monarchic Period Prophets: Some Observations«, 167–188) untersucht das Prophetenbild der Chronik, insbesondere inwiefern diese das soziale Gedächtnis ihrer spätperserzeit-lichen Leserschaft in Bezug auf Propheten und Prophetie der Königszeit be­einflusst und verändert haben mag. Lisbeth S. FriedDeus ex Machina and Plot Construction in Ezra 1–6«, 189–207) möchte in Esra 1–6 einen ursprünglich traditionell gehaltenen Tempelbaubericht nach dem Vorbild des aristotelischen Dramas überarbeitet sehen, in dem die Propheten Haggai und Sacharja die Rolle des Deus ex Machina spielten. David Shepherd (»Is the Governor Also among the Prophets? Parsing the Purposes of Jeremiah in the Memory of Nehemiah«, 209–227) geht dem Einfluss der Jeremia-Tradition auf die Nehemia-Denkschrift nach und zieht aus der Übernahme jeremianischer Anliegen Rückschlüsse über das Selbstverständnis des Nehemia. Andrew W. Pitts (»The Use and Non-Use of Prophetic Literature in Hellenistic Jewish Historiography«, 229–252) schließlich beschäftigt sich mit der Aufnahme prophetischer Literatur in jüdischen Geschichtswerken aus hellenistischer Zeit (Jub, 3Esr, 1–2Makk, Josephus) und erklärt die Art ihrer Quellennutzung und Zitationspraxis vor dem Hintergrund griechischer Geschichtsschreibung.
Der zweite Teil des Bandes versammelt sodann sechs Beiträge unter dem Titel »Historiography in Israelite Prophetic Books«.
Danielle Duperreault (»The Poetics of History and the Prophecy of Deutero-Isaiah«, 255–274) stellt die Bedeutung des prophetischen Wortes für die Konstruktion von Geschichte und Identität Israels bei Deuterojesaja heraus. Mark Leuchter (»Personal Missives and National History: The Relationship between Jeremiah 29 and 36«, 275–293) nimmt für Jer 29 einen zweistufigen (nationalisierenden) Entstehungsprozess an und bringt diesen mit dem Hinweis zur Genese des Jeremiabuches aus Jer 36,32 in Verbindung. Brian Peterson (»Ezekiel’s Perspective of Israel’s History: Selective Revisionism?«, 295–314) macht auf die selektive, vergleichsweise negativ anmutende Wahrnehmung der Geschichte Israels in den ezechielischen Geschichtsrückblicken Ez 16; 20 und 23 aufmerksam. Grace Ko (»The Ordering of the Twelve as Israel’s Historiography«, 315–332) möchte nicht nur, einem neueren Forschungstrend folgend, die zwölf kleinen Propheten als Einheit lesen, sondern darüber hinaus, P. R. House folgend, diese (nach historiographisch-chronologischen Gesichtspunkten geordnete) Einheit als eine Art Komödie verstehen, in der das Buch Habakuk eine herausgehobene Rolle spiele. Ralph J. Korner (»The ›Exilic‹ Prophecy of Daniel 7: Does It Reflect Late Pre-Maccabean or Early Hellenistic Historiography?«, 333–353) identifiziert das »kleine Horn« in Dan 7 anders als in Dan 8 und nicht wie sonst üblich mit Antiochus IV. (175–164 v. Chr.), sondern mit Ptolemaios I. Soter (323–282 v. Chr.) und datiert das Kapitel Dan 7 von daher nicht in die späte vormakkabäische, sondern in die frühe hellenistische Zeit. Colin M. Toffelmire (»[Re]Visionary His­tory: Historiography and Religious Identity in the Animal Apocalypse«, 355–373) schließlich betrachtet die visionäre Geschichtsschau der sogenannten Tierapokalypse im äthiopischen Henochbuch (1Hen 85–90) als Mittel religiöser Identitätsstiftung in Zeiten und in Ablehnung seleukidischer Fremdherrschaft über Juda.
Die üblichen Register beschließen den Band, der einen guten Einblick in die kanadische bzw. mit Kanada verbundene Forschung zum Thema Prophetie und Geschichtsschreibung gewährt.