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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

183-185

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Knoppers, Gary N.

Titel/Untertitel:

Jews and Samaritans. The Origins and His-tory of Their Early Relations.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2013. 352 S. Geb. US$ 58,00. ISBN 978-0-19-532-954-4.

Rezensent:

Andreas Lehnardt

Gary N. Knoppers ist Professor für Biblical Studies/Christianity and Judaism in Antiquity an der University of Notre Dame in Indiana. Angeregt durch seinen Lehrer Frank M. Cross, dem der Band pos-tum gewidmet ist, fokussiert das Werk bekannte, aber bislang nicht hinreichend geklärte Fragen nach Herkunft und Entstehung der Samaritaner. Mit diesem erneuten Versuch einer Gesamtdarstellung der Frühgeschichte der Samaritaner setzt das Werk eine Reihe von Monographien fort, die von Richard J. Coggins (1975), Józef Zsengellér (1998), Robert T. Anderson/Terry Giles (2002), Menahem Mor (2003), Magnar Kartveit (2009) bis hin zu Pieter W. van der Horst (2. Aufl. 2013) führt und damit die dynamische Forschungslage widerspiegelt, die insbesondere durch archäologische und epigraphische Funde in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich verändert wurde.
In sieben chronologisch angeordneten Kapiteln wird der Leser mit dem komplexen Sachstand vertraut gemacht und an aktuelle Fragestellungen der neueren Samaritanerforschung herangeführt. Eine grundlegende Frage, die das Buch gleich im ersten Kapitel von Neuem aufwirft, ist die nach dem Schicksal der Einwohner Nordisraels seit dem 8. Jh., insbesondere nach dem Umfang der Deportationen der nordisraelitischen Stämme durch die Assyrer. Der Vf. setzt dabei voraus, dass, obwohl zahlreiche Bewohner des Nordreiches deportiert wurden, viele Bewohner dieses Teils Israels im Land verblieben und dort unter der Fremdherrschaft ihre Religion weiter ausüben konnten. Das zweite Kapitel analysiert unter diesem Blickwinkel zunächst die archäologischen Funde im Gebiet des Nordreiches, dann auch die assyrischen Inschriften und weiteres inschriftliches Material, um diese These weiter auszubauen. Wichtig ist dem Vf. dabei der Gedanke, dass es nach der Eroberung durch die Assyrer sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität gegeben hat. Nicht alle Regionen des Nordreiches dürften im Übrigen von der Zerstörung und von den Deportationen gleichermaßen betroffen gewesen sein. Im 8. Jh. fand keine vollständige kulturelle Transformation statt, vielmehr verblieben Israeliten im Lande, so dass der Vf. pointiert festhalten kann, dass die sagenhaften verlorenen Stämme Israels wohl niemals vollständig verloren gegangen sind. Diese wichtigen Ergebnisse der Analyse der archäologischen und epigraphischen Zeugnisse werden in einem dritten Kapitel mit den literarischen Zeugnissen in der Bibel konfrontiert. Die deuteronomistische Darstellung der Deportation aus dem Nordreich lässt mehrere Bearbeitungen erkennen. Einerseits wird der Eindruck erweckt, die nachexilischen Einwohner der Nordgebiete seien von den Vorgängern strikt zu unterscheiden, daher seien sie nicht mit den Judäern verbunden gewesen. Andererseits wird betont, dass die neue Gemeinschaft durch Priester geführt wurde, die repatriiert wurden und daher so etwas wie eine Kontinuität garantieren konnten. Die vereinfachende Lesung der deuteronomistischen Darstellung ist dem Vf. zufolge jedoch zu revidieren, und diese Beobachtung wird im vierten Kapitel anhand einiger Berichte aus den Chronikbüchern weiter gestützt. Auch die Autoren der Chronikbücher gehen von einer kontinuierlichen israelitischen Präsenz im Nordreich aus, d. h. auch nach den Deportationen. In einem fünften Kapitel geht das Werk wieder auf die archäologischen Befunde ein: Zahlreiche neuere Untersuchungen, Surveys und Grabungen lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass das Nordreich in der neu-babylonischen und persischen Zeit viel dichter besiedelt und bevölkerungsreicher war als Judäa (Jehud). Die Funde lassen außerdem die Gemeinsamkeiten hinsichtlich Sprache, Wirtschaft und Religion erkennen. Noch wichtiger sind die Ausgrabungsergebnisse vom Berg Garizim, dem heiligen Berg der Samaritaner, wo Reste eines hellenistischen und eines aus persischer Zeit stammenden Tempels nachgewiesen wurden. Diese Entdeckungen weisen eindeutig darauf hin, dass es zu dem Jerusalemer Tempel viel früher ein Konkurrenzheiligtum gegeben haben muss, als dies in der Forschung bislang vorausgesetzt wurde. Das siebte Kapitel befasst sich dann noch einmal mit den literarischen Zeugnissen in den Büchern Esra und Nehemia, vor allem mit den Darstellungen der Spannungen zwischen Samaritanern (vor allem Sanballat) und den Jerusalemer Machthabern. Dem Vf. zufolge dürfen diese Berichte nicht als Indiz für ein Schisma gewertet werden. Es bestanden vielmehr enge Kontakte zwischen Samaritanern und den Einwohnern Jerusalems. Die biblischen Texte reflektieren insofern interne Auseinandersetzungen über Identität und Volk als tatsächliche Konfrontationen. Das abschließende siebte Kapitel geht auf die weitere Entwicklung der Beziehungen bis in die makkabäische Zeit ein. Die letzten beiden Jahrhunderte vor der Zeitenwende lassen eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen zu den Samaritanern erkennen, und sie wurde durch die Zerstörung des Tempels auf dem Garizim durch Johannes Hyrkan noch einmal auf die Spitze getrieben. Die Verhältnisse dürften sich allerdings auch nach diesem einschneidenden Wendepunkt nicht einseitig dargestellt haben. Hierfür verweist der Vf. auf die Überlieferung des Pentateuchs, der von beiden Gruppen, Samaritanern wie Judäern, beansprucht wurde. Offenbar entwickelte sich der samaritanische Pentateuch erst im 2. bis 1. Jh. v. Chr. zu dem distinkten Identitätsstifter der Gemeinschaft, der es bis heute geblieben ist.
Die gelehrte und auf vielen unterschiedlichen Gebieten der Forschung gut informierte Monographie ist in ihrem Aufbau wohldurchdacht. Stellenweise liest sich das Buch nicht nur als eigenständiger Forschungsbeitrag, in dem ein neues Verständnis für die Beziehungen zwischen Samaritanern und Juden (Judäern) vermittelt wird, sondern auch als eine Einleitung in die (frühe) Geschichte der Samaritaner (und Israels) insgesamt. Zu begrüßen ist, dass die unterschiedlichen Gruppen innerhalb des antiken Judentums differenziert betrachtet werden und auch die Abgrenzungen diac hron unterschieden und als sich stetig wandelnd beschrieben werden. Die Fülle der berücksichtigten Quellen und Materialien zeugt von der langjährigen intensiven Forschungstätigkeit des Vf.s– häufig auch vor Ort, in Israel und Palästina. Zu bemerken ist, dass rabbinische Texte, auf die gelegentlich kontrastierend hingewiesen wird, weniger differenziert betrachtet werden als etwa biblische Belegstellen, Josephus oder archäologische Quellen. Doch liegt diese Frage, nämlich wie die Rabbinen auf die Samaritaner reagierten, jenseits des zeitlichen Horizonts des Buches und bleibt daher weiteren Untersuchungen vorbehalten.