Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2016

Spalte:

163-180

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Barbara Hallensleben / Augustin Sokolovski

Titel/Untertitel:

Orthodoxe Ekklesiologie auf dem Weg zur Zeitgenossenschaft




I Orthodoxe Meta-Ekklesiologie. Dekonstruktion in konstruktiver Absicht


Ekklesiologie ist die Art und Weise, wie eine Kirche sich selbst wahrnimmt und versteht. Die orthodoxe Kirche betrachtet sich als die Kirche der Ökumenischen Konzilien, die Kirche der Väter, die Kirche der ununterbrochenen apostolischen Tradition, die Kirche Jesu Christi im Singular. So lautet die heutige orthodoxe Selbstdarstellung ad intra wie ad extra. Eine typische Aussage klingt wie folgt: »Die orthodoxe Kirche hat die Ekklesiologie (Lehre von der Kirche) der Urkirche treu bewahrt, so wie sie im Neuen Testament und den Schriften der Kirchenväter zu finden ist und wie sie die ununterbrochene Praxis der Kirche unverändert überliefert hat«1. Das macht die Aufgabe einer Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der orthodoxen Welt äußerst schwierig, weil es ihrem Wesen zu entsprechen scheint, mit dem Glanz des göttlichen Pleroma die Bedingtheit der geschichtlichen Gestalt zu überstrahlen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass der Singular »orthodoxe Kirche« in der offiziellen Selbstdarstellung den Vorrang gegenüber dem Plural der »orthodoxen Kirchen« hat. Der Zugang zur orthodoxen Ekklesiologie in ihrer unbedingten Hermeneutik der Einheit und Kontinuität führt unweigerlich über eine Dekonstruktion. Von dekonstruktivistischen Zugängen zur Welt der orthodoxen Kirchen in der Form verständnisloser Kritik sind insbesondere die Medien heute übervoll. Vermutlich sind sie teilweise der Spiegel einer fehlenden kritischen Selbstwahrnehmung, d. h. einer fehlenden zeitgenössischen orthodoxen Ekklesiologie. Die Aufgabe der Formulierung oder Beschreibung einer orthodoxen Ekklesiologie besteht daher in einer Dekonstruktion in konstruktiver Absicht, um den wahren Reichtum dieser kirchlichen Tradition freizusetzen. Diese Aufgabe muss nicht von außen an den orthodoxen Kirchen geleistet werden. Sie findet Vorläufer und Verbündete in der orthodoxen Welt selbst.

Als Beispiel sei die jüngste, 2015 erschienene ekklesiologische Studie aus orthodoxer Feder angeführt: In seinem Buch »Meta-Ecclesiology: Chronicles on Church Awareness«2 legt der ukrainisch-amerikanische Theologe Kyrill Hovorun3 (geb. 1974) einen neuen ekklesiologischen Entwurf für die orthodoxe Theologie vor. Seine Tätigkeit in den administrativen Strukturen der Russischen Orthodoxen Kirche hat Kyrill Hovorun nach eigener Aussage dazu bewegt, einen Sprung von der Patristik ins Stu-dium der Ekklesiologie zu machen. Das Selbstbewusstsein (self-awareness) der Kirche ist das Hauptthema seiner Studie. Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der gegenwärtigen orthodoxen Theologen, die eine statische Präsenz der Kirche in der Geschichte sehen, legt Hovorun dar, wie das Selbstbewusstsein der Kirche sich ständig gemäß den jeweiligen sozialen und politischen Umständen wandelt, ohne das »unwandelbare Selbst« (the invariable ›self‹ of the Church) der Kirche dabei preiszugeben.

Hovoruns Zugang zur Ekklesiologie ist analytisch und unverkennbar geprägt durch den Einfluss protestantischer Theologie. Der Kern der Kirche ist mit der Gemeinde (community) gleichzu-setzen. Hovorun kritisiert eine sogenannte »Ontotheologie«, die Strukturen mit dem Wesen der Kirche verwechsele. Alle adminis­trativen Gestalten, Hierarchie und Primat inbegriffen, finden ih­ren einzigen Sinn im Dienst an der Gemeinde und sind daher für den Autor eine Sache der Konvenienz und der Zustimmung der Kirche. Potentiell können sie sich gegen die Kirche wenden und das Ziel der Einheit zerstören, für das sie eigentlich erfunden ( invent-ed!) wurden. Eine wichtige Dimension in Hovoruns ekklesiologischen Beiträgen stellt die Kirche in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit (public square) dar. Die bilaterale Struktur »Kirche – Staat« sei überholt und durch den Dreiklang »Kirche – Staat – Gesellschaft« zu ersetzen. Patriotismus und Etatismus, die im gegen-wärtigen orthodoxen ekklesiologischen Diskurs eine bedeutsame Rolle spielen, werden von ihm als neue Formen der »civil religion« innerhalb der Orthodoxie kritisiert. Sein eigenes politisch-theo-logisches Engagement in der Maidan-Bewegung während der jüngs­ten ukrainischen Revolution hat scharfe Kritik von einigen Theologen der Russischen Orthodoxen Kirche innerhalb der Russischen Föderation hervorgerufen. Damit bestätigt sich, wie wenig selbstverständlich die ekklesiale wie die ekklesiologische Situierung des Autors sind.

Die mit Hovorun »meta-ekklesiologisch« gestellte Frage nach der orthodoxen Ekklesiologie ist in der Tat keine Aufgabe der Do­kumentation eines fertig vorliegenden Bestandes, sondern die Annäherung an ein interaktives theologisches Arbeitsprogramm. Die heute zugänglichen ekklesiologischen Entwürfe sind bereits in vieler Hinsicht Re-Aktionen auf aktuelle Entwicklungen innerhalb oder außerhalb der orthodoxen Welt, ohne sich als solche zu deklarieren. Die Aufgabe stellt sich auf vielen Ebenen mit neuer Dringlichkeit.

II Aktuelle Kontexte


1. Politisch betrachtet lenkt die dramatische Lage in Griechenland, dem ältesten orthodoxen Land der Europäischen Union, die Aufmerksamkeit auf die Rolle der dortigen orthodoxen Kirche: Liegen die Probleme bei der Willkür einer korrupten Regierung (die mit den Stimmen der orthodoxen Mehrheit gewählt sein muss)? Oder sind in den säkularen Entwicklungen nicht doch theologische Faktoren am Werk, die in einer dem Westen nicht vertrauten orthodoxen Weltanschauung gründen? Sollte es wirklich ohne ökonomische Auswirkungen bleiben, wenn die Heilsökonomie in der Ablehnung des filioque allein auf Gott den Vater bezogen wird und nicht mit dem menschgewordenen Sohn vermittelt ist? Was wird ek-klesiologisch geschehen, wenn in einem so traditionell orthodox geprägten Land für die Kirche eine klarer markierte Distanz zu den politischen Machthabern plausibel zu werden beginnt? Und was ist ekklesiologisch bereits geschehen, wenn der Westen auf die bewusste Unterstützung der syrischen Orthodoxen für die Regierung Assads und auf die Option koptischer Christen für eine muslimisch geführte ägyptische »Januar-Revolution« stößt? Was liegt der – keineswegs normativ, sondern deskriptiv und durchaus kritisch gemeinten – Beobachtung des amerikanischen Politologen Samuel Huntington zugrunde: »Wo hört Europa auf? Es hört dort auf, wo das westliche Christentum aufhört und Orthodoxie und Islam beginnen«4? Kurz: Haben wir schon hinreichend ge­lernt, die sogenannten nicht-theologischen Faktoren theologisch zu deuten?

2. Faktisch formen zumindest die orthodoxen Kirchen Osteuropas ihr kirchliches Selbstverständnis innerhalb der sogenannten ökumenischen Bewegung. Die Spannungen zwischen orthodoxen und protestantischen Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) führten bei der achten Vollversammlung in Harare 1998 zur Einsetzung einer 60-köpfigen Sonderkommission, die im September 2002 dem Zentralausschuss ihren Schlussbericht vorlegte, der wiederum 2005 einige Verfassungsänderungen im ÖRK nach sich zog. Unter den Hauptthemen nimmt der Abschnitt »Ekklesiologie« die erste Stelle ein.5 Hier zeigt sich das neue Selbstbewusstsein der orthodoxen Kirchen und ihre grundlegende ekklesiologische Option: Konstatiert werden »zwei grundlegende Ausdrucksformen ekklesiologischen Selbstverständnisses«, »nämlich das jener Kirchen (wie der orthodoxen), die sich mit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche identifizieren6, und das der anderen Kirchen, die sich als Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche verstehen. Diese zwei unterschiedlichen ekklesiologischen Positionen haben Auswirkungen darauf, ob Kirchen gegenseitig ihre Taufe anerkennen und ob sie überhaupt in der Lage sind, sich gegenseitig als Kirchen anzuerkennen. Sie haben auch Auswirkungen darauf, wie Kirchen das Ziel der ökumenischen Bewegung, ihre Instrumente – einschließlich des ÖRK und seiner Gründungstexte – verstehen« (15.). In der Folge wurde insbesondere das Mehrheitsprinzip durch ein Konsensver fahren bei der Entscheidungsfindung im ÖRK ersetzt. Weiter-hin wurde beschlossen, auf den Ausdruck »ökumenischer Gottesdienst« wegen seines unklaren ekklesialen Status’ zu verzichten.7

Fruchtbarer verliefen zunächst die orthodox-katholischen Dialoge, insbesondere auf der Grundlage der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils, die von der orthodoxen Kirche begrüßt und weitgehend anerkannt wurde, vor allem in der neuen Aufmerksamkeit für die Lokalkirchen und die Kollegialität der Bischöfe.8 Die Aufhebung der Anathema von 1054 durch Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras am 7. Dezember 1965 weckte die Hoffnung auf eine baldige Wiederherstellung der vollen Kirchengemeinschaft.9 Die Dokumente der 1964 eingesetzten Gemischten Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche befassen sich quasi ausnahmslos mit ekklesiologischen Fragen10 und finden ihren programmatischen Auftakt in dem Thema »Das Geheimnis der Kirche und der Eucharistie im Licht des Geheimnisses der Heiligen Dreifaltigkeit« (1982). Flankierend vertieften Initiativen wie die Symposien des Ostkirchlichen Instituts Regensburg11 und seit 2004 der vom Johann-Adam-Möhler-Institut in Paderborn ini­tiierte »Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenä­us«12 das gegenseitige Vertrauen und die Erarbeitung gemeinsamer theologischer Stellungnahmen. Zwischen den katholischen Kirchen und den orientalisch-orthodoxen Kirchen wurden mehrere Einigungserklärungen über die Christologie von Chalcedon unterzeichnet,13 deren pastorale Konsequenzen einer Kirchengemeinschaft gleichkommen, während der entsprechende Dialog der or­thodoxen Kirchenfamilien untereinander bislang ohne verbindliches Ergebnis blieb. Nach der politischen Wende in Europa kam es im orthodox-katholischen Austausch zu einer merklichen Abkühlung, bedingt durch die mangelnde Sensibilität der Westkirchen für die spezifischen Aufgaben und Probleme der Ostkirchen in ihrer neuen gesellschaftlichen Freiheit. Enttäuschung und Kritik werden von orthodoxer Seite insbesondere in den Fragen der unierten Kirchen und des Proselytismus vorgebracht. Die Westkirchen insgesamt trifft der orthodoxe Vorwurf der unkritischen An­passung an den Lebensstil der säkularisierten Welt.

3. In jüngster Zeit treten die innerorthodoxen Spannungen insbesondere im ekklesiologischen Bereich deutlich zutage. Nicht selten zeigt sich, dass die ekklesiale Realität nicht mehr von der ekklesiologischen Reflexion erreicht wird. Das Phänomen der in Russland aktiv propagierten und in der Ukraine faktisch kirchlich verurteilten »Politischen Orthodoxie« findet sich z. B. im Rahmen ein und derselben Kirche des Moskauer Patriarchats. Die intensivierte Vorbereitung der Heiligen und Großen Synode der byzantinischen orthodoxen Kirchen ist sowohl Anlass als auch Folge dieser Situation. Die ersten Initiativen zu einer solchen Synode, auch »Panorthodoxes Konzil« genannt, finden sich bereits in den Enzykliken des Ökumenischen Patriarchen Joachim III. von 1902 und 1904.14 Die Zeit der kommunistischen Unterdrückung vieler orthodoxer Kirchen wurde paradoxerweise zu einer Phase intensivierter Zusammenarbeit, während die Rückkehr zur politischen Freiheit ein neues nationales und kirchliches Selbstbewusstsein hervorbrachte, das die Zusammenarbeit erschwert und zu innerortho-doxen Konflikten bis zum zeitweisen Abbruch der kirchlichen Gemeinschaft zwischen einzelnen Kirchen führt. Zumindest die Frage der Jurisdiktion in der orthodoxen Diaspora fand eine vorläufige Lösung auf der Vierten Vorkonziliaren Konferenz im Juni 2009, indem orthodoxe Bischofsversammlungen auf regionaler Ebene gegründet wurden.15 Um die für Pfingsten 2016 angekündigte Synode als Ausdruck panorthodoxer Einheit nicht zu gefährden, sind heikle Themen wie die Autokephalie und ihre Proklamation sowie die Rangordnung der Kirchen gemäß den Diptychen von der Tagesordnung abgesetzt; für Entscheidungen ist ein Konsens erforderlich.

Bei einer Tagung am 24. März 2014 am Institut für Ökumenische Studien der Universität Freiburg zur Frage des Primats zeigte sich, dass die orthodoxe Hermeneutik der Kontinuität in Bezug auf ekklesiologische Grundfragen auch auf höchster Ebene einer differenzierteren Sicht zu weichen begonnen hat. Metropolit Hilarion, Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, leitete seine Stellungnahme mit der Grundaussage ein: »Der Diskussionsbedarf in diesen Fragen bringt es mit sich, dass zum heutigen Zeitpunkt nicht ein einziges ekklesiologisches Modell existiert, das diese Themen in einer Weise beschreiben könnte, mit der alle Orthodoxen Lokalkirchen einverstanden wären. Das lässt sich an den Beispielen der Polemik erkennen, die im Bereich des orthodoxen theologischen Denkens aufgekommen ist. Im Unterschied zur Trinitätslehre und zur Christologie gehört die Lehre von der Kirche nicht zu demjenigen Bereich der kirchlichen Überlieferung, der terminologisch normativ und dogmatisch auf konziliare Weise festgelegt worden wäre. Die Ekklesiologie ist heute ein Bereich theologischer Forschungen, ein Bereich, in dem Theologen verschiedene, oft unvereinbare methodologische Zugänge und Modelle vorlegen, polemisieren und vorläufig keine Einigkeit demonstrieren« 16.

III Am Ursprung einer politisch bedingten Differenz


Eine theologische Betrachtung der Orthodoxie, die die sogenannten »nicht-theologischen« Faktoren nicht ernstnimmt, verfehlt auch das Verständnis der theologischen Reflexionen. Die divergierenden heutigen Kontexte drängen zur Rückfrage nach dem Ur­sprung ekklesiologischer Weichenstellungen, die ein Verständnis für das Unverständliche eröffnen. Vieles spricht dafür, dass wir dabei über den innerkirchlichen Horizont hinaus auf die politische Situierung der ekklesialen Wirklichkeiten achten müssen: Im Westen ist das Papsttum älter als das Kaisertum und steht diesem im Singular gegenüber: Papst Leo III. krönte Karl den Großen. Im Osten ist es umgekehrt: Im römischen Kaiser, der seinen Sitz von Rom am Tiber in das »Neue Rom« am Bosporus verlegt hat, findet sich der Singular der politischen Macht gegenüber dem Plural der traditionsreichen östlichen Sitze Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und des aufsteigenden Konstantinopel. In dieser Konstellation darf nicht einfach in westlicher Perspektive von Cäsaropapismus gesprochen werden, denn der Kaiser wird in seiner politischen Rolle in ekklesiologischen Kategorien als Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi betrachtet. So kann Patriarch Nikephoros an Papst Leo III. schreiben, der gerade Karl den Großen zum Kaiser gekrönt hatte, der Kaiser Nikephoros I. »habe sich aufgeregt und es schwer ertragen, dass ihr euch von der Kirche [!] losgerissen habt« 17. Die Krönung eines zweiten Kaisers für das eine Reich wird als Kirchenspaltung betrachtet. Ein bekanntes Zeugnis der letzten Ausläufer dieser Kaiser-Theologie ist der Brief von Patriarch Antonius IV., der 1393 an den russischen Großfürsten Vassilij schreibt: »Man sagt, du hinderst den Metropoliten, des göttlichen Namens des Kaisers in den Diptychen zu gedenken – eine Handlung, die früher unmöglich geschehen wäre. Und dass du sagst: ›Eine Kirche haben wir, einen Kaiser aber haben wir nicht‹, billigen wir auch nicht, und das ist keineswegs schön […] Es ist nicht möglich für die Christen, eine Kirche, aber keinen Kaiser zu haben. Denn die Kaiserherrschaft und die Kirche haben eine volle Einheit und Gemeinschaft, und es ist nicht möglich, sie voneinander zu trennen« 18.

In diesem Licht muss der umstrittene Kanon 28 des Konzils von Chalcedon gelesen werden. Er bekräftigt can. 3 des Konzils von Konstantinopel 381, der lapidar besagt: »Der Bischof von Konstantinopel hat den Vorrang der Ehre nach dem Bischof von Rom, denn Konstantinopel ist das Neue Rom«. Chalcedon liefert eine Begründung: »Denn dem Stuhl des Alten Rom haben die Väter begreiflicherweise die Vorrechte zugestanden, weil jene Stadt Kaiserstadt war« und »auch in kirchlicher Hinsicht wie jene mit Macht und Ansehen auszustatten« sei.19 Der unkonventionelle Sozialphilosoph Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973) erkennt in diesem Schritt den Schlüssel zum Verständnis der Entfremdung von Ost und West: »Im Kanon 28 des ökumenischen Konzils von Chalzedon, 451 – einem Kanon, der von Rom verworfen wird – gab die Ostkirche zu, dass die Kirche von St. Peter in Rom die Erste Kirche sei, aber fügte hinzu, diese Ordnung sei nur entstanden, ›weil Rom die Hauptstadt des Imperiums in den Tagen Peters‹ gewesen {sic!). In der Zwischenzeit war eine neue Hauptstadt des Imperiums in Konstantinopel gebildet; also waren die Folgerungen vom Kanon 28 für die Rechte von Neu-Rom offenkundig: falls es wahr war, dass die Kirche ihre Ordnung vom Kaiserreich hatte, siegte Byzanz über Rom. […] Dies Ereignis von Chalzedon war einschneidend, nicht wegen der ewigen Kleinlichkeit der Rivalität, sondern wegen des benutzten Arguments. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche wurde ein bedeutender Zug ihrer heiligen Ordnung, der Primat Roms, auf eine äußerliche Ursache gegründet. Der Anspruch der Kirche war gewesen: sie ist gänzlich neue Schöpfung, nicht durch den organisatorischen Willen des Mannes gemacht, sondern von Gott aus Jesu Lenden geboren, wie Eva aus Adams Rippe. Aus diesem Grunde hatte Jesus seinen eigenen Leib und Geist aufgegeben, damit ja nichts Vor-Christliches, das ihm selber vorauflag, in die neue Schöpfung eintrete. Er hatte sich selbst zwischen der Vergangenheit und der Zukunft seinen Platz geschaffen […] Petrus ging nach Rom, weil das Reich der Welt seinen Mittelpunkt auf dem Kapitol hatte. Indessen: Petrus trotzte auch Rom, denn er ging dorthin, ›obgleich‹ es der gefährlichste Platz zum Eingreifen war. Die Legende von ›Quo vadis?‹ gemahnt uns daran, wie entsetzlich der Schritt war, nach Rom zu gehen. Petrus’ Tat war epochemachend nicht, weil ihn gemischte Motive trieben, sondern weil er den Gründen trotzte, die dawider sprachen! […] Wer den Begriff ›Ursache‹ auf Rom als die anziehende Hauptstadt anwendet, und den Begriff ›Wirkung‹ auf das Opfer des Lebens der Apostel, der macht sich lächerlich« 20.

Metropolit Hilarion (Alfeyev) vertritt in seinem neuen Handbuch »Die Orthodoxie« die politische Deutung des Primats: »Der Primat des Bischofs von Rom wird also von den östlichen Vätern nicht als bedingt durch die Nachfolge des Apostels Petrus verstanden, sondern als begründet in der politischen Bedeutung Roms als Hauptstadt des Imperiums. Genau so gingen die Vorrechte des Sitzes von Konstantinopel nicht aus dessen Altehrwürdigkeit hervor (die Sitze von Jerusalem, Alexandrien und Antiochien waren älter) und nicht aus irgendwelchen anderen kirchlichen Vorbedingungen, sondern ausschließlich aus der politischen Bedeutung Konstantinopels als ›Stadt des Kaisers und des Senats‹« 21. Die ekklesiologische Ambivalenz zeigt sich im neuesten Disput um den in-nerorthodoxen Primat: »Die Canones dokumentieren allerdings hinsichtlich des Ehrenprimats nur denjenigen Konsens, der in der Kirche zum Zeitpunkt ihrer Annahme bestand. In diesen Canones gebührt der Primat der Kirche von Rom, und der zweite Platz der Kirche von Konstantinopel wird damit begründet, dass dieser Sitz sich in der Hauptstadt des Reiches befindet (›die Stadt des Kaisers und des Senats‹) – so can. 28 des 4. Ökumenischen Konzils. Nach dem Bruch der Communio mit der Kirche von Rom wurde der Primat nicht automatisch auf den Sitz von Konstantinopel übertragen, da die kanonischen Regeln eine solche Prozedur nicht vorsehen. Doch gleichzeitig bildete sich ein panorthodoxer Konsens heraus, dass in der neuen Situation dem Sitz von Konstantinopel der Primat gebührt. Nach dem Fall des Byzantinischen Reiches wurde dieser Konsens beibehalten ungeachtet der Tatsache, dass Konstantinopel nicht länger die Stadt des orthodoxen Kaisers war (und das bedeutet: die Begründungen, die can. 28 rechtfertigen, wurden hinfällig).

Zur Zeit gibt es in der Frage der Diptychen keinen einheitlichen panorthodoxen Konsens, doch es gibt ihn zumindest für die ersten fünf Sitze: Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und Moskau. Im Unterschied zum Vorsteher einer autokephalen Kirche wird der universalkirchliche Ersthierarch als Inhaber des Ehrenprimats nicht auf einem Panorthodoxen Konzil als solcher gewählt, und aufgrund dieser Tatsache leitet er nicht die universale Kirche, insofern er nicht seitens des Episkopats mit derartigen Vollmachten ausgestattet ist«22. Nicht zu übersehen ist zumindest die historische Feststellung von Hugo Rahner: »Nach dem Bruch mit dem Kaiser gab es kein Konzil mehr, das von West und Ost beschickt worden wäre«23.

IV »Orthodoxe Kirche(n)«. Zur Sozialgestalt des Phänomens


1. Der Neuansatz von 1453

Das kirchliche Leben im Oströmischen Reich ist erst sehr spät, sicher nicht vor dem 18. Jh., mit dem Titel »Orthodoxie« im Sinne einer konfessionell abgegrenzten Gestalt des Christseins bezeichnet worden. Die Bezeichnung »orthodox« ist ursprünglich keine Konfessionsbezeichnung, sondern ein Prädikat, das »rechtgläubig« meint und sich mit allen christlichen Traditionen und Glaubensüberzeugungen verbinden kann. Katholiken beten im ersten Hochgebet »für alle, die Sorge tragen für den orthodoxen katholischen und apostolischen Glauben«, pro omnibus orthodoxis, atque catho-licae et apostolicae fidei cultoribus. Die hartnäckige Kandidatur des Jahres 1054 für ein angebliches Schisma zwischen Ost- und Westkirche sollte endgültig aus der ekklesiologischen Reflexion aus-geschlossen werden: »1054 gab es keine Exkommunikation der lateinischen gegen die griechische Kirche und keine solche der griechischen gegen die lateinische Kirche. Nur auf einzelne Persönlichkeiten bezogen sich die Exkommunikationsbullen von 1054.«24 Selbst wenn die Unionskonzilien von Lyon (1274) und von Ferrara-Florenz (1438/39) erfolglos blieben und die ostkirchlichen Teil-nehmer in Florenz politische Hoffnungen für eine Unterstützung gegen die Türken hegten, sind doch diese Konzilien die besten Beweise für die fortdauernde gemeinsame »Konzilsfähigkeit« der Ost- und Westkirchen. Erst 1755 kam es zu einem quasi offiziellen Abbruch der Sakramentengemeinschaft durch die Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien und Jerusalem, nachdem die römische Kongregation De propaganda fide 1729 Missionaren den Sakramentenempfang bei den östlichen »Schismatikern« untersagt hatten.25

Die ausbleibende Rezeption der Unionsbeschlüsse von Florenz ist nicht zuletzt auf den radikalen Einschnitt des Jahres 1453 zu­rückzuführen. Der Untergang des Oströmischen Reichs und seiner kirchlichen Strukturen mit Zentrum in Konstantinopel durch die osmanische Eroberung 1453 musste in der Ekklesiologie der östlichen Kirchen zu einer völligen Umstrukturierung des kirchlichen Selbstverständnisses führen – hat doch der Kaiser als theologisch bestimmter Garant kirchlicher Einheit keine (christliche) Nachfolgeinstanz gefunden. 1454 kam es zur Gründung einer neuen Institution namens »Patriarchat von Konstantinopel«. Unter dessen Jurisdiktion standen seit diesem Zeitpunkt alle Christen des »ro-mäischen« Ritus. 26 Der Patriarch von Konstantinopel war ein Un­tertan des Sultans27 und konnte daher kein Oberhaupt der Ostchristen außerhalb des Osmanischen Reiches sein. Deshalb musste die möglichst große Ausbreitung osmanischer Herrschaft in seinem Interesse liegen.

In der Tat hat die Entstehung des Islam im 7. Jh. und dessen dynamische Verbreitung auf den Territorien der östlichen Kirchen das Schicksal der Orthodoxie nachhaltig bestimmt. In den Zeiten der muslimischen Herrschaft ist die orthodoxe Kirche als Institution nie in einen öffentlichen Konflikt mit der politischen Macht des Islam geraten. Die östlichen Patriarchate Antiochien, Alexandrien und Jerusalem verloren zunächst wegen der christologischen Streitigkeiten infolge der Konzilien von Ephesus (431) und Chalzedon (451), dann durch die Verbreitung des Islams ihren Einfluss. In der zweiten Hälfte des ersten Millenniums und bis zum Fall von Konstantinopel im Jahre 1453 bestand faktisch ein Gegenüber von Rom und Konstantinopel, von »Lateinern« und »Griechen«. Mit der Gründung des »osmanischen« Patriarchats von Konstantinopel und der weiteren Ausbreitung des Osmanischen Reiches wurde die führende Stellung von Konstantinopel unter anderen Patriarchaten im Osmanischen Reich bestätigt. Demgegenüber mussten an­dere orthodoxe Kirchen außerhalb der Pforte faktisch unabhängig werden. Zunächst war es die russische (die Metropolie von Kiew mit dem faktischen Sitz in Moskau), erst dann, mit der Abkoppelung der Territorien vom Osmanischen Reich, andere Kirchen bis hin zur griechischen orthodoxen Kirche, was angesichts der sprachlichen und kulturellen Nähe Griechenlands zum Patriarchat von Konstantinopel ekklesiologisch schwer verständlich bleibt.

2. Gemeinschaft der vierzehn autokephalen orthodoxen Kirchen


Innerhalb der Christen, die das Wort »orthodox« zur entscheidenden Bezeichnung ihrer kirchlichen Gemeinschaft erheben, ist noch einmal eine Unterscheidung nötig: Die Kirchen, die von den sieben Ökumenischen Konzilien – vom ersten Konzil im Jahre 325 bis zum siebenten im Jahre 787 (beide in Nizäa in Kleinasien) – nur die ersten drei (Nizäa 325, Konstantinopel 381, Ephesus 431: Assyrische Kirche des Ostens) anerkennen, bezeichnen sich selbst als »orthodox«, haben jedoch die Gemeinschaft mit Rom und mit den übrigen Zentren der Christenheit aus bestimmten, geschichtlich und dogmatisch definierbaren Gründen unterbrochen, die sich theologisch diskutieren und überwinden lassen. Nicht zuletzt spielen wiederum politische Gründe eine Rolle, da diese Kirchen (Kopten, Syrer, Armenier) am Rande oder außerhalb des Römischen Reiches lagen und den Kaiser nicht als ihr Oberhaupt anerkannten. Heute werden diese Kirchen als »altorientalische«, »orientalisch-ortho-doxe« oder »vorchalcedonensische« Kirchen bezeichnet. Unter »Or­thodoxie« im engeren Sinne versteht man die Gemeinschaft der Kirchen, die ebenso wie Rom alle sieben Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends anerkennen und in Gemeinschaft miteinander stehen, jedoch nicht mehr in der Gemeinschaft mit Rom. In diesem Falle ist es nicht möglich, einen unbestrittenen dogmatischen Grund oder ein klar definiertes Datum für die Trennung anzugeben. Eher handelt es sich um einen jahrhundertelangen Prozess der Entfremdung.

Als »kanonisch« werden in diesem Rahmen Bischöfe und Kirchen definiert, die zu der Gemeinschaft der vierzehn autokephalen Orthodoxen Kirchen gehören (im Folgenden »G14« genannt)28: Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien (seit 1342 in Damaskus), Jerusalem, Moskau, Georgien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Zypern, Griechenland, Albanien, Polen und Tschechien/Slowakei. Diese Kirchen stehen in eucharistischer Gemeinschaft miteinander, anerkennen gegenseitig ihre Autokephalie und gelten für-einander als kanonisch.29 Einige dieser Kirchen haben autonome Kirchen oder einzelne Bistümer außerhalb ihres Territoriums in ihrer Jurisdiktion. Alle anderen orthodoxen Kirchen gelten für die G14 als unkanonisch. Diese Kirchen unterscheiden sich vom Rest der Orthodoxie entweder durch die selbstproklamierte Autoke-phalie, die von den anderen orthodoxen Kirchen nicht (oder noch nicht) anerkannt wird (so die Mazedonische Orthodoxe Kirche, die Ukrainische Kirche des Kiewer Patriarchats, die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche und die Orthodox Church of America), oder durch die Abtrennung von einer der kanonischen Kirchen. Analog zu den biblischen Büchern könnte man diese Kirchen als »deuterokanonisch« bezeichnen. In Glaube und Praxis stimmen kanonische und deuterokanonische Orthodoxie völlig überein.

Die undifferenzierte Liste der orthodoxen Kirchen verdeckt ihren unterschiedlichen ekklesiologischen Status. Daher bietet sich eine transversale Zusammenstellung an: 1. transnationale or­thodoxe Kirchen: Konstantinopel, Antiochien, Moskau (mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, dem Exarchat von Belarus und weiteren Kirchen als Teil dieses Patriarchats); 2. nationale Kirchen bzw. Nationalkirchen: Georgien, Serbien, Rumänien (die bestrit-tene Jurisdiktion der Bessarabischen Metropolie von Bukarest über die Republik Moldawien, die sich auf die rumänischsprachigen Orthodoxen in diesem Land bezieht, bestätigt die Charakteristik als Nationalkirche), Bulgarien; 3. lokale Kirchen: Zypern, Griechenland, Albanien, Polen und Tschechien/Slowakei. Sie repräsentieren entweder nur einen Teil einer Nation (Zypern und Griechenland), sind mit der Gesamtheit der Bevölkerung eines Landes nicht zu identifizieren (Albanien), oder stellen nur eine Minderheit in ihrem Land dar (Polen, Tschechien/Slowakei).

Der transnationale Charakter einiger Kirchen wird oft übersehen. Der Westen sieht in diesem Phänomen den Willen, den staatlich-politischen Einfluss einer Kirche auf die anderen Länder und Völker zu verbreiten (oft der russischen Kirche vorgeworfen); die Kirchen selbst sehen darin einen Ausdruck ihrer universalkirchlichen Verantwortung. Die orthodoxen Kirchen beschuldigen sich gegenseitig auf ähnliche Weise: Konstantinopel wirft Moskau vor, die politischen Einflüsse der Russischen Föderation zu unterstützen und dabei einen ekklesialen Vorwand zu benutzen. Moskau und andere nicht-griechische Patriarchate werfen dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel vor, die Rolle eines »Papstes der Orthodoxie« übernehmen zu wollen. Während Antiochien und Konstantinopel auf diese Weise ihre transnationale Dimension als Chance im Zeitalter der Globalisierung und der Migration erkannt und entwickelt haben, überwiegt im Moskauer Patriarchat eine ambivalente Einstellung: Nationale und nationalistische Ideo-logien in den neuen Staaten des postsowjetischen Raumes, die gewichtigen Teilkirchen der russischen Orthodoxie zur Autokephalie verhelfen möchten, finden ihr Pendant in Russland in der Idee der »Russkij Mir« (russische Welt/russischer Friede). Diese Vorstellung setzt die traditionell transnationale russische Orthodoxie dem Risiko aus, eines Tages zur nationalen Kirche der Russischen Föderation zu werden.

Die Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kirill vom 12. Februar 2016 könnte dazu beitragen, die gesamtkirchliche Perspektive des Moskauer Patriarchats neu zu unterstreichen.

3. Ökonomische oder politische Autokephalie?


Das Wort »Autokephalie« gehört zu den Grundbegriffen der gegenwärtigen Orthodoxie. Die Aufsplitterung der ekklesiologischen Perspektiven zeigt sich exemplarisch am Unterricht in der Kirchengeschichte. Mit leichten Variationen wird sie in vier Unterdisziplinen vermittelt: 1. Geschichte der Alten Kirche, 2. Byzantologie, 3. Ge­schichte der eigenen (autokephalen) Kirche, 4. Geschichte der übrigen autokephalen Kirchen. Alle Orthodoxien der oströmischen30 Tradition gebrauchen dabei das Wort »Autokephalie« und halten es für einen der zentralen Begriffe für den ekklesiologischen Aufbau der Orthodoxie. Hinter diesem Konsens steht ein erheblicher Dissens im Verständnis des Begriffs. Für die orthodoxen Kirchen griechischer Tradition – Konstantinopel, Alexandrien, Jerusalem, Zypern, Griechenland und Albanien – ist »Autokephalie« nichts anderes als ein eigenständiger Haushalt. Wir können hier von einer ökonomischen Autokephalie sprechen. In allen anderen Angelegenheiten sind die Kirchen der griechischen orthodoxen Kirchenfamilie zuerst auf Konstantinopel und dann auf einander angewiesen. So entspricht beim Übergang eines Klerikers von einer Kirche in eine andere aus derselben Familie die Vorgehensweise dem Übergang von einem Bistum in ein anderes. Die Kirchen anderer orthodoxer Traditionen und anderer orthodoxer Kirchenfamilien verstehen Autokephalie als eine volle Unabhängigkeit im ekklesialen, politischen, ökonomischen und rechtlichen Sinne des Wortes. Beim Übergang von einer autokephalen oder autonomen Kirche in eine andere benötigt man eine volle kanonische Entlassung durch die Synode, so dass eine Rückkehr schwerlich möglich ist. Diesen Typus könnte man als politische Autokephalie bezeichnen. Sie ist zweifellos geprägt durch die Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jh., die eine immer tiefere Entfremdung der Lokalkirchen nach sich zog.31 Inzwischen stellt sich ernsthaft die Frage: Ist nach 1453 nicht mit der Einheit des Oströmischen Reiches auch die Einheit der orthodoxen Lokalkirchen so sehr zerbrochen, dass sich eine inkommensurable Pluralität von Ekklesiologien entwickelt hat?

Während die griechische Orthodoxie – Konstantinopel und Alexandrien – ad extra eine offene, nicht exklusivistische Ekklesiologie vertritt, entwickelt sich die griechische Ekklesiologie in die Gegenrichtung: Das Sakrament der Taufe wird im Falle eines Übertrittes aus der katholischen oder evangelischen Tradition in der Regel wiederholt. Die katholischen und evangelischen Einwohner in Griechenland werden oft de facto nicht einmal als echte Staatsbürger anerkannt, obwohl sie einen griechischen Pass besitzen. Den katholischen und evangelischen Kirchen wird das Wesen der Kirche Christi abgesprochen. Diese Form der Ekklesiologie ist nicht nur monastischen Kreisen auf dem Berg Athos eigen, sondern tritt in den Werken mancher »aufgeklärter« Denker und Philosophen hervor, wie beispielsweise bei Chris­tos Yannaras (geb. 1935).32 Die konsequente antiwestliche Haltung innerhalb der gegenwärtigen serbischen orthodoxen Theologie zeigt sich ekklesiologisch in der deutlichen Identifizierung der wahren Kirche Christi mit der ka­nonischen Orthodoxie und in der Wahrnehmung der westlichen Tradition als einer Anti-Kirche auf Erden.33

V Exemplarische Analysen

ekklesiologischer Entwürfe


Die vorangehenden meta-ekklesiologischen Überlegungen und kontextuellen Situierungen orthodoxer Selbstwahrnehmung dienen als Lesehilfe für die ekklesiologischen Aussagen verschiedener Epochen und kirchlicher Bereiche bzw. unterstreichen zumindest die Notwendigkeit eines solchen kritischen hermeneutischen Zu­gangs. Bewusst wird eine doppelte Einschränkung in der Auswahl der Werke vorgenommen: Wir konzentrieren uns exemplarisch auf ekklesiologische Entwürfe seit dem 19. Jh., insbesondere aus dem Bereich der russischen Kirche in ihrem transnationalen Horizont.

1. Von der orthodoxen »Scholastik« zur »Neopatristik«


Wer sich der russischen Theologie des 19. Jh.s zuwendet, findet bei den damals klassischen Gestalten der Orthodoxie kaum einen Bezug zu zeitgenössischen Fragen. Makarij Bulgakov (1816–1882) nennt in seiner mehrbändigen Summa Orthodoxe Dogmatische Theologie die Kirche »ein göttliches Instrument unserer Heiligung«.34 Es folgt die kirchliche Lehre über die sieben Sakramente. Formell gesehen wird hier die Struktur des Credo von Nizäa-Konstantinopel (381) aufgenommen, terminologisch ist eine Nähe zu westlicher Theologie zu erkennen. Makarijs älterer Zeitgenosse, Philaret Drosdow (1782–1867), seit 1826 Metropolit von Moskau,35 verfasste in den 20er Jahren des 19. Jh.s einen Katechismus, der bis heute an Priesterseminaren auswendig gelernt wird.36 Bereits der Titel dieses Werkes stellt ein wichtiges Beispiel der transnationalen Selbstwahrnehmung dar: »Katechismus der Orthodoxen Katholischen Östlichen Griechisch-Russländischen Kirche«.37 Das Thema »Kirche« wird ganz klassisch dem neunten Satz des Credo zugeordnet. »Was ist Kirche?«, lautet Frage 250. »Die Kirche ist die von Gott gestiftete Gemeinschaft der Gläubigen, die im orthodoxen Glauben, dem Gesetz Gottes, der Hierarchie und den Sakramenten verbunden sind«. Diese Definition erinnert an die traditionelle lateinische Definition der Kirche als »congregatio fidelium«.

Aufschlussreich in der Deutung der Notae Ecclesiae ist die Aussage zur Einheit der Kirche: »Die Kirche ist Eine, weil sie ein geistlicher Leib ist, Christus als ein Haupt hat und von einem Geist Gottes beseelt ist« (Frage 256). In dem knappen Text, in dem jedes Wort zählt, ist von der sichtbaren Einheit der Kirche keine Rede. Etwas vereinfacht ließe sich sagen, dass die orthodoxe Ekklesiologie bis zur Ebene der Ortskirche dem »katholischen« Modell einer sichtbaren sakramentalen Repräsentation Christi in der Gestalt des Bischofs folgt, im Bereich der Gemeinschaft der Kirchen hingegen dem »protestantischen« Modell des unsichtbaren Hauptes im Him­mel. Das Verhältnis der Einen Kirche des Credo zu den »vielen lo-kalen Orthodoxen Kirchen« (Frage 259) wird wie folgt erklärt: »Es sind Teilkirchen ( частные Церкви), Teile einer Ökumenischen (Вселенской38) Kirche«.39

Spätere Generationen orthodoxer Theologen haben diese Art von Ekklesiologie als »scholastisch«, »westlich« und eigentlich »nicht orthodox« bezeichnet. Seit Ende des 19. Jh.s entwickelte sich die orthodoxe Ekklesiologie in Abgrenzung von der »orthodoxen Scholastik«. Erst später, in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, wird diese Bewegung »Neopatristik« genannt. »Vorwärts, zu den Vätern!«, lautet ihr Motto, um eine »spezifisch orthodoxe« Theologie zu entwickeln. Die orthodoxe Theologie als Ganze und die orthodoxe Ekklesiologie insbesondere haben sich dadurch eher im theologischen Dialog isoliert, zumal sie aufgrund der politischen Umstände häufig an einer konstruktiven Weiterführung ihrer akademischen Tradition gehindert war. So ist es nicht verwunderlich, dass die Impulse theologischer Erneuerung an der Wende zum 20. Jh. aus dem außertheologischen Raum stammen.

Eine Ausnahme ist Hilarion Troizkij (1886–1929), Bischof und Theologe, der unter der stalinistischen Herrschaft gelitten hat und 1996 als Märtyrer heiliggesprochen wurde. Er widmete die Mehrzahl seiner Werke der Ekklesiologie.40 Bereits seine Dissertation trägt den Titel: »Geschichte des Dogmas über die Kirche«. Zu einem großen Teil entstanden seine Schriften als Reaktion auf die beginnende Ökumenische Bewegung. Sein theologisches Manifest findet sich in der relativ kurzen Schrift »Extra Ecclesiam nulla Christianitas« – »Außerhalb der Kirche kein Christentum«41. »Ich glaube an die Eine, Heilige, Synodale42 und Apostolische Kirche«, lauten die ersten Worte dieses Werkes. Das Bekenntnis des Glaubens an die Kirche bezeugt eine Wahrheit und gibt das Versprechen, »mit allen Wahrheiten, die von der Kirche verkündet werden, einverstanden zu sein«. Von dieser Prämisse kommt Troizkij direkt zu der Frage: »Wo ist die Kirche?« Er lässt seine Leser nicht lange warten. Rom ist von der Kirche abgefallen. Das Lateinertum hat durch weitere Spaltungen den Protestantismus erzeugt. Die weitere Spur, so Troizkij, führt zum konsumistischen Europa Anfang des 20. Jh.s und verbindet es gleichsam mit der Apostasie der damaligen russländischen Gesellschaft. Für Troizkij gibt es seit 1054 im Westen keine Kirche. Er erneuert daher den Aufruf, die Orthodoxie von den Ketten der Scholastik und des Westens zu befreien.

Der griechischsprachige ekklesiologische Diskurs wird zurzeit durch Metropolit Johannes Zizioulas (geb. 1931) geprägt, der als Kopräsident der Gemischten Internationalen Orthodox-Katholischen Dialog-Kommission zugleich einen erheblichen Einfluss auf die offiziellen kirchlichen Gespräche erlangt hat. Auf seinen ekklesiologischen Ansatz geht das sogenannte Ravenna-Dokument zu­rück, das 2007 – ohne Zustimmung der Russischen Orthodoxen Kirche und in ihrer Abwesenheit – von der Dialogkommission angenommen wurde.43 Es akzeptiert das Zusammenspiel von Primat und Synodalität als Strukturprinzip auf lokaler, regionaler und universaler Ebene der Kirche. Die Freude über die erstmalige Anerkennung eines universalkirchlichen Primats ist inzwischen der innerorthodoxen Kontroverse über ein orthodoxes Primatsverständnis gewichen. Vor allem vermag dieses Strukturmodell nicht hinreichend die Repräsentanz des einzigartigen Apostelkollegiums und der realen geschichtlichen Entwicklung kirchlicher Gestalten zu erfassen.

2. Theologische Impulse aus dem außertheologischen Raum


Makarij Bulgakov und andere Repräsentanten der geschilderten klassischen Linie der orthodoxen Theologie waren Geistliche und Theologen von Anfang an. Die Impulse für eine Erneuerung dieser Tradition aber kommen nicht aus der Welt der Theologie: So war Alexej Chomjakov (1804–1860) Publizist und Philosoph, Vladimir Solov’ev (1853–1900) Philosoph und Dichter, Sergej Bulgakov (1871–1944) war ein Ökonom, Politiker und Philosoph, der sich ohne jegliche theologische Ausbildung zum Theologen entwi-ckelte, Nikolaj Zernov (1898–1980) ein Student der medizinischen Fakultät und erst später Theologe und Georgij Florovskij (1893–1979) war zunächst Historiker und Philologe. Die neue orthodoxe Theologie und Ek­klesiologie kommt aus einer nichttheologischen Welt. Ihre Vertreter sind in je verschiedener Weise Wegbereiter einer orthodoxen Meta-Ekklesiologie in konstruktiver Absicht.

Aus dieser Liste wichtiger Namen muss Sergej Bulgakov hervorgehoben werden. Der russische orthodoxe Ökonom und Theologe wurde Gründungsdekan des Institut St. Serge in Paris, wo theologische Denker, die aus Russland ausgewiesen worden waren, in aktivem Austausch mit westlichem Denken die russische Tradition weiterführten. Er entfaltet seine Ekklesiologie im Rahmen seines sophiologischen Ansatzes, der eine ökonomisch begründete und heilsökonomisch erneuerte Naturphilosophie in den Spuren Schellings zur Grundlage hat.44 In seinem für westliche Leser geschriebenen Werk »Die Orthodoxie (Православие). Die Lehre der orthodoxen Kirche«45 wird die Kirche gleichzeitig als Gegenstand und als Raum der theologischen Reflexion dargestellt. Der bekannte Einleitungssatz zeigt das Gleichgewicht zwischen geschichtlicher Ge­stalt und transzendierendem Mysterium: »Die Orthodoxie ist die Kirche Christi auf Erden. Die Kirche Christi ist keine Institution (учреждение), sondern das neue Leben mit Christus und in Christus, das vom Heiligen Geist geleitet wird«46. Die Besonderheit der theologischen Synthese von Sergij Bulgakov liegt in seiner Fähigkeit zur Aktualisierung der Ekklesiologie im zeitgenössischen Kontext: Themen wie »Orthodoxie und Wirtschaft«, »Orthodoxie und Staat«, »Orthodoxie und Ethik« werden im aktiven Dialog mit der westlichen Welt berücksichtigt. Über den »Cercle franco-russe« beeinflusste Bulgakov mit seinen Kollegen des Instituts St. Serge die katholischen Vertreter der Nouvelle théologie, die ihrerseits der Erneuerung des katholischen Kirchenverständnisses im II. Vatikanischen Konzil den Weg bereiteten. Die Bereitschaft zur kritischen Zeitgenossenschaft spricht bei Bulgakov insbesondere aus seinem Plädoyer: »Der Staat kann jetzt nicht mehr von außen, sondern nur noch von innen, nicht mehr von oben, sondern nur noch von unten verkirchlicht werden«47. Im Rückgriff auf die Wahrnehmung von Vladimir Solov’ev in seinem Werk »Russland und die Universale Kirche«48 entdeckte Bulgakov schon in seinem dialogisch verfassten Werk »An den Mauern von Chersones« die geschichtliche Grundkonstellation der russischen Orthodoxie: Die russische Welt hat durch ihre Taufe von Byzanz aus ganz ursprünglich auch eine antiwestliche Einstellung übernommen.49

Auch Nicolaj Afanassieff (1893–1966) gehört in die Liste der »Spätberufenen«. Nach Studien in Medizin, Physik und Mathematik sowie nach einer Zeit des Militärdienstes begann seine theologische Karriere ab 1930 am Pariser Institut St. Serge, wo er Kirchenrecht und Griechisch dozierte und 1940 zum Priester geweiht wurde. Seine Dissertation »Die Kirche des Heiligen Geistes« un­terstreicht den pneumatischen Charakter der Orthodoxie. Aufmerksamkeit verdient der weniger bekannte Artikel von Afanassieff unter dem Titel »Eucharistie als die wichtigste Verbindung zwischen den Katholiken und Orthodoxen« 50, dessen Hermeneutik durchaus auf die evangelische Christenheit ausgeweitet werden könnte. Der Autor lenkt die Aufmerksamkeit von der Frage, was Christen voneinander trennt, auf die Frage, was diese miteinander eint, und sieht die Antwort in der Eucharistie. Trotz aller Unterschiede, Konflikte und Streitigkeiten im Laufe der Zeiten wurde die Gültigkeit der Eucharistie und folglich der Priesterweihe nie bestritten. Wo die Eucharistie gefeiert wird, ist es eine und dieselbe Eucharistie Jesu Christi. Die Kirchen werden eins, denn sie sind eins.

3. Von der Ekklesiologie zur ekklesialen Soziallehre51

Bedeutsam und zugleich umstritten ist die Entwicklung der orthodoxen Ekklesiologie zu einer ekklesial fundierten Soziallehre. Sie ist die vielleicht deutlichste Form, orthodoxe Ekklesiologie zeitgenössisch werden zu lassen. Die Kirche »braucht kein eigenes politisches System, keine eigene Soziallehre, noch ein eigenes sozialethisches oder ethisches System aufzubauen« – so äußerte sich der bekannte griechische orthodoxe Theologe Georgios Mantzaridis (geb. 1933) stellvertretend für viele orthodoxe Vertreter einer Hermeneutik der Kontinuität. 52 Alles, was für gläubige Christen, für die Menschheit und für die Welt nötig ist, wurde von den Kirchenvätern gesagt und von den Konzilien verkündigt, es wird in der Liturgie gefeiert und im Leben der Kirche verwirklicht. Es ist also keinesfalls selbstverständlich, dass eine der orthodoxen Kirchen ein explizites Dokument zur Soziallehre vorlegt: Im Jahr 2000 verabschiedete das Bischofskonzil des Moskauer Patriarchats die »Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche«. 53 Paradigmatisch für Methode und Inhalt sind die ersten drei Kapitel, die mit den Stichworten Kirche – Nation – Staat überschrieben werden könnten. Sie lassen die altbekannte Bestimmung der Kirche aus ihrer Zuordnung zur politischen Ordnung anklingen.

»Die Kirche …« ist programmatisch das erste Wort des Dokuments. Sie erscheint hier nicht primär als Mater et Magistra, als Lehrerin der sozialen Ordnung, sondern als Raum derjenigen so­zialen Lebensform, die der Menschheit in Jesus Christus durch Gottes Geist erschlossen ist. Die Stärke dieser Aussage liegt in der Wahrnehmung, dass Ekklesiologie über die soziale Verfasstheit der Menschheit selbst eine Aussage macht. In der Ekklesiologie wird orthodoxe Theologie potentiell praktisch und zeitgenössisch. Da­bei entwickelt sie eine ausgeprägte Sensibilität für die Ambivalenzen der Moderne, ohne (noch) über angemessene begriffliche Mittel zu verfügen, ihre Kritik auch sachgerecht auszudrücken und eine konsistente Alternative vorzulegen. 54 Kritisch befragt wird von orthodoxer Seite weniger die westliche Ekklesiologie als vielmehr die kritiklose Identifikation westlicher Christen mit der gegenwärtigen westlichen Gesellschaftsform einer Konsum- und Medienwelt. Bemerkenswerte Parallelen verbinden diese orthodoxe Kritik mit heutigen Formen der Selbstkritik innerhalb der westlichen Zivilisation.

In all den genannten Entwicklungen ist die orthodoxe Ekklesiologie eine Theologie »im Werden«. Sie vollzieht sich nicht in einer isolierten »orthodoxen Welt«, sondern im direkten oder indirekten Austausch mit den größeren Horizonten der heutigen Menschheitsfragen, für die Mannes Dominikus Koster o. p. 1940 ebenfalls eine »Ekklesiologie im Werden« konstatierte.55 Die größte Schwäche der orthodoxen Ekklesiologie, ihre Bindung an die politischen Verantwortungsträger in deren Bezug zum Reich Gottes, ist potentiell ihre größte Stärke. Hierin bewahrt sie eine Deutung der Sozialordnung der Welt in ihrer höchsten Berufung zur Vorbereitung der Welt auf das neue Jerusalem. Wo sich orthodoxe Ekklesiologie nicht in einer Hermeneutik der Identität und Abgrenzung bewegt, tritt mit ihr eine theologische Sicht der öffentlichen Ordnung auf die Tagesordnung, auch und gerade, wenn es sich um eine säkulare Ordnung handelt. ›Säkular‹ ist nicht länger gleichbedeutend mit: Denkverbot für die Theologie. Soziale, wirtschaftliche und politische Phänomene werden, vermittelt durch die Ekklesiologie, der Theologie neu aufgetragen. Mystik und Ethik berühren sich. Das verdient ein aufmerksames Hinhören, kritisch, aber zugleich selbstkritisch.

Abstract


The Orthodox Church presents itself mostly using a hermeneutics of unity and continuity with regard to the apostolic origins. This makes the perception and self-perception of its history with its transformations and disruptions difficult. What Orthodox ecclesiology needs nowadays is a deconstruction with a constructive intent.

This task has its forerunners and supporters within the Orthodox Church itself. The present contribution describes contemporary contexts (political – ecumenical – inner-Orthodox) and argues in favour of a theological perception of the non-theological factors that are acting within Orthodoxy insofar it is a social structure, particularly in the political field. Emphasis is placed on the new approach taken in 1453 which shows the »Patriarchate of Constantinople« to be an exemplary realization of the Ottoman millet system entailing the autonomy of the other Byzantine churches. Exemplary analyses of ecclesiological concepts point to developments in Orthodox ecclesiology to become contemporary as an ecclesial social conception.

Fussnoten:

1) Georg Galitis/Georg Mantzaridis/Paul Wiertz, Glauben aus dem Herzen. Eine Einführung in die Orthodoxie, München (1987) 21988, 40.
2) New York (Palgrave Macmillan). Abstract: www.academia.edu/10697542/ Hovorun_Cyril._Meta-Ecclesiology_Chronicles_on_Church_Awareness_ New_York_Palgrave_Macmillan_2015_-_in_print.
3) Zu seiner Person und Bibliographie: http://yale.academia.edu/CyrilHovorun.
4) Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien (1996) 71998.
5) Vgl. www.oikoumene.org/de/resources/documents/assembly/2006-porto-alegre/3-preparatory-and-background-documents/final-report-of-the-special-commission-on-orthodox-participation-in-the-wcc?set_ language=de.
6) Diese orthodoxe Option bildet den Auftakt des offiziellen Dokuments der Bischofssynode der Russischen Orthodoxen Kirche aus dem Jahr 2000 über »Grundprinzipien der Beziehung der Russischen Orthodoxen Kirche zu Andersglaubenden«: »Die Orthodoxe Kirche ist die wahre Kirche Christi, die von unserem Herrn und Retter Selbst geschaffen ist, die Kirche, die vom Heiligen Geist gefestigt und erfüllt wird …«. Die Verwendung des identifizierenden »ist« im Unterschied zum »subsistit« der katholischen Formulierung des II. Vatikanischen Konzils (LG 8) macht die Frage nach der Ecclesia extra ecclesiam schwer beantwortbar.
7) Ebd., Anhang A.
8) Ecclesiae particulares: LG 23.
9) Vgl. Tomos Agapis. Vatican – Phanar (1958–1970), Rome/Istanbul 1971, 278–283.
10) Dokumentiert in den bislang vier Bänden »Dokumente wachsender Übereinstimmung« (DwÜ), Frankfurt a. M., I: 1931–1982 (1983); II: 1982–1990 (1992); III: 1990–2001 (2003); IV: 2001–2010 (2012).
11) Vgl. Ferdinand R. Gahbauer, Die Regensburger Ökumenischen Symposien und der nachkonziliare ost-westliche Dialog, Paderborn 1995; mit Angaben über die veröffentlichten Dokumente.
12) Vgl. http://www.moehlerinstitut.de/projekte/irenaeus-arbeitskreis.
13) Gemeinsame Erklärungen der katholischen Kirche erfolgten mit der koptischen orthodoxen Kirche (1973), mit der syrischen orthodoxen Kirche von Antiochien (1983), mit der malankarisch-orthodoxen Kirche (1990), mit der as­syrischen Kirche des Ostens (1994) und mit der armenisch-apostolischen Kirche (1996); dokumentiert in den entsprechenden Bänden von DwÜ (vgl. Anm. 10).
14) Vgl. zum Folgenden: Comprendre les enjeux du prochain Concile de l’Église orthodoxe: Contacts 65 (2013) No 243 (Juillet–Septembre 2014; Noël Ruffieux, Das Panorthodoxe Konzil: Vorbereitung, Durchführung und Rezeption, in: Catholica 67 (2013) Heft 2, 101–119; Anastasios Kallis, Auf dem Weg zu einem Heiligen und Großen Konzil. Ein Quellen- und Arbeitsbuch zur orthodoxen Ekklesiologie, Münster 2013; Viorel Ionita, Towards the Holy and Great Synod of the Orthodox Church. The Decisions of the Pan-Orthodox Meetings since 923 until 2009 (= Studia Oecumenica Friburgensia 62), Basel 2014.
15) Vgl. den Beschluss in mehreren Sprachen auf der Homepage des Orthodoxen Zentrums in Chambésy: http://www.centreorthodoxe.org/saint-et-grand-concile/preconciliaires/4e-preconciliaire.
16) http://sr-sc-8f00.unifr.ch/iso/assets/files/Programme/Hilarion_Primat_ de.pdf (1–2).
17) PG 100, 197B; zit. nach: Nikolaus Wyrwoll, Politischer oder petrinischer Primat? Zwei Zeugnisse zur Primatsauffassung im 9. Jahrhundert (= Epiphania 2), Fribourg 2010, 61.
18) F. Miklosich/J. Müller, Acta patriarchatus Constantinopolitani II, Wien 1862, 190–191; vgl. die deutsche Übersetzung bei P. Hauptmann/G. Stricker, Die orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte, Göttingen 1988, 197–199.
19) Josef Wohlmuth (Hrsg.), Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 1: Konzilien des ersten Jahrtausends, Paderborn 21998, 100.
20) Eugen Rosenstock-Huessy, Des Christen Zukunft – oder: Wir überholen die Moderne, München 1955, 215–221.
21) Episkop Ilarion (Alfeev), Pravoslavie, tom I, Moskva 2008, 289; vgl. die französische Übersetzung: Hilarion Alfeyev, L’Orthodoxie. Histoire et structures canoniques de l’Église orthodoxe, Paris 2009, 288.
22) http://sr-sc-8f00.unifr.ch/iso/assets/files/Programme/Hilarion_Primat_de.pdf (4).
23) Hugo Rahner, Kirche und Staat im frühen Christentum, München 1961, 490.
24) Ernst Christoph Suttner, Das wechselvolle Verhältnis zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens im Lauf der Kirchengeschichte (= Ökumenische Wegzeichen 11), Fribourg 2002, 37.
25) Vgl. a. a. O., 80–83.
26) Von der griechischen Bezeichnung für das Ost-Römische Reich (Βασιλεία τῶν ̓Ρωμαίων, ̓Αρχη` τῶν ̓Ρωμαίων; lat.: Imperium Romanum, Imperium Romanorum).
27) Vgl. Tom Papademetriou, Render unto the Sultan: Power, Authority, and the Greek Orthodox Church in the Early Ottoman Centuries, Oxford 2015, 10: »On the east entry wall of the Ecumenical Patriarchate of Constantinople in Istanbul is a modern mosaic featuring the Ottoman Sultan Mehmet II, conqueror of Constantinople, and the Patriarch Gennadios Scholarios, the first patriarch invested following the conquest of the city in 1453. The image shows Sultan Mehmet II offering a document promising Patriarch Gennadios all the privileges of preceding patriarchs. For the patriarchate and historians alike, this moment captured in stone represents the establishment of the millet system, a system wherein the Church governed as a state within a state, with the patriarch serving as the communal leader (millet başi) or ethnarch. The millet system became the dominant paradigm employed to describe non-Muslims under Ottomans rule. This powerful mosaic, and its counterpart on the opposite wall depicting the Apostle Andrew and his disciple Stachys, the first bishop of Ancient Byzantion, was commissioned in the late 1980s. They dramatically remind to those who enter that the Patriarchate of Constantinople possesses ancient authority and prerogatives from Apostolic times, authority that was confirmed by none other than the conquering Sultan Mehmet II. The mosaic announces the patriarchate’s authority as the legitimate leader of the Greek millet of the Ottoman Empire. The implication is that this authority must continue uncontested to the present«.
28) Die Reihenfolge (die sogenannten Diptychen) der Kirchen stellt ein ekklesiologisches Problem der gegenwärtigen Orthodoxie dar. Hier wird die Reihenfolge des Patriarchats von Moskau wiedergegeben. Die griechische Zählung setzt die Kirche von Georgien hinter die übrigen Patriarchate.
29) Im Verständnis des Begriffes »kanonisch« besteht zwischen der Orthodoxie und dem westlichen Christentum ein deutlicher Unterschied. Während es in der westlichen Tradition um die apostolische Sukzession geht (sei es in der sakramentalen Weihe, sei es im Wort des Evangeliums), zählt für die Orthodoxie die Anerkennung der bereits existierenden autokephalen Kirchen. Deswegen gelten die beiden ukrainischen orthodoxen Kirchen, die ihre Autokephalie selbst proklamiert haben – das Kiewer Patriarchat und die Ukrainische Autokephale Kirche – für die G14 der orthodoxen Welt als unkanonisch.
30) Nicht alle orthodoxen Kirchen identifizieren sich mit dem byzantinischen Erbe und folglich mit der Bezeichnung als »byzantinisch«, auch nicht die gesamte griechischsprachige Orthodoxie.
31) Zum Verhältnis zwischen Nationalstaaten und »nationaler« Orthodoxie ist auf die zahlreichen Publikationen von Prof. Andreas Müller/Universität Kiel hinzuweisen.
32) Vgl. unter anderem sein Werk: Elements of Faith, Edinburgh 1991.
33) Zum Beispiel bei Justin Popovi (1894–1979), einem serbischen Priester und Theologen, der vor Kurzem von der Serbischen Orthodoxen Kirche heilig gesprochen wurde.
34) Pravoslavono-dogmatičeskoe bogoslovie, St. Petersburg 1847–1853.
35) Der Titel »Metropolit von Moskau« darf nicht täuschen. Die Hauptstadt Russlands war von 1712 bis 1918 St. Petersburg, und die synodale Form kirchlicher Regierung nach westlichem protestantischem Vorbild in den Jahren 1700–1917 hatte aus dem Metropoliten von Moskau einen wichtigen, aber keinen ersten Bischof in der imperialen Kirche gemacht. Erst 1918 wurde das Patriarchat in Moskau wiederhergestellt.
36) Христианский катихизис Православныя кафолическия восточныя греко-российския церкви, St. Petersburg 1823, und weitere Editionen. Originaltitel und Text des Katechismus sind auf Kirchenslawisch verfasst. Dieser Katechismus wurde vom russischen Zaren genehmigt.
37) Im Internet abrufbar auf: http://predanie.ru/lib/book/68266/. In den letzten Jahrzehnten erhebt sich eine starke Kritik gegen Inhalt und Methodologie des Katechismus von Philaret, der als »scholastisch«, »prowestlich«, »lateinisch«, »von den Jesuiten abgeschrieben« bezeichnet wird. Derzeit wird von der Theologischen Kommission des Moskauer Patriarchats unter Leitung von Metropolit Hilarion (Alfeyev) ein neuer »lehramtlicher« Katechismus der russischen Kirche vorbereitet.
38) »Вселенский« wird häufig mit »universell« übersetzt, bezeichnet aber eigentlich die räumliche Gesamtheit im Unterschied zur qualitativen Fülle, die mit dem griechischen pleroma wiedergegeben wird.
39) Dem Wortlaut nach entspricht diese Definition der Rede von den »Teilkirchen« (ecclesiae particulares) im II. Vatikanischen Konzil (LG 23), die von orthodoxer Seite wegen mangelnder Eigenständigkeit dieser Kirchen als un­zureichend betrachtet wird.
40) Иларион Троицкий, священномученик, Творения (тт. 1–3), Москва 2004 [Hilarion Troizkij, Bischof und Märtyrer, Werke (Bde. 1–3), Moskau 2004].
41) Христианства нет без Церкви.
42) Das Wort »katholisch« wird im kirchenslawischen Text des Credo mit »соборная« wiedergegeben, was sich als »synodal« oder »konziliar« übersetzen lässt.
43) »Ekklesiologische und kanonische Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche. Kirchliche Communio, Konziliarität und Autorität«. Deutsche Übersetzung in: DwÜ IV, 833–848; online: www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/ch_orthodox_docs/rc_pc_chrstuni_doc_20071013_documento-ravenna_ge.html.
44) Vgl. Sergej Bulgakov, Philosophie der Wirtschaft. Die Welt als Wirtschaftsgeschehen (= Werke, Bd. 1), hrsg. von Barbara Hallensleben und Regula M. Zwahlen, Münster 2014.
45) Übersetzt und eingeleitet von Thomas Bremer, Trier 1996; erstmals in französischer Sprache 1932 erschienen und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
46) A. a. O., 15.
47) A. a. O., 241.
48) Französisch verfasst unter dem Titel »La Russie et l’Église Universelle«; deutsche Übersetzung: Wladimir Solowjew, Russland und die Universale Kirche (1889), in: Ders., Deutsche Gesamtausgabe der Werke, Bd. 3, Freiburg 1954, 145–419.
49) Vgl. Barbara Hallensleben, Vom griechischen Russentum zur universalen Kirche: Sergij N. Bulgakov (1871–1944), in: Karl Pinggéra (Hrsg.), Russische Religionsphilosophie und Theologie um 1900, Marburg 2005, 109–120.
50) L’Eucharistie, principal lien entre les catholiques et les Orthodoxes, Irenikon (3) 1965, 3. Im Internet kostenlos abrufbar: http://predanie.ru/afanasev-nikolay-nikolaevich-protoierey/book/73594-stati/#toc5.
51) Vgl. Barbara Hallensleben/Augustin Sokolovski, Grundlagen der Sozialkonzeption aus orthodoxer Perspektive (= Kirche und Gesellschaft, Nr. 383), hrsg. von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, Köln 2011.
52) Georgios Mantzaridis, Grundlinien christlicher Ethik, St. Ottilien 1998, 55.
53) Rudolf Uertz/Josef Thesing (Hrsg.), Die Grundlagen der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche, St. Augustin 2001; vgl. die deutsche Übersetzung in »Stimme der Orthodoxie«: 4/2000, 14–16; 1/2001, 13–24; 2/2001, 23–39; 3/2001, 13–24. Der von der Konrad-Adenauer-Stiftung gewählte Titel »Sozialdoktrin« entspricht in keiner Weise der dynamischen Bedeutung des russischen Ausdrucks »Konzeption«.
54) Vgl. Kyrill, Patriarch von Moskau und der ganzen Rus’. Freiheit und Verantwortung im Einklang. Zeugnisse für den Aufbruch zu einer neuen Weltgemeinschaft, Fribourg 2009.
55) Paderborn 1940.