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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

136-138

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Korneck, Eva Jenny

Titel/Untertitel:

Das Buch Hiob als pädagogisches Konzept. Die Rede von Gottes Allmacht in religiösen Bildungsprozessen.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2014. 362 S. = Altes Testament und Moderne, 27. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-12570-5.

Rezensent:

Michael Fricke

Es handelt sich um die Veröffentlichung der Heidelberger Dissertation von Eva Jenny Korneck, die 2013 unter dem Titel »Mit Hiob von Gott reden lernen« eingereicht wurde. Die Themenwahl ist religionspädagogisch relevant, da durch sie erstmals eine Monographie zur Eignung des Hiobbuches für Kinder und Jugendliche vorgelegt wird. K. ist das Engagement für die Sache in positiver Weise abzuspüren. Ihre zentrale These ist, dass das Hiobbuch ein »eigenes didaktisches Konzept« (295), wahlweise auch ein »religionspädagogisches Konzept« (124) oder ein »bibeldidaktisches Konzept« (298) enthalte. Einerseits bewegt sich K. damit auf den Spuren Baldermanns und seiner Rede von der »eigenen Didaktik der Bibel« (ohne jedoch auf ihn Bezug zu nehmen), andererseits geht sie eigene Wege, wenn sie behauptet, es liege eben ein »religionspädagogisches Konzept« im Hiobbuch vor (s. u. mehr dazu).
Das Buch gliedert sich in vier Abschnitte. Im ersten Teil (3–143) stellt K. neuere Tendenzen der Hiobexegese vor und würdigt diese. Besonders durch die Gattungsanalyse kommt eindrücklich zur Geltung, wie vielschichtig, offen und »polyphon« (94) das Hiobbuch ist: Es lässt sich als »Bühnenstück«, »skeptische Literatur«, Anleitung zur »Seelsorge« oder »Dialog der Formen« lesen. Beim letzten Aspekt macht K. die Arbeiten C. Newsoms zu Hiob auf gelungene Weise fruchtbar und entwickelt daraus ihre eigene, neue These: Der Autor des Hiobbuches habe durch das »Nebeneinander verschiedener Meinungen oder theologischer Standpunkte zum Thema Leid« (102) »einen exemplarischen Dialog für den Unterricht geschaffen«, der »theoretische Grundlagen und praktische Orientierungshilfe für die religionspädagogische Arbeit geben soll« (103). Der Leser des Hiobbuches kann ohne Zweifel durch die vom Autor angelegte Polyphonie der Inhalte und Formen viel lernen, aber – kann man deswegen von einer »Theorie« bzw. einem »Konzept« sprechen? K. gibt keine Kriterien dafür an, was ein Konzept konstituiert, gleichzeitig ist sie selbst in der Begriffsverwendung nicht eindeutig, denn an anderer Stelle spricht sie nur von einer »impliziten« Didaktik des Buches (161), was der Sache sicher eher gerecht wird. Der von K. ohne Vorbehalt verwendete Terminus »religionspädagogisch« ist eine unhistorische Vereinnahmung – welcher »Unterricht« im Alten Israel ist hier vor Augen?
K. oszilliert in der Bestimmung des Anliegens des Hiobbuches einerseits zwischen der »Darstellung des Dialogs und der Thematisierung des großen und komplexen Leidthemas aus religiöser Perspektive« (143) und anderseits der »Krise der Allmacht Gottes« (125–142). K. gesteht zwar zu, dass der Begriff der »Allmacht« dem hebräischen Text fremd ist, sieht das Thema – auch aus gesamtbiblischer Perspektive – dennoch involviert. Das Allmachtskonzept des Hiobbuches zeige: »Gott ist nicht der Grund für alles Geschehen, aber er ist imstande, alles Geschehen auf Anfrage zu verändern – Hiobs Leid zu begrenzen und zu beenden« (136). Es ist schade, dass dogmatisch motivierte, Eindeutigkeit suchende Antwortformeln die zuvor herausgearbeitete Dialogizität und Polyphonie des Textes überlagern!
Der zweite Teil (145–215) befasst sich mit der Kinder- und Jugendperspektive. K. erörtert die Frage, ob »Hiob«, u. a. wegen des Todes seiner Kinder, nicht ein »zu ›harter Stoff‹« für Kinder ist (149), und sieht aufgrund der Wahrnehmung von kindlichen Leiderfahrungen (164–169) und der Entscheidung, auch die »dunklen Seiten« Gottes zu thematisieren (158 f.), den Beitrag des Hiobbuches für den Religionsunterricht darin, »Leid nicht [zu] verschweigen und zu einem realistischen Weltbild [zu] kommen, eine auch in schwierigen Lebenslagen tragfähige Gottesbeziehung an[zu]streben, dem Bedürfnis nach religiösem Erleben entgegen[zu]kommen, […] den Kindern und Ju­gendlichen Halt und Geborgenheit [zu] bieten« (178 f.). Das Hiobbuch entspreche der modernen Religionspädagogik in zwei Punkten: Es komme aufgrund seiner Infragestellung überkommender Antworten den Bedürfnissen von Heranwachsenden in unserer Welt entgegen, die sich durch wandelnde Gesellschaftsstrukturen auszeichnet, und ermögliche durch einen Verzicht auf eine »vorgefertigte ›Wahrheit‹« die Suche nach einer »dialogischen« (160 f.).
In einer entwicklungspsychologischen Betrachtung zum Themenkreis »Die Frage nach Gott und dem Leid« wertet K. die bekannten Studien u. a. von Nipkow, Bucher, Oser, Ritter und Szagun aus und kommt zum Ergebnis, dass Untersuchungsdesigns wie die von Oser dazu tendieren, »Stufen« erst durch das Verfahren zu produzieren, und rät dazu, methodisch Szagun zu folgen, da ihr Ansatz »viel näher beim einzelnen Kind« ansetze (189). Verschiedene Erklärungsmuster zum Leid seien also nicht stufen-, sondern sozialisationsbedingt (191). Trotzdem verwendet K. in ihrem – eigentlich exegetischen – Kapitel »Religiöse Entwicklung im Buch Hiob« u. a. auch Ansatz und Ergebnisse Osers und anderer stufengenetischer Untersuchungen, um verschiedene inhaltliche Standpunkte im Hiobbuch zum Thema »Leid und Gott« darzustellen (109–123).
Der dritte Teil (217–293) untersucht Häufigkeit und Art des Vorkommens des Hiobbuches in neueren Kinderbibeln. K. will da­durch die »bestehende religionspädagogische Praxis« bzw. die »Erfahrungswirklichkeit im Hinblick auf« die »bisherige Vermittlung« des Hiobbuches analysieren (1 bzw. 296). Mit Verwendung dieser Begriffe setzt K. also voraus, dass es irgendeinen empirisch zu bestimmenden Zusammenhang zwischen der Existenz der 323 von ihr untersuchten Kinderbibeln (239) und der tatsächlichen Lektüre durch Kinder und Jugendliche – in der Schule oder anderen, formellen und nicht-formellen Lernorten – und den damit verbundenen Leseerfahrungen gibt. Diese Annahme müsste expliziert und Teil der Untersuchung sein, so aber wirken die Begrifflichkeiten etwas unreflektiert.
K. kommt nun durch eine Häufigkeitszählung zum Ergebnis, dass nur 16 % (bzw. 20 %) der neueren Kinderbibeln von 2000–09 (bzw. 1990–99) das Hiobbuch enthalten (245), und folgert daraus, dass »ein deutliches Ressentiment der heutigen Autoren« (247) ge­gen das Hiobbuch bestünde. Angesichts der Präsenz Hiobs in den wichtigsten deutschen Kinderbibeln (Laubi, Pokrandt, Schindler, Weth, Oberthür, Klöpper/Schiffner, Steinkühler) erscheint dieses Urteil wenig verständlich. Auf inhaltlicher Ebene ermittelt K. bei zehn von ihr analysierten Kinderbibeln Hiob einerseits als »schweigenden Dulder« und andererseits als den zu Gott klagenden und »verzweifelten Rebellen« (288 f.).
Im letzten Teil (295–336) entfaltet K. überzeugend – als Fremdkörper wirkt allein wieder das dogmatische Beharren auf der »Allmacht« Gottes (321 f.) – die zuvor aus exegetisch-religionspädago-gischen Überlegungen gewonnenen Kriterien, wie das Hiobbuch religionspädagogisch zu nutzen ist: z. B. im Sinne eines gleichberechtigten Dialogs, im Wissen sozialisationsbedingter Verhaftetheit in Lebenssituationen und im Begreifen von religiöser Entwicklung als schöpferischem Prozess (300–303). Sie unterbreitet konkrete Unterrichtsvorschläge für die Primar- und Sekundarstufe. Hier findet sich ein methodisch gemischtes Set von kreativ-ganzheit-lichen, spielerischen, gesprächs- und textorientierten Wegen, so etwa das spielerische Erfahren der Wirkung von »Rat-Schlägen« (320 f.), die zur Erprobung einladen.
Das Buch ist – auch mit seinen Unstimmigkeiten – für die Theorie und Praxis des Religionsunterrichts anregend.