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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

132-135

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bergold, Ralph, u. Reinhold Boschki

Titel/Untertitel:

Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014. 160 S. m. Abb. = Einführung Theologie. Kart. EUR 17,95. ISBN 978-3-534-25498-9.

Rezensent:

Martina Blasberg-Kuhnke

Mit seiner Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung legt das »Bonner Team« Ralph Bergold, Direktor des Katholisch-Sozialen Instituts in Bad Honnef und seit vielen Jahren Mitherausgeber der Zeitschrift »EB-Erwachsenenbildung«, und der Lehrstuhlin-haber für Religionspädagogik, Religiöse Erwachsenenbildung und Ho­miletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, Reinhold Boschki, in der Reihe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft »Einführung Theologie« erstmals ein Lehrbuch für religiöse Erwachsenenbildung vor. Dabei geht es den beiden Autoren um zwei zentrale Ziele: Zum einen wird die Funktion eines klassischen Lehrbuchs verfolgt, Konzepte und Theorien der Er­wachsenenbildung darzustellen, auf der Basis der Reflexion über Erwachsene im Kontext der Zeit und der Bildung und des Lernens Erwachsener in der »flüchtigen« entfalteten Moderne, bis hin zur didaktischen Realisierung erwachsenenbildnerischer Ansätze. Zum anderen verfolgen die Autoren das ambitionierte Ziel, mit dieser Darstellung und Systematisierung des Stands der religiösen Erwach senenbildung eine »Re-Kontextualisierung religiöser Bildung« vorzunehmen, die den Versuch des neuen Nachdenkens und der Entwicklung eines zukunftsfähigen Konzepts religiöser Erwachsenenbildung entfaltet. Dabei bringen die beiden die von ihnen in un­terschiedlichen Kontexten über Jahre hinweg entwickelten Perspektiven religiöser Erwachsenenbildung als »Beziehungsarbeit« (Boschki) und als »Unterbrechung« (Bergold) als Leitperspektive einer »zeitgemäßen« religiösen Erwachsenenbildung ein.
Angesichts der Tatsache, dass nach einem gewissen religions-pädagogischen »Boom« der religiösen Erwachsenenbildung in den 1980er und 1990er Jahren (mit Ansätzen von Leimgruber, Uphoff, Orth, Nipkow, Englert, Lück und Schweitzer, Blasberg-Kuhnke in größeren Monographien und zuletzt Könemann und Mette) es seit geraumer Zeit still um die religionspädagogische Reflexion der religiösen Erwachsenenbildung geworden ist und sie, wie die Autoren zu Recht bemerken, eher die Rolle eines »Stiefkindes« neben dem Religionsunterricht einnimmt, ist es an der Zeit, neu über religiöse Bildung im Lebenslauf nachzudenken. Daher ist der Ausgangsthese der Autoren nur zuzustimmen: »Menschen können den radikalen Veränderungen in Gesellschaft, Umwelt und Religion nur dann standhalten und sie sogar mit positivem Gewinn für ihr Leben gestalten, wenn sie sich einem lebenslangen Bildungsprozess aktiv und kreativ stellen – auch und gerade in religiöser Hinsicht.« (11) Diese Prozesse reflektiert und strukturiert, didaktisch und methodisch verantwortet, vor allem aber auch theologisch und (religions-) pädagogisch verantwortet zu begleiten und zu unterstützen, muss Anliegen religiöser Erwachsenenbildung sein.
Entsprechend entfalten die Autoren ihre Einführung in vier Teilen: Ein erster Teil befasst sich mit »Erwachsene im Kontext unserer Zeit«, in dem der dynamisierte Erwachsenenbegriff, gesellschaftliche Transformationsprozesse und Veränderungen der Lebenswelt in ihren Auswirkungen auf erwachsene Subjekte sowie die kirchlichen Veränderungen und Transformationen der religiösen Landschaft präsentiert werden. Daran schließt sich ein zweiter Teil an, der Bildung und Lernen Erwachsener in den Blick nimmt. Auch hier wird Bildung angesichts der gesellschaftlichen Transformationen und der deutlichen Verlängerung der Lebenserwartung als Herausforderung an lebenslange Bildung und lebenslanges Lernen aufgezeigt, bevor Ziele, Kennzeichen und Dimensionen der Erwachsenenbildung umfassend dargestellt werden. Der sich an­schließende dritte Teil entfaltet differenziert religiöse Erwachsenenbildung in der »flüchtigen Moderne« (Z. Baumann), die nach Auffassung der Autoren die Neukonzeption der religiösen Erwachsenenbildung als Re-Kontextualisierung und als Unterbrechung erfordert. Diese Neukonzeption betten sie ein in eine Vergewisserung über geschichtliche Wegmarken der religiösen Erwachsenenbildung von den Anfängen jüdischer und christlicher religiöser Bildung in großen Schritten, vor allem fokussiert auf die dynamische Phase der religiösen Erwachsenenbildung seit der Mitte des letzten Jahrhunderts, die auf katholischer Seite wesentliche Impulse von der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Würzburger Synode 1976 »Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich« erfahren hat. Daran schließen sich die Dimensionen und Perspektiven der zeitgemäßen religiösen Erwachsenenbildung, die Re-Kontextualisierung, an. Der vierte Teil ist Konzeptionen der religiösen Erwachsenenbildung und ih­rer didaktischen Realisierung gewidmet, wobei hier konzeptionelle Überlegungen, didaktische Ansätze und aktuelle Konzeptionen sowie eine institutionelle Begründung und Verankerung präsentiert werden, die auf die didaktische Realisierung fokussiert sind.
Die Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung liest sich zunächst als Lehrbuch im klassischen Sinne: Einführende und hinführende sowie darstellende Dimensionen der religiösen Erwachsenenbildung werden umfassend und gut nachvollziehbar präsentiert. Immer wieder zeigt sich, dass offenbar gerade auch an Studierende der Religionspädagogik gedacht wird, fallen die Autoren doch gerade im ersten Teil wiederholt in stark normativ-appella-tive, gelegentlich sogar suggestiv-polemische Wertungen, wie z. B. unter 1.2 Gesellschaftliche Transformation:
»Beziehungen werden wie schnelllebige Konsumartikel ge­handhabt […] Partnerschaften können als kurzfristige Bedürfnisbefriedigungen eingekauft werden. Für Beziehungen gibt es die Möglichkeit des Schnupperkaufs mit Rück- nahmegarantie bei Nichtgefallen.« (22) Oder zur Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens: »Digitale Beziehungen sind nicht länger auf Verlässlichkeit, Vertrauen, gemeinsame Interessen, Solidarität und schon gar nicht auf Dauer angewiesen. Per Mausklick können sie gekappt werden.« (23) Angesichts der Notwendigkeit, höchst komplexe Transformationsprozesse in aller Kürze fokussiert darzustellen, kommen gelegentlich solche normativen Aussagen vor. Als »Hauptgewährsmann« für die Gesellschaftsanalyse der Entwicklung hin zur entfalteten Moderne haben die Autoren sich für Baumann entschieden, dessen Ansatz der »Flüchtigen Moderne« in einer metaphorischen Darstellung der Identitäten als »Spaziergänger« bzw. »Flaneur«, als »Touristen«, »Vagabund« und »Spieler« den Vorteil einer bildreichen und einfacher mitzuvollziehenden theoriegesellschaftlichen Transformation eröffnet, die eben genannte Gefahr aber in sich schließt.
Gleichwohl gelingt es den Autoren in ihren ersten beiden Hauptteilen, Situation und Bildungsbedürfnisse Erwachsener umfassend darzustellen. Vor allem zum Ende des zweiten Kapitels, das den Dimensionen der Erwachsenenbildung gewidmet wird, wird aber wiederum deutlich, dass es in dem (gelungenen!) Bemühen, keinen wesentlichen Aspekt der Erwachsenenbildung und keine bedeutsame Dimension außen vor zu lassen, immer wieder zu kompilativen Darstellungen kommen muss, wo bspw. sich die Bildung als Befreiung in partnerschaftlich-emanzipatorischem An­spruch an die Medienbildung anschließt, ohne dass die wechselseitige kritische Befragung dieser beiden Dimensionen eine Rolle spielte. Eine Einführung müsste dieser Anspruch aber womöglich auch überfordern, so dass auf der Grundlage der gelungenen Re-Kontextualisierung, die die beiden Autoren im dritten Teil vornehmen, eine Diskussion in der wissenschaftlichen Religionspädagogik folgen sollte, sich neu der theologischen wie religionspädagogischen Gewichtung von Dimensionen und Perspektiven, sowie von etablierten Grundprinzipien der religiösen Erwachsenenbildung zu stellen. Überzeugend gelingt es den Autoren nämlich, die für die vergangenen Jahrzehnte zentralen Grundprinzipien religiöser Bildung Er­wachsener als Leitperspektiven für Theorie und Praxis auch in der Zukunft stark zu machen: Erfahrungsorientierung, Subjektorientierung, Mündigkeit, Bildung, kirchliche und gesellschaftliche Verortung (vgl. 108). An diese zentralen Kategorien schließen sich die drei von ihnen starkgemachten Kontexte bzw. Bezugsgrö­ßen an, die die Re-Kontextualisierung der religiösen Erwachsenenbildung im Blick auf das Individuum, auf Kirche und weitere Religionsgemeinschaften sowie die Gesellschaft vorlegen. Das überzeugende Kapitel schließt mit einem Resümee, dass Erwachsenenbildung stets »Sprachschule der Freiheit« sein müsse (wobei hier nicht Wolff 2013, sondern Ernst Lange zu zitieren gewesen wäre, der un­verständlicherweise in diesem Band überhaupt nicht vorkommt). Einen wichtigen Teil des gesamten Bandes bildet der abschließende vierte Teil, stellen sich doch die Autoren verdienstvoll der (sonst oft vernachlässigten!) Aufgabe, auch die didaktische Realisierung der religiösen Erwachsenenbildung ausführlich in den Blick zu nehmen, wobei ihnen eine »moderne« Didaktik gelingt, die an Bildungsstandards und Kompetenzen orientiert ist, und sie eigenständig eine Didaktik der Unterbrechung entfalten.
Den Autoren kommt das große Verdienst zu, eine schwierige Doppelaufgabe in Angriff genommen zu haben, nämlich in das Feld der religiösen Erwachsenenbildung umfassend einzuführen und gleichzeitig den Diskurs um eine zeitgemäße und zukunftsträchtige Erwachsenenbildung wieder aufgenommen zu haben. So ist dem Band zu wünschen, dass er zur Standardliteratur wird und dazu anregt, die vernachlässigte Diskussion um dieses bedeutsame Handlungsfeld neu zu entfachen.