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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

904–906

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Meynet, Roland

Titel/Untertitel:

Rhetorical Analysis. An Introduction to Biblical Rhetoric.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 386 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl.Series 256. Lw. £ 55.-. ISBN 1-85075-870-0.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Roland Meynet, Professor für biblische Exegese an der Gregoriana in Rom, kann auf eigene Forschungen zu Texten des Alten wie auch des Neuen Testamentes verweisen. Er ist damit einer jener nicht allzu häufigen Grenzgänger, die auf beide Testamente blicken können, wobei der Schwerpunkt bei M. eher auf dem Neuen Testament liegt.

Einen Grenzgang über die Grenze zwischen den Testamenten hinweg stellt auch das zu besprechende Buch dar. Es ist die ins Englische übersetzte, überarbeitete und erweiterte Fassung des fast neun Jahre früher erschienenen Bandes "L’Analyse rhétorique: Une nouvelle méthode pour comprendre la Bible. Textes fondateurs et exposé systematique" (Paris 1989), einem Werk, das bereits mehrere Übersetzungen erfahren hat.

Das Ziel des Buches und der darin vorgeschlagenen und erläuterten exegetischen Methode formuliert M. folgendermaßen: "Like all other exegetical approaches, the aim of rhetorical analysis is to understand the texts. It is convinced that in order to reach this aim, it is important, almost indispensable, to bring the composition of the text to light. And, first of all, to establish the limits" (21). Eine erhellende Eingrenzung des Begriffes "Rhetorical Analysis" findet der Leser bereits im einleitenden Vorwort von Paul Beauchamp: "Exegets have often called ’literary structure’ an equivalent result to what is sought by ’rhetorical’ analysis. We are shown here how the latter, like structural analysis, finds its model and inspiration in linguistics, or at least can and should do it. But ’rhetorical analysis’ limits its field to the distribution of the verbal significants, instead of going straight for the relationship between functions, values or symbols." (9)

M. beginnt seine Darlegungen sowohl mit einem "Prologue" als auch mit einer "Introduction", wobei der "Prologue" (19-36) dem eiligen Leser einen knapp gefaßten Eindruck vermittelt von der Vorgehensweise, die M. im zweiten Teil des Buches breit und detailliert anhand zahlreicher Beispiele entfaltet. Die "Introduction" steckt das Feld begrifflich und literaturtheoretisch ab, wobei M. strukturalistische Vorgehensweisen ausklammert. Das ist bedauerlich, denn ein Abstecher in diese Richtung hätte für den Leser das Buch noch ertragreicher werden lassen, weil der Blick auf eine grundsätzlichere Ebene gelenkt worden wäre und M.s "Rhetorical Analysis" als ein mögliches Gebiet innerhalb der facettenreichen modernen Literaturbetrachtung hätte erkennbar werden lassen.

Den Vorläufern auf dem Gebiet rhetorischer Untersuchungen widmet M. den umfangreichen ersten Teil seines Buches. Das hat seine Berechtigung darin, daß M. hier eine Traditionslinie dokumentiert, die der Exegese zum Teil unbekannt ist, und die ihr in diesem Teil praktisch nicht zugänglich sind. Das gilt natürlich nicht für das Werk des Robert Lowth, wohl aber für John Jebb und Thomas Boys, deren Werke in keiner großen Bibliothek außer der Bodleian Library in Oxford aufbewahrt worden zu sein scheinen.

M. gliedert seine Darstellung der Entdeckungsgeschichte einer eigenen biblischen Rhetorik, die innerhalb dieser Geschichte primär alttestamentliche Rhetorik ist, in drei Kapitel: "The Forerunners" behandelt das 18. Jh. mit Robert Lowth, der als erster den parallelismus membrorum systematisch beschrieb, Christian Schöttgen, der vor Lowth bereits sehr ähnliche Beobachtungen wie dieser veröffentlicht hatte, und Johann-Albrecht Bengel, dem die Entdeckung des Chiasmus als einer biblischen Stilfigur zu danken ist. Die beiden letztgenannten Autoren sind Vorläufer Lowths, und M. nennt außer diesen beiden auch noch jüdische Autoren wie Rashi und David Kimchi, die lange vor den christlichen Auslegern das Phänomen des Parallelismus kannten, sowie die Kabbala, der konzentrische Strukturen, und damit der Chiasmus, vertraute Formen biblischer Literatur waren.

"The Founders" findet M. im 19. Jh., und hier erwartet den Leser die Darstellung der Werke von John Jebb und Thomas Boys (diesen beiden Autoren sind gut 60 Seiten gewidmet), Friedrich Köster, David Heinrich Müller, Johannes Konrad Zenner, John Forbes und Ethelbert William Bullinger. M.s Darlegung ruht hier, wie im ganzen historischen ersten Teil, stark auf Originalzitaten, die nur durch knappe, zusammenfassende Passagen ergänzt werden, so daß dem Leser die wichtigsten Entwürfe dieser Tradition durch Originaltexte vermittelt werden. M. nimmt sich selbst in diesem Teil so weit zurück, daß seine Darstellung hier den Charakter einer Dokumentation hat.

Kürzer behandelt M. das zwanzigste Jh. im Kapitel "Rediscovery and Expansion", in dem, neben kürzeren Abschnitten über George Buchanan Gray, Charles Souvay, Albert Condamin und Marcel Jousse, dem amerikanischen Exegeten Nils Wilhelm Lund breiter Raum zugestanden wird. Ein kursorischer Blick auf zeitgenössische Exegeten beschließt die Darstellung der Entdeckung sprachlich-literarischer Formen der Bibel in der (christlich)-exegetischen Tradition.

Der anschließende zweite Teil bringt eine Darlegung von M.s Art, Textstrukturen zu registrieren. Er beginnt damit, daß er über Voraussetzungen der "Rhetorical Analysis" Rechenschaft ablegt. Diese sind für M.: "First Presupposition: The Biblical Texts are Composed and Well composed" (169), "Second Presupposition: There is a Specifically Biblical Rhetoric" (172) und "Third Presupposition: The Review of a Certain Method of Historical Criticism" (177).

Daß die letzte Voraussetzung eigentlich keine Voraussetzung ist, ist wohl ein kleines Versehen des an Textsymmetrien geschulten Autors. Im Text unter der zitierten Überschrift erläuter M.: "The third presupposition could be called the principle of trust, trust in the text and its own internal logic." (177) Interessant ist besonders die zweite Voraussetzung, denn sie erklärt implizit, warum Jebb und Boys für M. so bedeutungsvoll sind: "Biblical Rhetoric" bedeutet, daß es eine besondere literarische Formensprache des AT gibt, die von der der griechisch-römischen Antike verschieden ist und die sich im wesentlichen erschließt auf der Grundlage der von Lowth dargestellten Formen des parallelismus membrorum und der von Bengel entdeckten chiastischen Srukturierungsmöglichkeiten. Diese Formensprache aber, sagt M., sei auch für die Texte des Neuen Testaments prägend, stärker prägend als das Formeninventar der griechischen Literatursprache. Diese These ist es, die auch schon Jebb und Boys vertreten und mit entsprechenden Textanalysen untermauert hatten.

Das Urteil über die Richtigkeit dieses Teils der These möchte die Rezn. den Exegeten des NT überlassen. Was das AT angeht, so ist M. darin sicher recht zu geben, daß die Kenntnis der alttestamentlichen Formensprache zwar theoretisch vorhanden ist, in der Praxis aber von anderen Interessen - historisch-kritischen zumal - verschüttet wird. Wer könnte sich, wo schon alle Energie von komplizierten literarhistorischen Fragestellungen absorbiert wird, noch zusätzlich den nicht weniger kniffligen Fragen literarischer Gestaltung zuwenden? In der Tat ist die Richtung, die M. vertritt, ein Gegengewicht besonders zur Literarkritik, unter deren skeptischem Blick jeder Text wegen stets nachweisbarer Inkonsistenz zerbröseln kann. Ein wenig irritierend erscheint der Rezn. die Art, in der M. dieses Gegenüber konfessionalisiert, wenn er in der Auseinandersetzung mit historisch-kritischer Exegese (die weder konfessionell gebunden ist, noch M.s "Rhetorical Analysis" grundsätzlich ausschlösse) feststellt, "oecumenical irenics" (177) seien hier unangebracht, andererseits die von ihm vertretene Analysemethode als die dem katholischen Verständnis entsprechende herausstellt (309, A. 1). Das gibt der Darstellung einen eigentlich unnötigen kontroverstheologischen Hauch.

Die Vorgehensweise der "Rhetorical Analysis" wird von M. in zwei Richtungen systematisiert: Zunächst untersucht er "Relationships between Linguistic Elements", wobei Beziehungen der Identität und der Opposition auf verschiedenen Ebenen der Sprache durch Beispiele illustriert werden, danach stellt er eine Hierarchie von Textteilen dar, die jeweils strukturiert sein können. Beginnend mit dem Glied (member), das die kleinste rhetorische Einheit darstellt, steigen die Textteile über das Segment (segment), das Stück (piece), den Teil (part), die Passage (passage), die Sequenz (sequence), die Sektion (section) auf bis zum ganzen Buch, wobei Textlänge und Komplexität immer weiter anwachsen. M. gibt auf allen Stufen dieser hierarchischen Systematisierung Beispiele für Strukturbildung nach den von ihm festgestellten Regeln.

Alle Beispiele gibt M. in englischer Übersetzung, was das Lesen erleichtert, ihn zunächst aber in einen Widerspruch zu seiner eigenen Forderung bringt: "It is necessary to recall that this placing, and pagination, can only be done on the original. Translation, even literal ones, necessarily deform the text, in that they mask or destroy the rethorical figure." (310) Diesen Widerspruch mildert er aber mit Hinweis auf die praktische Notwendigkeit einer funktionalen Übersetzung ab. Ohnehin haben die Beispiele wohl eher dienende Funktion. Sie sollen die Augen öffnen für die möglichen Strukturen und den Leser dazu bringen, selbst nach solchen Strukturen Ausschau zu hal-ten. Insofern ist M.s Buch ein Arbeitsbuch eher als eine monographische Darstellung. In der Funktion eines Arbeitsbuches hat das Buch allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Das wenig differenzierende Inhaltsverzeichnis zusammen mit dem fehlenden Sachregister - wobei das Bibelstellenregister, Autorenregister und in gewissem Maße das Glossar rhetorischer Begriffe diesen Mangel etwas relativieren können - wird den Umgang mit dem Buch ein wenig erschweren. Es ist zu hoffen, daß es dennoch viele Leser findet, nicht zuletzt unter Literarkritikern.