Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

119-121

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Deeg, Alexander [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Erlebnis Predigt. Eine Veröffentlichung des Ateliers Sprache e.V.

Verlag:

Braunschweig. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 206 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-03890-9.

Rezensent:

Wilhelm Gräb

Dieser Band dokumentiert die Referate, die auf dem »4. Interna-tionalen Bugenhagen-Symposion« gehalten wurden, zu dem das „Atelier Sprache« unter der Regie des Leipziger Praktischen Theologen Alexander Deeg im September 2013 nach Braunschweig eingeladen hatte. Das Thema, auf das sich die Referate beziehen sollten, galt dem Erlebnischarakter der Predigt. »Erlebnis Predigt« so lautet jetzt jedenfalls der Titel des von D. herausgegebenen Tagungsbandes. Die von D. verfasste Einführung in den Band gibt dem Titel dann jedoch sofort die Wendung, wonach die »Bedeutung von Er­fahrung und Emotion in der homiletischen Praxis und Reflexion« (13-35) das Thema der Tagung sein sollte. Was unter einem »Erlebnis Predigt« zu verstehen sei, erfährt man hingegen weder aus der Einführung des Herausgebers noch aus einem der auf diesem Symposion gehaltenen Vorträge. Damit soll nicht gesagt sein, dass die einzelnen Beiträge nicht Erhellendes über die Wirkung und Rezeption der Predigt beizusteuern in der Lage seien. Die Einführung von D. lässt jedoch eine Bestimmung dessen, was unter einem »Erlebnis Predigt« zu verstehen sei ebenso vermissen, wie sie offensichtlich überhaupt der Braunschweiger Ta­gung keine klare Fragestellung vorzugeben in der Lage war.
Ersichtlich wird allerdings, dass hier der Versuch unternommen wurde, eine vom Verkündigungsparadigma und dem Wort Gottes als Sprachereignis her denkende Homiletik an den von der Praktischen Theologie in interdisziplinärer Vernetzung seit Längerem schon geführten Diskurs über das Verhältnis von religiöser und ästhetischer Erfahrung anschlussfähig zu machen, sowie dann auch die emotionale Dimension persuasiv-religiöser Kommunikation in die von einem dogmatisch-theologischen Predigtbegriff gesteuerte homiletische Reflexion aufzunehmen. Dazu müsste al­lerdings, was im Einführungsreferat von D. nicht einmal an­satzweise der Fall ist, ein homiletisches Theoriedesign entwickelt werden, das es erlaubt, die Predigt als von empirischen Subjekten vollzogenen Akt religiöser Kommunikation zu begreifen. Es bräuchte die entschlossene Hinwendung zu einer erfahrungsoffenen, die Gefühlsdimension des Religiösen einbeziehenden Auffassung religiöser Mitteilung wie sie in der gottesdienstlichen Predigt, aber keineswegs nur dort, geschieht. Wer nach dem »Erlebnis Predigt« fragt, muss doch den Blick in erster Linie auf die predigenden und hörenden Menschen als emotiv, kognitiv und voluntativ verfasste Subjekte richten und danach fragen, wie diese Dimensionen hu­maner Subjektivität ins religiöse Verhältnis eingreifen bzw. durch dieses spezifisch qualifiziert werden. Es ist ein auf den homiletischen Akt ausgerichtetes Verständnis davon zu gewinnen, dass die Gefühlsdimension zum religiösen Bewusstsein als ein es nicht ausschließlich, aber doch entscheidend bestimmender Faktor gehört. Da in D.s Konzeption dieses Symposions der Blick auf eine solche Theorie religiöser Kommunikation, die die Gefühlsbestimmtheit der religiösen Erfahrung zu thematisieren erlaubt, gänzlich ausgefallen ist, konnten sich die einzelnen Referate offensichtlich an keinem eindeutigen Bezugsproblem abarbeiten. In jedem der Referate begegnet ein jeweils eigener Versuch, sowohl den Predigtbegriff zu bestimmen wie dann darüber zu sagen, wie sie erlebt wird, bzw. erlebt werden kann (wobei damit zumeist nichts anderes als ihre unterschiedliche Rezeption durch die Hörenden gemeint ist) oder auch was die Predigt daran hindert, zu einem Erlebnis werden zu können (vgl. dazu den Beitrag des Kommunikationswissenschaftlers Fiehler, »Systematische Zusammenhänge zwischen kommu-nikativem Verhalten und Emotionen. Allgemeine Beobachtungen und Reflexionen am Beispiel der Kommunikationssituation Predigt«, 36-60, der am deutlichsten auf die Bedeutung des Emotionalen in Kommunikationsvorgängen eingeht, aber ebenfalls keinen Begriff von religiöser Kommunikation hat). Der Erlebnischarakter der Predigt wird in den verschiedenen Beiträgen, wenn sie überhaupt direkt darauf eingehen, sehr unterschiedlich aufgefasst; einmal ist damit die emotionale Dimension im Rezeptionsprozess gemeint (Schwier, 81-97), dann wieder schlicht die unterschiedliche Aufnahme überhaupt, die sie bei den Hörern findet (Lüdtke/Pohl-Patalong, 98-122), schließlich ihre politische und soziale Wirkung (Cilliers, 123-140).
Besonders interessant ist in diesem Band dennoch der Beitrag des Kommunikationswissenschaftlers Reinhard Fiehler. Fiehler kommt zu dem Ergebnis, dass die Predigt, die doch eine »frohe Botschaft« auszurichten habe, eigentlich »ein hohes Potential« besitzen müsste, »positive Emotionen wie Freude, Zuversicht und Dankbarkeit hervorzurufen«, die gottesdienstliche Kommunikationssituation jedoch durchgängig von der Art sei, dass die Predigt dieses Potential nicht abrufen könne. Es wäre interessant gewesen, wenn einer bzw. eine der zu diesem Symposion versammelten Praktischen Theologen und Theologinnen ( Deeg, Schwier, Lüdtke, Pohl-Patalong, Cilliers, Nicol, Meyer-Blanck) darauf eingegangen wäre, ob die These von Fiehler stimmt und wenn ja, was in der Arbeit an der Predigt getan werden könnte, um das vom dogmatisch-theologischen Anspruch her der Predigt zugeschriebene Er­lebnispotential in der Kommunikation mit den Hörenden auch freizusetzen. Leider kommt es im vorliegenden Band jedoch nicht zu einem entsprechenden interdisziplinären Gespräch. Es gerät aber auch kein Ansatz zur Vermittlung des dogmatisch-theologischen Predigtbegriffs mit der Produktion und Rezeption der Predigt durch erfahrungsfähige, fühlende, denkende und wollende Menschen in den Blick. Hinweise, wie eine Predigt, die für die Hörer zum religiösen Erlebnis werden könnte, konzeptionell anzugehen wäre, wird man deshalb in diesem Buch vergeblich suchen.