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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

91-93

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schwaetzer, Harald, u. Marie-Anne Vannier [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Bildbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues. Hrsg. in Verbindung m. J. Hueck, M. Vollet u. K. Zeyer.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 284 S. m. 24 Abb. = Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte. Reihe B, 9. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-402-15996-5.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Band enthält die Beiträge zweier sich gegenseitig ergänzender Symposien. Das eine widmete sich dem Thema »Imago in der Rheinischen Mystik und bei Nikolaus von Kues«, das andere dem Thema »Die Namen des Namenlosen. Die Jagden des Nikolaus von Kues nach dem Unnennbaren«.
Zeit seines Wirkens hat sich Nikolaus mit dem Problem der Namen Gottes befasst, aber ebenso mit dem Problem, inwieweit der Mensch Bild Gottes ist. M.-A. Vannier beschäftigt sich mit der Bedeutung des Bildes bei den rheinischen Mystikern. Nach Seuse geschieht die Gottesgeburt in der Seele, »um dem einzigen Bild des unsichtbaren Gottes gleichgestaltet zu sein«. Damit ist der Mensch capax Dei (9). Seuse fordert »zum Überschreiten der Bilder auf, um in der Einheit mit Gott zu leben, der Gleichgestaltung mit dem Sohn« (16). Nach Yves Meesen versteht Eckhart die Seele als Bild Gottes, sie »trägt das göttliche Bild und ist Gott gleich« (23.26). Isabelle Raviolo befasst sich mit der »Präsenz des ungeschaffenen Lichts in der Malerei Fra Angelicos« in San Marco und sieht darin eine künstlerische Lesart der Gedanken Eckharts. Dass es sich dabei um den Convent San Marco in Florenz handelt, wird nicht gesagt. Auch fehlen die Abbildungen, auf die im Beitrag hingewiesen wird. Sie meint, dass die Fresken »einen äußerst eckhartschen Nachklang in dem Sinne [haben], dass jedes von ihnen die Frage des Seelenfünkleins mit sich brachte – sozusagen die Frage nach der imago Dei« (40). Ist diese Aussage nicht doch weit hergeholt? Wichtiges steht leider in den Anmerkungen, auch die Abkürzungen »JAH« und »OS« werden nicht aufgeschlüsselt. Silvia Bara Bancel geht es um die Bedeutung des Bildes bei Seuse. Er verstehe darunter »Vorbild« und »Beispiel«, aber auch »Illustration«. Mit diesen will er die persönliche Frömmigkeit anregen (66). Jean Devriendt geht der Frage nach, ob Eckhart mit »Bild« oder »Figur« auf die Bildtheologie Bonaventuras reagiert. Die Bilder »sollen dem klösterlichen Leser exegetische und heuristische Deutungen« einflößen. Die geistigen Bilder erfordern eine Anstrengung des Intellekts, der wie ein Spiegel be­trachtet werde. Nikolaus von Kues betreibe dann eine Philosophie des Bildes und eine der Sprache gemeinsam (84–86). Eckhart stehe aber auch im Widerspruch zu Bonaventura, von dem er manche Begriffe übernommen habe, nämlich, »dass wir, um ›in Christo‹ zu leben, die Figuren Christi gemäß dieser Welt […] verlassen müssen, damit […] ihre Transfiguration sie der Trinität angleicht« (99). Jean-Claude Lagarrigue fragt, ob die Kreuzigungsdarstellung Grünewalds ein Bild des infernalischen Leidens Christi sei. Er sieht Verbindungen zu Nikolaus von Kues. Dargestellt habe Grünewald den »Blick Gottes, der auf die Menschheit gerichtet ist«. »Am Kreuz stirbt ein Mensch gewiss, aber Gott erfährt durch Einfühlen und Mitfühlen den Tod des Menschen.« Das sei eine Annäherung an Cu­sanus, der auch die Gegensätze zusammenführt (105.110). Monique Gruber befasst sich noch einmal mit Seuse und untersucht die Bilder der ewigen Weisheit in der Ikonographie seines Stundenbuches der Weisheit: Wenn man »gebildet« sein will, also mit Christus gleichgestaltet, »muss man von der Unähnlichkeit zur Ähnlichkeit gelangen, die sich nur aneignen lässt, indem man sich an der leidenden Menschlichkeit Christi orientiert« (121). Elena Filippi be­handelt das Verständnis der visio bei Cusanus und dessen Folgen für die Malerei. Bekanntlich geht er in De visione Dei von der Ikone des Alles-sehenden aus, um seine mystische Theologie zu entwi-ckeln. Im Gegensatz zum menschlichen Sehen ist Gottes Sehen ein Lebendigmachen (125). Die Referentin weist dann auf einen Dialog »Der göttliche Spiegel« hin, den sie in Zusammenhang mit Nikolaus von Flüe bringt. Dass hier eine Verbindung zu Cusanus bestehe, hat sich dem Rezensenten nicht wirklich erschlossen, auch wenn der Verfasser des Dialogs, wahrscheinlich Heinrich von Gundelfingen, von ihm beeinflusst gewesen ist. Vom kürzlich verstorbenen Klaus Reinhardt liegt der Beitrag »Jesus Christus ›Bild des unsichtbaren Gottes‹ (Col. 1,15) nach Nikolaus von Kues« vor. Nikolaus beziehe den Begriff imago Dei sowohl auf den Menschen als auch auf den Gottmenschen Christus. »Der unsichtbare Gott er­kennt […] im Bild Christi nicht nur sich selbst, sondern auch alles Geschaffene«. Christus ist das Bild Gottes des Vaters und wir das Bild Christi (150 f.). Zuletzt bietet H. Schwaetzer einen Beitrag »Nichts anderes als Spiegel«. Während der von Nikolaus ge­brauchte Begriff Non aliud ein Gottesname ist, ist die Idee des lebendigen Spiegels (viva imago) das zentrale Bild für den Menschen, »dessen Vollkommenheit im Logos ›nichts anderes‹ ist als die Vollkommenheit des Menschen« (158).
Der zweite Teil beginnt mit dem Beitrag von Agnieszka Kijewska »Eriugena on the ineffability of God«. Eriugena hat Gottes Unsagbarkeit in Beziehung gesetzt zu seiner Unerkennbarkeit. Er ge­brauchte bei seiner Rede von Gott die paradoxe Sprache. Catalina Cubillos tritt ein für eine Systematisierung der cusanischen Gottesnamen. Sie ist davon überzeugt, dass sich seine ganze Philosophie »auf Grund seines Begriffes von Gott entfaltet« und sich seine mystische Theologie aus seiner Erkenntnislehre ergibt, die seine Namenstheorie bestimmt (179.188). Stephan Grotz geht dem Zusammenhang von Name und Negation bei Nikolaus nach. Nur mit der docta ignorantia könne er das Namenlose benennen und das Unbegreifbare begreifen (203). Wolfgang Christian Schneider widmet sich der Poetik der Neologismen der cusanischen Gottesnamen. »Das Verneinen, das darauf zielte, das Göttliche einer menschlichen Fassbarkeit zu entziehen«, dringt letztlich vor zu einem Verständnis des Göttlichen (220). Gianluca Cuozzo untersucht die iucunda philosophia Giordano Brunos, der sich ja be­kanntlich auf Nikolaus berufen hat. Bruno meint, allein die Malerei könne »das Unsichtbare und seine unaussprechliche Beziehung zum Sichtbaren darstellen« (240). Kristin Zeyer geht der Rezeption der Gottesnamen in der Philosophie Cassirers nach. Er habe Im­pulse zur Vertiefung seiner Philosophie von Nikolaus erhalten. Für ihn wird von der Religion her klar, »wo Cusanus im Prozess der Selbstbefreiung des Geistes wirklich steht«. Dass sich der Mensch als geistiges Individuum erkenne, sei für ihn wegweisend gewesen (252). Am Schluss steht der Beitrag von Christiane Bacher »Freiheit und Gottesannäherung bei Cusanus und Jaspers«. Jaspers’ Cusanus-Rezeption ist bekanntlich recht eigenwillig. Er sieht vor allem in der Freiheit eine »notwendige Voraussetzung für die Möglichkeiten des Gottesbezugs«, auch wenn »die Gottheit als solche unerreichbar bleibt« (255.260).
Wie wohl stets bei solchen Aufsatzbänden kann man den einzelnen Beiträgen kaum wirklich gerecht werden. Sie bereichern jedenfalls das Wissen um das Denken von Meister Eckhart und Nikolaus und deren Weiterwirken, auch wenn manche vermuteten Bezüge dazu kaum überzeugen können (Fra Angelico, Matthias Grünewald, Nikolaus von Flüe). Sie mögen eher unterschwellig vermittelt worden sein. Weil sich die beiden Symposien gegenseitig ergänzen, vermisst man einen abschließenden Beitrag, der die ausgebreiteten Gedanken zusammenführt, der also den Bildbegriff und die Suche nach dem rechten Gottesnamen in Beziehung setzt.