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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

87-89

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Graf, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Fachmenschenfreundschaft. Studien zu Troeltsch und Weber.

Verlag:

Berlin u.a.: De Gruyter 2014. XI, 433 S. m. Abb. = Troeltsch-Studien. Neue Folge, 3. Geb. EUR 79,95. ISBN 978-3-11-024553-0.

Rezensent:

Konrad Hammann

Soweit die in diesem Band abgedruckten Aufsätze der »Fachmenschenfreundschaft« zwischen Ernst Troeltsch und Max Weber gewidmet sind, verfolgt Friedrich Wilhelm Graf mit ihnen das Interesse, den wissenschaftlichen Austausch der beiden Gelehrten im Kontext der zeitgenössischen Debatten über den Beitrag der Kulturwissenschaften »zur Bewältigung der Krise der modernen Kultur« (299) zu rekonstruieren. Daneben ist aber auch durchgängig die apologetische Intention erkennbar, in dieser komplexen Gelehrtenbeziehung die Rolle Troeltschs gegenüber gewissen Forschungstendenzen aufzuwerten, wie sie zumal in der, um hier einmal eine monströse Formulierung G.s zu verwenden, »transnational expandierenden Weber-Deutungsindustrie« (338) vorherrschend seien.
Der Abdruck der zehn Studien erfolgt nach thematischen Gesichtspunkten. Teil A enthält die Aufsätze zu Max Weber, Teil B diejenigen zu Ernst Troeltsch und Teil C bietet die Arbeiten dar, die die kulturwissenschaftlichen, lokalen Heidelberger und werkbezogenen Konstellationen vergegenwärtigen, in denen Weber und Troeltsch agierten. Als Teil D firmiert ein Anhang mit diversen Zeitdokumenten. Hier werden Zeitungsberichte über die für Troeltsch 1915 in Heidelberg abgehaltene Abschiedsfeier, sieben Kondolenzschreiben zum Tod Webers, Martin Rades und Otto Baumgartens Anzeigen des Weber-Buches von Marianne Weber, ein Briefwechsel mit Baumgarten zu dessen Buchanzeige sowie zwei Artikel Marianne Webers über Baumgartens Autobiographie von 1929 präsentiert.
Was Max Weber angeht, lassen sich viele Verbindungslinien seiner Religionssoziologie zur zeitgenössischen protestantischen Theologie aufzeigen, zu Otto Baumgarten und zur Deutung der alttestamentlichen Prophetie in der Religionsgeschichtlichen Schule, daneben die Zusammenarbeit mit Troeltsch etwa im Heidelberger Eranos-Kreis und die Austarierung des Verhältnisses zwischen Individuum bzw. Persönlichkeit und Gesellschaft sowie der integrativen Funktion der Religion in diesem Spannungsfeld (83–110). G. exemplifiziert dies an Webers »Protestantischer Ethik«, in der nicht nur historische, sondern auch dogmengeschichtliche und religionswissenschaftliche Literatur namentlich liberalpro-testantischer Provenienz verarbeitet ist (111–149). G. stellt darüber hinaus eine Studie über Max und Marianne Webers Beziehungen zur zeitgenössischen protestantischen Religionskultur in Aussicht, die sich durch Max Webers Selbsteinschätzung, er sei »religiös un­musikalisch«, nicht von der unvoreingenommenen Beschäftigung mit diesem Thema abhalten lassen werde (XII).
Den von Ernst Troeltsch handelnden zweiten Teil des Bandes eröffnet ein umfangreicher Aufsatz, in dem G. die Promotionsthesen Troeltschs von 1891 einer eingehenden Analyse unterzieht (153–213). Indem er diese Thesen in den Kontext der »Kleinen Göttinger Fakultät« stellt, vermag er die theologischen Gemeinsamkeiten und Differenzen herauszuarbeiten, die von Anfang an bezeichnend waren für die Mitglieder jener Gruppe von Nachwuchstheologen, aus der später die Religionsgeschichtliche Schule hervorgehen sollte. Troeltsch habe in den Göttinger Anfängen der religionsgeschichtlichen Bewegung das systematische »Interesse an gelebter Religion«, das ihrem »Programm einer konsequent historischen Theologie« zugrunde lag, am prägnantesten zur Geltung gebracht (213). Hinsichtlich der von Troeltsch anvisierten, aber nie syste-matisch entfalteten Religionstheorie weist G. auf deren Vielschich tigkeit hin, sollte sie doch die Bedeutung der Religion für die durch Individualisierungsprozesse und Bedrohungen des Individuums gleichermaßen geprägte neuzeitliche Kulturwelt explizieren. Troeltsch habe mit dem Beharren auf einer religionsphilosophischen Metaphysik des Individuums zwar nicht die Aporien seiner Religionstheorie aufzulösen vermocht, aber immerhin das Freiheitspotenzial der Religion in der Krise der Moderne in Erinnerung gerufen (215–240). Das wirkte sich historiographisch darin aus, dass er die Kirchengeschichte dezidiert als Kulturgeschichte des Christentums begriff, für die er die Kirche-Sekte-Typologie Webers um den Typus der Mystik erweiterte, den Typus, der die moderne Frömmigkeit eines radikalen religiösen Individualismus repräsentiere (241–265).
In der Beschreibung der »Fachmenschenfreundschaft« zwischen Weber und Troeltsch, die in etlichen Variationen und mit sehr vielen inhaltlichen Dubletten den dritten Teil des Bandes ausmacht, hebt G. zunächst auf die – angesichts der defizitären Quellenlage nicht einfach zu bewerkstelligende – genaue Erfassung der persön-lichen Beziehung zwischen beiden Gelehrten einschließlich des Bruches von 1914 und der Aussöhnung fünf Jahre später ab. Sodann reklamiert er zumindest eine partielle Parallelität der »Protestantischen Ethik« Webers zu einzelnen theologiegeschichtlichen Arbeiten Troeltschs. Freilich bleiben Gegensätze zwischen den beiden Heidelberger Neuzeitdeutern unübersehbar. Weber habe darauf ge­setzt, dass stabile Gesellschaftssysteme nur durch das theoretisch reflektierte Austragen von Wertekonflikten zu etablieren seien, Troeltsch dagegen sei dem religiös fundierten Konzept einer Kultursynthese verpflichtet gewesen (269–293.353–382). Neben Weber und Troeltsch beteiligten sich auch andere Wissenschaftler aus dem liberalen Heidelberger Gelehrtenmilieu um 1900 an den interdisziplinären Diskursen über die Kulturbedeutung der Religion, so der Staatsrechtler Georg Jellinek. Dessen historische Herleitung der modernen Menschenrechte aus germanischen Rechtstraditionen einerseits und dem genuin religiösen Erbe der Reformation andererseits wirkte zumindest inspirierend auf die beiden anderen Religionsdeuter vor Ort (295–322). Die an diesem Thema exemplarisch durchgeführte »Konstellationsforschung« – den Begriff übernimmt G. von Dieter Henrich – erweist sich generell als produktiv, um die persönlichen und wissenschaftlichen Aspekte des Austausches zwischen Troeltsch und Weber in ihrer ganzen Perspektivenvielfalt wahrnehmen zu können (335–351; auch 323–333).
In der ausführlichen Einleitung zu diesem Sammelband zeigt G. sich darum bemüht, die abgedruckten Aufsätze älteren Datums um neuere Forschungserkenntnisse zu Troeltsch, Weber und dem Heidelberger Gelehrtendiskurs an der Wende vom 19. zum 20. Jh. zu ergänzen (1–79). Dabei weiß er manches mitzuteilen, was durchaus Neuigkeitswert hat, freilich ist der Anteil der unerheblichen Minuzien an seinem Bericht enorm hoch. Schon deshalb wird die Wirkung dieses Bandes überschaubar bleiben. G. spart nicht mit Kritik an Weber-Forschern wie Michael Sukale oder Joachim Radkau und grenzt sich besonders häufig von Bärbel Meurer, der Biographin Marianne Webers, ab. Während er nicht müde wird, diesen und anderen Autoren Fehldeutungen und auch kleinste Irrtümer vorzuhalten, geht er mit seinen eigenen Fehlern und den ihm nachgewiesenen Interpretationserrata ungleich nachsichtiger um. Er lässt sie einfach stehen – unter Verweis auf die Aussage Webers, der Zweck der Wissenschaft bestehe darin, permanent überholt zu werden (XI f.). Nur hat Weber damit ganz gewiss nicht das merkwürdige Verfahren legitimieren wollen, offenkundig unzutreffende Auffassungen ein weiteres Mal mitzuteilen. Auch die neue Einleitung ist von handwerklichen Fehlern nicht frei. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: G. lässt gleich auf der ersten Seite den Tübinger Verleger Paul Siebeck 1926 in einer Werbebroschüre die Zusammengehörigkeit seiner beiden Autoren betonen. Zu diesem Zeitpunkt war Paul Siebeck schon sechs Jahre tot. – Dem Buch sind sechs Abbildungen beigegeben. Die Qualität der Bildwiedergaben ist derart schlecht, dass Autor und Verlag der Leserschaft mit dem Verzicht auf den Abdruck dieser Fotos einen großen Dienst erwiesen hätten.