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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

81-83

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Busch, Eberhard

Titel/Untertitel:

Barth – ein Porträt in Dialogen. Von Luther bis Benedikt XVI.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2015. 307 S. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-290-17781-2.

Rezensent:

Marco Hofheinz

Ein populärer, wirkmächtiger Vorwurf an Karl Barths Theologie besagt, dass sie einem »Monolog im Himmel« (Heinz Zahrnt) gleiche. Sie sei ebenso monologisch in Anlage und Durchführung wie die Offenbarung Gottes, von der sie handle. Ihr fehle die Zuwendung zu konkreten Menschen. Insbesondere die »Kirchliche Dogmatik« (1932–1967) scheint ein der Selbstvergewisserung dienendes Monument darzustellen.
Die Sammlung von 15 Dialog-Porträts entlarvt diese Auffassung als ebenso leichtfertig wie vorurteilsbehaftet. Mit dieser Sammlung legt Eberhard Busch, der letzte Assistent von Karl Barth und emeritierter Professor für Reformierte Theologie in Göttingen, »eine buntgemischte Auswahl von Dialogen mit recht verschiedenen Mitmenschen« (10) vor, die Karl Barth geführt hat. B. geht es nicht darum, die gesamte Kommunikationsstruktur der »Kirchlichen Dogmatik« zu ermitteln und das breite Referenzsystem Karl Barths im Einzelnen offenzulegen. Wie breit und dicht, ja gera-dezu überbordend dieses tatsächlich ist, verrät bereits ein Blick in den keineswegs vollständigen Registerband der »Kirchlichen Dogmatik«. Man wäre angesichts der Fülle geneigt, von »Megalogen« (Amitai Etzioni) zu sprechen, wenn sich dieser Begriff nicht als bereits in anderer Weise besetzt erwiese.
B. demonstriert exemplarisch, inwiefern Barths Theologie nicht nur aus dem »Hören auf das Wort Gottes«, sondern auch im Gespräch mit Zeugen der Vergangenheit sowie seinen unmittelbaren Zeitgenossen entstanden ist. Das eine schließt offenbar das andere keineswegs aus. B. beobachtet, dass es für die Barthsche Auswahl der Gesprächspartnerinnen und -partner ebenso wie für seine Art, Dialoge zu führen, »typisch war, sich nicht mit Fernstehenden, sondern mit Nahestehenden auseinanderzusetzen. Offenbar soll in der Freundschaft keine das eigene Denken lähmende Kumpanei entstehen, aber auch die Verbundenheit im Streit um die Wahrheit bewährt werden« (223).
Im Detail werden folgende Gesprächskonstellationen in chronologischer Reihenfolge porträtiert: Zunächst veranschaulicht B. den Zugang Barths und anderer dialektischer Theologen zur Theologie Martin Luthers, als deren Zentrum die Kreuzestheologie (theologia crucis) gilt (vgl. 22); sodann wird Barths pneumatologisches Gespräch mit Johannes Calvin unter Rekurs auf den Geist Jesu Christi als »Mittler der Gnade« (50) entfaltet. Auch Barths Bezugnahme auf Nikolaus von Zinzendorf findet Berücksichtigung, den er als den »einzige[n] ganz echte[n] Christozentriker der Neuzeit« (65; KD IV/1, 763) würdigt. Fehlen darf auch nicht Sören Kierkegaard, dessen Systematik des Unsystematischen, ja dessen »irreguläres« Denken überhaupt Barth – im Bilde gesprochen – als den Zimt zu der von der Theologie zu bereitenden Speise versteht (vgl. 91). Ein zentraler Gesprächspartner Barths war lebenslang Friedrich Schleiermacher. Der Beschäftigung mit dessen »Reden« (1799) widmete Barth seine letzte akademische Veranstaltung (vgl. 93), von der B. berichtet und auch »Unveröffentlichtes« (vgl. 96–98) beizusteuern weiß. Es folgt der Erweckungstheologe August Tholuck, der seinen Studenten auf die Bude zu steigen und sie mit der Frage zu bedrängen pflegte: »Bruder, wie steht es mit deinem Herzen?« (109) Fernerhin zeichnet B. »gemeinsame Grundlinien« (131) wie »unterschiedliche Begründungen« (141) anhand eines Vergleichs der Friedensethiken von Leonhard Ragaz und Karl Barth nach, welche er in ein »gemeinsames Plädoyer für den Einsatz zu­gunsten eines gerechten Friedens« (148) hineinmünden sieht.
Anschließend kommt das Gespräch mit Franz Rosenzweig zu Wort, dessen Diktum Barth im Ohr behielt, wonach »das Christentum ein getreues Judentum brauch[t], damit es nicht in seine heidnische Herkunft zurückfäll[t]« (169). Eine ungleich intensivere und dauerhafte Gesprächskonstellation ging Barth mit Emil Brunner ein, in der beide bei allem »Nein!« »bis zu ihrem Ende einander nicht losließen« (171). Weitaus abgeschwächter gilt dies auch für Paul Tillich, mit dem Barth aber bei allem Dissens in der Begründung und materialen Ausdifferenzierung den gemeinsamen An­satz bei einer als Funktion der Kirche verstandenen Theologie teilte (vgl. bes. 202). Bei einer Begleitung »aus der Ferne« (233) blieb es auch bei Friedrich Dürrenmatt, wobei diese keine Einbahnstraße bildete, insofern nicht nur Barth dessen Dichtung, sondern der Dichter auch umgekehrt Barths »Mammutproduktion« (ebd.) wahrnahm – seit dem »Römerbrief« freilich mit zunehmender Distanz. In Person des Schweizer Bundesrates Eduard von Steiger nimmt der Dialog die Gestalt eines heftigen Grundsatzstreites an, der nicht nur das Verständnis von schweizerischer Neutralität (als Indifferenz?) im Kontext eines die Welt mit Krieg überziehenden Nationalsozialismus betraf. Vielmehr führte auch die grundsätzliche Frage nach dem Theologie-Politik-Konnex zu einer heftigen Auseinandersetzung, zumal Steiger seinerseits diesen Konnex ebenso vehement bestritt (»Keine Einmischung!« [236]) wie Barth ihn im Sinne eines »politischen Gottesdienstes« (240) vertrat. Das darauffolgende Porträt widmet sich dem Gespräch Barths mit Dietrich Bonhoeffer über die »Nachfolge« (254–261), nachdem zuvor die komplexe und umstrittene Entstehungsgeschichte des sogenannten »Betheler Bekenntnisses« (1933) im Blick auf den Beitrag Dietrich Bonhoeffers und Wilhelm Vischers sowie Barths Kritik an den Betheler Thesen rekonstruiert wurde (245–252). Danach thematisiert B. nicht nur die »so besondere Beziehung« (265) zwischen Barth und der »Mitarbeiterin« Charlotte von Kirschbaum – B. spricht von einem »gewiss komplizierte[n] und von allen Beteiligten erlittene[n] Dreiecksverhältnis« (266) –, sondern B. veranschaulicht auch deren eigenständige Vorträge über »Die evangelische Lehre von der Frau« (276–288).
Abschließend schlägt B. den Bogen von der Teilnahme des jungen Tübinger Theologieprofessors Joseph Ratzinger an Barths Seminar (1967) hin zum Jesus-Buch Papst Benedikt XVI. und weiß die einstige Anfrage Barths hinsichtlich der entscheidenden und ausschlaggebenden Rolle des Heiligen Geistes für Ratzingers Ekklesiologie (vgl. 293) nun auch auf dessen Mariologie, insbesesondere die Lehre von der Jungfrauengeburt, zu übertragen (vgl. 299 f.).
B. vermag mithilfe dieser 15 Porträts die theologische Grundentscheidung Karl Barths anschaulich zu vermitteln. Er arbeitet heraus, dass Karl Barths theologische Existenz keine monologische Existenz war. Dafür spricht bereits der Umstand, dass der Gang der »Kirchlichen Dogmatik« in dem Moment abbrach, als Barth nach seiner Emeritierung mit den Studierenden und mit der fortschreitenden Erkrankung seiner Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum sein Gegenüber verlor. Barth nahm den Faden der abge-brochenen Versöhnungslehre noch einmal auf, als er mit seinem Mitarbeiter Eberhard Busch dieses Gegenüber wieder hatte. Das Ge­spräch machte für Barth offenkundig den modus loquendi theologicus aus.
Mit dem Lob, das diesem gesprächssensiblen und anschaulichen Werk zu zollen ist, das sich hervorragend als Einführung in die Theologie Karl Barths eignet, sei zugleich das Desiderat verknüpft, auch die manifesten Gesprächskonstellationen vor der Zeit der Reformation zu berücksichtigen. Das Gespräch Barths etwa mit Augustin und dessen bisweilen unter der »Last des augustinischen Erbes« (Dietrich Ritschl) firmierender Wirkungsgeschichte ist ebenso interessant und spannend wie sein Gespräch mit Thomas von Aquin, auf den etwa der von Barth gegen Schleiermacher in Stellung gebrachte antimetaphysische Spitzensatz zurückgeht: »Deus non est in genere« (103). Insbesondere aber wäre Athanasius zu berücksichtigen. Auf seine bislang unterschätzte Bedeutung für Barths Theologie hat zuletzt George Hunsinger (Princeton) die Barth-Forschung nachdrücklich hingewiesen.