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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

898 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Boer, Roland

Titel/Untertitel:

Novel Histories. The Fiction of Biblical Criticism.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1997. 221 S. gr.8 = Playing the Texts, 2. Lw. £ 45.-. ISBN 1-85075-835-2.

Rezensent:

Horst Seebass

Als Alttestamentler kann man dies Buch kaum rezensieren, nur anzeigen. Es versteht sich zwar als Metakommentar eines Kommentars zu zwei atl. Textgruppen, nämlich Dtn-2Kön einerseits, ChrG andererseits. Aber es beabsichtigt dabei nicht so etwas wie eine neue Methodologie nach der Destruktion vor allem der historisch-kritischen Methode, sondern so etwas wie eine Auflösung aller biblischen Analytik in pure Sprachkonstrukte, also, wie im Untertitel angekündigt, die Einsicht in eine vollständige Fiktivität der genannten Textgruppen, soweit es nicht um gelegentliche Bezugnahmen auf allgemein bekannte historische Personen oder Ereignisse geht. Der Metakommentar ist insofern marxistisch, als Fiktionen, sie seien solche eines historischen Romans (so angeblich M. Noths DtrG) oder "utopian/science fiction" (ChrG), in die sozioökonomische Großwetterlage eingebunden seien und diese mit zur Bestimmung der Eigenart von Fiktionen herangezogen werden soll. In die Sachauseinandersetzung eingewoben ist überall eine das Ganze ironisierende Begleithandlung, bei der anfangs die für die Sachanalyse wichtigsten Autoren im Gespräch erscheinen, dabei Zeitreisen unternehmen und je länger je mehr um weitere Personen aufgefüllt werden. Das Ziel ist ein postmodernes Verstehen biblischer Texte, das, etwas verallgemeinernd gesagt, die biblischen Texte nicht mehr so ganz ernst nimmt. Denn die Postmoderne sei Ausfluß der erst jetzt sich nachdrücklich vollziehenden Globalisierung des Kapitalismus, die nach Marx überhaupt erst den Umschlag in den Sozialismus erwarten lasse (so Kap. 6).

Der wohlgesonnene Leser wird aus dem Gesagten entnehmen, daß das Buch eher selbst romanhaft als wissenschaftlich angelegt ist. Dem entspricht die Benennung der Kapitel. Nach einer Einführung folgt 1. "Rereading Martin Noth’s Deuteronomistic History, 2. Georg Lukács: Marxist Dialectics and the Historical Novel, 3. Novel Noth: The ’Deuteronomistic History’ as Historical Novel, 4. Mutant on the Bounty: From Historical Novel to Science Fiction, 5. Hell comes to Frogtown: Chronicles as Utopia and Science Fiction, 6. Breakfast at McDonalds: Postmodernism, Periodization and Biblical Studies, Postscript: The Flight of Solomon One".

M. Noths berühmte "Überlieferungsgeschichtliche Studien I" von 1943 bzw. deren englische Übersetzung (sie erfolgte sehr spät, was B. zu weiteren Ausflügen in die Veränderung der Weltgeschichte drängt) hat hier die Rolle, eine scheinbar hohe Exaktheit (bis in die Sprache hinein) überlieferungsgeschichtlicher und historischer Tatbestände sowie eine identifizierbare Historiographie erarbeitet zu haben, die aber vor allem im 2. Anlauf (Kap. 3) als bloß fiktiver historischer Roman entlarvt werden soll: Noth habe die Fiktivität nicht zu Ende bedacht, er habe nur einen historischen Roman kreiert - und zwar in einer von B. angenommenen Spätform: Historisch-kritische Arbeit sei etwas typisch Deutsches, wozu gehöre, daß Deutschland sozioökonomisch und politisch mit erheblicher Verspätung die bürgerliche Revolution vollzogen habe (im Nazismus), in welchen Kontext nun gerade auch Noths Arbeit gehöre. (Noth habe mit seinem Deuteronomisten anscheinend den zu erwartenden Untergang des Nazireiches aufgrund seines Versagens an Gott vorhergesehen?) Zum ChrG braucht B. Noth schon nicht mehr, weil er sich Kriterien zurechtgelegt hat, die jenes für ihn als "utopian/science fiction" identifizieren lassen. Angeblich soll dies die Überzeugungskraft der Argumente stärken, daß Noth mit dem DtrG nur ein "historical novel" entdeckt habe.

Ich lasse es dabei bewenden. Das Buch ist von Literatur zur Theorie neuerer Literatur- und Geistesgeschichte sowie zu sozioökonomischen Entwicklungen geprägt, besonders soweit sie sich dabei auf Erzählliteratur zwischen populärem und seriösem Anspruch bezieht. Daraufhin müßte das Buch rezensiert werden. Der Autor sagt fleißig "Ich", was man in wissenschaftlichen Werken eher ausnahmsweise verwendet, und man kann die Lektüre wegen des vielen Fremdartigen zwar mühsam, aber nicht unangenehm nennen. Gelernt habe ich nichts. Das liegt jedenfalls nicht am marxistischen Ansatz des Buches und auch nicht an den vielen literaturgeschichlichen Einzelanalysen. Das liegt vielmehr daran, daß nicht eine brauchbare atl. Erkenntnis zu fassen ist. Und wenn es um Ironisierung der Bibel im Postmodernismus gehen sollte, so scheint mir dies das atl. Original ganz vormodern hinreichend zu leisten, nur mehr als Ironisierung des Menschlich-Allzumenschlichen als etwa Gottes im ChrG.