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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

66-68

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Patout Burns Jr., J., and Robin M. Jensen [Eds.]

Titel/Untertitel:

Christianity in Roman Africa. The Development of Its Practices and Beliefs.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2014. LIII, 670 S. m. zahlr. Abb. Geb. US$ 55,00. ISBN 978-0-8028-6931-9.

Rezensent:

Katharina Greschat

Dieses dickleibige Buch eines ganzen Forscherverbands rund um das Ehepaar Patout Burns und Jensen möchte Archäologie und Theologie, historischen Kontext, Praxis und Denken im Hinblick auf das frühe afrikanische Christentum miteinander verbinden, welches klar als eigenständige Größe angesehen wird: »African theology focused on the role of the church as the medium of Christ’s salvific work and therefore on the church’s holiness and the efficacy of its rituals« (xlviii). Die Ekklesiologie bildet in ihren Augen also das Herzstück des afrikanischen Christentums.
Die ersten drei Kapitel schreiten zunächst Zeit und Raum bis zur arabischen Eroberung ab (»Christianity in North Africa to Diocletian«; 1–35; »The Christian Imperial Period: Diocletian to the Vandals«, 35–59; »Fifth-Century Conflicts: Vandal Arians and African Nicenes«, 61–85), bevor die archäologische Evidenz für die Praxis vorgestellt wird, die – ausgehend vom ecclesia mater Mosaik aus Thabraka (5. Jh.) – ganz auf die Kirche, d. h. vor allem die Kirchenarchitektur, zugeschnitten ist (87–163). Doch aus den ersten Jahrhunderten, d. h. bis in die Zeit dieses Mosaiks, ist nichts überliefert, so dass wir folglich allein auf die literarischen Zeugnisse angewiesen sind. Für die spätere Zeit lassen sich einige afrikanische Besonderheiten wie die »counter-apse« feststellen, auch wenn wir nicht immer wissen, wozu sie dienten. Christliche Gräber sind oft schwie­riger zu identifizieren; doch wollen die Verfasser den unmittelbaren Bezug nordafrikanischer Christen zur Kirche plausibel machen und betonen, dass die Christen im Unterschied zu ihren Mitbürgern die natürlichen Verwandschaftsverhältnisse zurückgenommen und statt dessen die Identifikation mit den Glaubensgenossen in den Vordergrund gestellt hätten (123).
Die folgenden acht Kapitel nehmen das afrikanische Christentum der Antike als gelebte Religion in seiner Entwicklung von den Anfängen bis zur muslimischen Eroberung in den Blick. Jeder Abschnitt orientiert sich zunächst an Texten, die anschließend mit den materiellen Hinterlassenschaften korreliert werden, um die Beziehung zwischen Theorie und Praxis auszuloten. Den Auftakt macht die Taufe (165–231), die den Zugang zur Kirche ebnet und damit gleichsam die Basis für die Darstellung folgender Themenbereiche legt: »The twin issues of church purity and the efficacy of baptism were at the heart of African Christian practice and controversy from the third through the fifth centuries« (230). Aus den Quellen heraus – fast ohne Rückgriff auf Sekundärliteratur – wird hier die Entwicklung des Taufverständnisses von Tertullian bis Augustin nachgezeichnet. Selbstverständlich geht es auch beim Abendmahl (233–293) um die Reinheit der Kirche und die Wirksamkeit ihres Tuns und auch hier ist eine deutliche Schwerpunktverschiebung festzustellen. Was bei Tertullian noch ein im Kontext des Hauses verortetes Geschehen war, wird bei Cyprian, in Reaktion auf das allgemeine Opferedikt des Kaisers Decius, zu einem Sakrament der kirchlichen Einheit. Aus dem gleichen Grund betont Cyprian auch das Opfer Christi, das alle Christen zu teilen hatten. Bei Augustin ist hingegen noch einmal eine andere, differenzierte Akzentsetzung zu erkennen, die den veränderten Zeit- und Gemeindeumständen geschuldet ist. Die Verfasser können plausibel machen, dass auch »Augustine’s theology of divine elec-tion and the operation of salvation was developed by his innovative reading of Paul’s letters and John’s Gospel, but it was inspired and guided by his practice of preaching« (286). Die vielfältigen Interaktionen, die die augustinische Ekklesiologie bestimmen, le­ben nicht zuletzt davon, dass der Altar im Zentrum des Kirchengebäudes stand und der Bischof als mit und für das Volk Handelnder im Sinne des totus Christus, mit Haupt und Gliedern, sprechen und handeln konnte. Sehr eng damit verknüpft ist auch das Nachdenken über die Reinheit der Kirche und die entsprechenden Bußriten zum Umgang mit Sündern, die im nächsten Kapitel behandelt werden (295–361), sowie die Frage nach der Leitung der Kirche (363–439) in den »twin roles of governance and sanctification« (438). Wie kaum anders zu erwarten, lässt sich auch hier keine gradlinige Entwicklung nachzeichnen. Während der Bischof für Tertul-lian gegenüber der spirituellen Führung durch die Neue Prophetie in den Hintergrund trat, war bei Cyprian hingegen alles auf den Bischof und die Gemeinschaft der Bischöfe als Garantie für die Heiligkeit der Kirche zugeschnitten, weshalb man ihm auch einen sakramentalen Status zuschrieb. Doch angesichts des donatistischen Schismas geriet dieses Konzept in die Krise und rief die nur in Afrika bezeugten Laienältesten auf den Plan, die in schwerwiegenden Konflikten zu vermitteln versuchten. Augustins Unterscheidung zwischen governance als Sache der Bischöfe und sanctification als Sache der einen Kirche musste sich nicht zuletzt aus der Notwendigkeit, die rückkehrwilligen donatistischen Kleriker zu übernehmen, be­währen. Allerdings lassen die archäologischen Zeugnisse erkennen, dass man dem Bischof dennoch eine besondere Heiligkeit zu­schrieb, weil er für die Vermittlung der Heiligkeit zuständig sei. Um die Integration der unterschiedlichen Le­bensmodelle von Ehe, Jungfrauen- und Witwenschaft (441–489) geht es im folgenden Kapitel, dem sich ein Abschnitt zu Tod und Begräbnis (491–517) anschließt. Damit sind die Verfasser auch schon beim nordafrikanischen Märtyrerkult (519–551), der die Be­zeugungslage deutlich umkehrt: Gegenüber den umfangreichen materiellen Hinterlassenschaften nimmt sich die literarische Überlieferung vergleichsweise spärlich aus. Das vorletzte Kapitel widmet sich den frommen Übungen (553–599), womit in erster Linie das aus dem Judentum übernommene Beten, Fasten und das Almosengeben gemeint sind. Bei der Analyse des Gebets – vor allem des Vaterunsers – bei Augustin wäre durchaus Gelegenheit gewesen, etwa mit serm. 348A und 181 auf die zentrale Aussage der Notwendigkeit der Vergebung in der Auseinandersetzung mit den Pelagianern einzugehen, doch passt das offenbar nicht in das ganz auf die Ekklesiologie ausgerichtete Gesamtkonzept der Verfasser. Auch hätte man gern ein wenig mehr über die Verwendung der »African red slipware« mit christlichen Symbolen oder den Ringen bzw. Siegeln erfahren.
Mit dem letzten Kapitel zur Heiligkeit der Kirche (601–620) schließt sich der Kreis. Einmal mehr wird behauptet: »The church, as the medium of sanctification and salvation, was at the center of Christian thought and practice in Roman Africa« (601), und die Kirche sei der wichtigste Bezugspunkt für das christliche Individuum gewesen. Mit dieser Sichtweise stellen sich die Verfasser in bewussten Gegensatz zu den Forschungen von Eric Rébillard, der in einem ungleich dünneren und keineswegs so gut ausgestatteten Buch (Christians and Their Many Identities in Late Antiquity, North Africa 200–450 C. E., Ithaca/London 2012) ebenfalls die nordafrikanischen Schriftsteller Tertullian, Cyprian und Augustin untersuchte und zu einem ganz anderen Ergebnis kam. Auf die Frage, was es denn tatsächlich für einen Unterschied machte, ein Christ zu sein, gaben ihm die genannten Autoren zur Antwort, dass häufig gar keiner zu erkennen sei. Vielmehr hätten die Mehrzahl der Christen ihre Familie, die Nachbarschaft, Klientenverhältnisse oder die Erfordernisse der städtischen Gemeinschaft als viel entscheidender angesehen als das Christentum, wie gerade auch die augustinischen Predigten zeigten. Offenbar kommt es darauf an, ob man der Meinung ist, dass das, was Tertullian, Cyprian oder Augustin schreiben, für die gesamte Christenheit in Nordafrika repräsentativ gewesen sei. Die Gruppe um Patout Burns und Jensen würde das sicherlich bejahen, während Rébillard ungleich kritischer ist und zu bedenken gibt, dass die genannten Autoren normative Texte verfasst haben.