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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

23-25

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Meißner, Volker, Affolderbach, Martin, Mohagheghi, Hamideh, u. Andreas Renz[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch christlich-islamischer Dialog. Grundlagen – Themen – Praxis – Akteure.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2014. 494 S. = Schriftenreihe der Georges Anawati Stiftung, 12. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-33337-8.

Rezensent:

Thomas Schirrmacher

Dialog ist für die Herausgeber »weder ein Allheilmittel noch ein Kampfbegriff« (12). Die nüchterne Herangehensweise ermöglicht es, dass das Buch eine enorme Weite an Positionen und Themen einbinden kann.
Im 1. Teil »Grundlagen« (= 20 % des Textes) finden sich neun Beiträge, nämlich zu Dialog aus katholischer, evangelischer, muslimischer, orthodoxer und alevitischer Perspektive und dann aus »ge­sellschaftswissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer«, juristischer und religionsgeschichtlicher Perspektive und »aus Sicht der empirischen Religionsforschung«.
Die fünf ersten Beiträge sind informativ und auch für Kenner der Materie lesenswert, wobei m. E. der alevitische der gelungenste Beitrag ist, der orthodoxe dagegen am schwächsten erscheint, da er sowohl Probleme innerhalb der orthodoxen Theologie ausblendet und die spannungsgeladene Situation in Nahost samt der wachsenden Zahl von Flüchtlingen von dort bei uns nicht anspricht.
Bei den vier Perspektiven aus Sicht wissenschaftlicher Disziplinen hätte man m. E. strenger darauf achten müssen, dass es wirklich für diese Disziplinen fachtypische und repräsentative Beiträge sind – de facto sind es eher Meinungsbeiträge und recht eigenwillige Verständnisse des jeweiligen Faches. Warum erwähnt ausgerechnet der gesellschaftspolitische Beitrag unter »Islamische Selbstorganisation« nur KRM und Deutsche Islamkonferenz (64), nicht aber wie das Buch sonst Aleviten, Ahmaddiyya usw., und macht auch nicht damit vertraut, welch enorme gesellschaftspolitische Breite sich hinter diesen Verbänden verbirgt. Oder was ist daran »religionsgeschichtliche« Perspektive, wenn man behauptet, Muhammad habe seine neue Lehre als Ergebnis eines Dialogs mit den anderen monotheistischen Religionen verkündigt (77). Man hätte hier vielmehr eine Religionsgeschichte des Dialogs erwartet.
Im 2. Teil »Themen« (= 35 %) finden sich 15 systematische Beiträge aus Dogmatik und Ethik, die jeweils von einem christlichen und einem muslimischen Autor gemeinsam verfasst wurden, nämlich zu Gott, Gottes Wort, Abraham, Jesus, Muhammad, Mensch, Theodizeefrage, Ethik, Menschenrechte, Frieden und Gewalt, Ehe und Familie, Kirche und Umma, Gebet, Dialog und Mission sowie schließlich das Heil.
Elf der 15 Beiträge (2.1 Gott, 2.3 Abraham, 2.4 Jesus, 2.6 Mensch, 2.7 Theodizeefrage, 2.9 Menschenrechte und 2.10 Frieden und Gewalt ) stellen m. E. den hilfreichsten Teil des Handbuches dar, indem sie sorgfältig erst die Sicht der einen, dann der anderen Religion darstellen und dann Gemeinsamkeiten und Problembereiche benennen, bevor Empfehlungen ausgesprochen werden.
Warum drei Beiträge des Thementeils das bewährte Schema der anderen Beiträge nicht befolgen, ist nicht verständlich. Die Beiträge 2.2 Gottes Wort und 2.8 Ethik trennen nicht nach den beiden Religionen, sondern bieten sogleich eine verquickte Darstellung. Der Beitrag 2.5 zu Muhammad stellt eigentlich nur die muslimische Seite dar und endet fast missionarisch mit einem Abschnitt »Muhammad als Anfrage an Christen«.
Im Beitrag 2.14 »Den Glauben bezeugen« findet sich zwar die Standardgliederung, aber beiden Autoren scheint »Mission« und »dawa« nicht ganz geheuer zu sein. Das ist für Nutzer des Handbuches jedoch wenig hilfreich. Zudem fehlt das zentrale Dokument »Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt«, das andernorts im Buch (374 f.) lobend erwähnt wird, das doch in der positiven Zuordnung von Mission und Dialog – ebenso wie dies neuerdings Papst Franziskus tut – schon weiter fortgeschritten ist.
Im 3. Teil »Praxis« (= 22 %) finden sich 15 stilmäßig und fachlich sehr unterschiedliche Beiträge, die hier nicht alle einzeln bewertet werden können.
Im grundlegenden Beitrag 3.2 zu multireligiösen Feiern gelten interreligiöse Feiern als problematisch (268 f.), multireligiöse Gebete aber als möglich und angebracht. Es wird empfohlen, dass man, wenn man gemeinsame Texte aussucht, nur solche wählt, die nicht mit gottesdienstlichen Texten verwechselt werden können (269). Zudem sei es sinnvoll, eindeutig und einseitig in einer Religion verwurzelte Feste wie Ostern und Opferfest für gemeinsame Aktivitäten zu meiden.
Der ausgezeichnete Beitrag 3.15 »Zivilcourage und aktive Toleranz: Auseinandersetzung mit extremistischen Einstellungen« von Friedmann Eißler verschweigt nicht die Herausforderungen. Erfreulich auch, dass Werner Hübsch in Beitrag 3.13 »Befähigung zum Dialog – Interreligiöse Kompetenz« sehr stark betont, wie wichtig es ist, seine eigene Position gut zu kennen und sich über den Dialogpartner gut zu informieren.
Die Beiträge zur Jugendarbeit (3.7), zu den Medien (3.13) und zum Sport (3.12) liefern dagegen weitgehend Allgemeinplätze, die meist wenig mit Dialog zu tun haben, etwa wenn auf einer halben Seite zu »Sportliche Ereignisse« (332 f.) verschiedene Sportarten aufgelistet werden, aber keine Anregung gegeben wird, wie über die dabei automatisch stattfindende Begegnung von Menschen hinaus eine Sportveranstaltung zum inhaltlichen Dialog beitragen kann. Denn ist es schon Dialog, wenn man – gewissermaßen schweigend – gemeinsam Fußball spielt und dabei womöglich sogar Kampfstimmung aufkommt, und ist es ohne Einordnung nicht zunächst einmal ein Dialog »Deutsche« und »Migranten« und nicht »Christen« und »Mus-lime«? Sollte man deswegen nicht praxistaugliche Vorschläge ma­chen, wie man religiöse Themen einbeziehen kann?
Im 4. Teil Akteure (= 23 %) werden in vier Beiträgen katholische, evangelische, muslimische und christlich-muslimische Akteure vorgestellt; daneben finden sich zwei Beiträge zum christlich-muslimischen Dialog in Österreich und in der Schweiz.
Die Beiträge 4.1. und 4.2. aus der Feder von Timo Güzelmansur und Martin Affolderbach über katholische und evangelische Akteure sind ausgezeichnet und mit dichter Information über spezielle Dialogorganisationen oder die entsprechenden Abteilungen von Kirchen, und zwar über eine große theologische Breite hinweg. Nur, dass die Deutsche Evangelische Allianz nur Dialog-kritisch sei (383), stimmt so sicher nicht, immerhin hat sie das vom selben Verfasser lobend erwähnte Dokument »Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt« (374 f.) mit seiner starken Betonung auch der Notwendigkeit des Dialogs mit erarbeitet und unterzeichnet.
Dagegen ist der Beitrag »4.3. Muslimische Akteure« leider nicht genauso aufgebaut, sondern stellt zu mehr als der Hälfte die islamischen Verbände und Organisationen vor, ohne direkten Bezug zum Thema Dialog. Die Darstellung und Verteidigung der IGMG (»Milli Görus«) (399–402) erwähnt dann nur am Ende, dass die IGMG keine mit dem Dialog beauftragten Personen hat – man solle sich an die Presseabteilung wenden. Auch wird nicht erläutert, inwieweit Aktivitäten wie der »Tag der offenen Moschee« denn Dialogveranstaltungen sind, werden dazu doch in der Regel keine Gäste als Dialogpartner, sondern nur als Zuhörer eingeladen.
Auch wenn man sich angesichts der unterschiedlichen Qualität der Beiträge eine stärkere Hand der Herausgeber gewünscht hätte, ist das Handbuch die derzeit thematisch breiteste Darstellung des christlich-islamischen Dialogs, die auch erfahrenen Dialogteilnehmern viele Anregungen zu geben vermag.