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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

20-21

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Koch, Anne

Titel/Untertitel:

Religionsökonomie. Eine Einführung.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2014. 224 S. m. 4 Abb. u. 4 Tab. = Religionswissenschaft heute, 10. Kart. EUR 34,99. ISBN 978-3-17-026234-8.

Rezensent:

Birger P. Priddat

Die Religionsökonomie ist zwar keine neue Wissenschaft, aber in Deutschland noch wenig bekannt. Anne Koch von der Ludwig-Ma­ximilians-Universität München hat in ihrer verdienstvollen Einführung in die Religionsökonomie das Spektrum geöffnet: von den soziologischen Konzeptionen Bourdieus und Peter Bergers zu Lawrence R. Iannaccone, der den rational choice-Ansatz der Ökonomik stark macht (neben vielen anderen in diesem Feld). Man kann das Buch in der Gewissheit empfehlen, dass es einen umfassenden Überblick über alle relevanten Konzepte, so different sie auch sein mögen, gibt.
Das Buch ist auf einem exzellenten Stand der neuesten Forschung – und nicht auf die ökonomischen Religionsinterpretationen festgelegt, die oft nur den Nutzen des Religiösen betonen, aber andere Aspekte vernachlässigen. Man kann die Breite der Darlegungen K.s nur bewundern, denn es ist erst einmal ungewöhnlich, die Religion ökonomisch zu betrachten. Doch erhellen sich viele Bezüge erst durch ökonomische bzw. psychologische oder wirtschaftssoziologische Modelle und Konzepte. Das Buch vermittelt den Eindruck, als sei die Religionsökonomie eine Experimentierstation der Ökonomie, um ein eigentlich imaginäres Objekt rational einzufangen. Dafür werden alle Mittel eingesetzt, nicht nur die standardökonomischen. Wenn schon nicht das Religiöse sui generis aufzuzeigen ist, so können doch seine kulturellen Dimensionen analytisch dargestellt werden.
Gewöhnliche Rationalitätskonzepte, die einen Großteil der Re­ligionsökonomie ausmachen, versagen hier. Das Problem liegt systematisch darin, dass ökonomische Akteure eben als ökonomische Akteure dargestellt werden, die den »Glauben« als Vorteilskategorie eingebaut bekommen. Die genaueren, darüber hinausgehenden Erklärungen, die z. B. Opfer, Demut, Stigma etc. einbeziehen, wandern in die Soziologie (die die Ökonomen dann aber als eigene Version ausgeben). Es ist interessant zu beobachten – das Buch gibt einen hervorragenden Überblick –, wie alle möglichen neuen Verhaltensweisen, Erwartungen und Interaktionen in die Ökonomie eingebaut werden, um sich dem Thema des Religiösen zu nähern, ohne aber das fundamentale Konzept einer ökonomischen Rationalität aufzugeben. Oft wandert die Erklärung in den Bereich des Ethischen (als ob das Ethische bereits etwas Religiöses sei). Im Grunde ist die Religionsökonomie eher eine eigene ökonomische Soziologie, mit dem gravierenden Nachteil, das eigentliche theologische Thema immer ausklammern zu müssen. Aber, muss man fast entschuldigend für die Ökonomen sagen, was sollen sie tun, wenn sie als Wissenschaftler eben das Problem umgehen müssen, nicht glauben zu können oder nicht zu wollen. Das Objekt: die religiositas, bleibt ihnen fremd. Rechnet man das ein, sind die Ansätze sehr erhellend: Einkreisung eines imaginären Objektes vom Rande der Rationalität her, ohne es zu treffen. Aus der Sicht einer Wissenschaft ist das der einzige Zugangsweg. Doch bleibt ein systematisches Problem: Wenn die Wissenschaft genau sein will, muss sie sich des Objektes versichern, es nicht umgehen. Letztlich ist es erstaunlich, wie die Ökonomie sich bemüht, das Imaginäre der religiositas in Nützlichkeitskategorien zu übersetzen. Oft haben wir es dann mit selbstdefinierten Substituten des Religiösen zu tun, denen man selber wieder »glauben« muss, ob sie das Thema treffen. Theologisch ist das eine Wüste, aber dennoch erhellend für die irdische Substruktur des Religiösen, was besonders erhellend ist, wenn es um finanzielle, organisatorische, institutionelle und andere Dimensionen geht. Bis hin zu Fragen des Wettbewerbs zwischen Religionen, Kirchen, Sekten etc.
So wenig die Religionsökonomie das sacrum des Religiösen zu verstehen vermag, so wichtig sind doch ihre verschiedenen Ansätze, die den profanen Umgang mit dem Religiösen als einer eigenen Wirklichkeit zu erklären versuchen. Das wird immer dort interessant, wo nicht das gewöhnliche ökonomische Rationalitätsschema über die Religionen gestülpt wird, sondern aus der absoluten Be­sonderheit des Themas neue Konzepte entstehen – wie z. B. in Bourdieus Feldtheorie des Religiösen. K. hat eines der besten Bü­cher vorgelegt, die man derzeit zum Thema lesen kann, weil es die Pluralität der Ansätze ausgezeichnet zur Darstellung bringt.