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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1447–1449

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Gerosa, Libero [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Staatskirchenrechtliche Körperschaften im Dienst an der Sendung der Katholischen Kirche in der Schweiz.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2014. 296 S. = Kirchenrechtliche Bibliothek, 16. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643-80180-7.

Rezensent:

Daniel Kosch

Im Gefolge einer bereits länger dauernden Diskussion um die Verträglichkeit der staatskirchenrechtlichen Strukturen in den Schweizer Kantonen mit der Ekklesiologie der römisch-katholischen Kirche führte die Schweizer Bischofskonferenz 2008 in Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl in Lugano eine Tagung zum Thema »Katholische Kirche und Staat in der Schweiz« durch (vgl. die Besprechung der von Libero Gerosa und Ludger Müller publizierten Tagungsakten in ThLZ 136 [2011], 1122 f.). Zur Weiterarbeit an jenen Themen, die von den Schweizer Bischöfen als besonders sensibel erachtet wurden, setzte sie eine Expertenkommission unter der Leitung von Libero Gerosa ein.
Die Kommission, die sich 20 Mal getroffen und 90 Stunden diskutiert hat (7 f.), wurde von der Schweizer Bischofskonferenz gebeten, ihre wichtigsten Ergebnisse in einem »Vademecum« zusammenzufassen (zugänglich unter: http://www.bischoefe.ch/dokumente/anordnungen/ vademecum sowie SJKR/ASDE 18 [2013], 317 ff.), das bei seiner Veröffentlichung im Sommer 2013 viel Staub aufwirbelte, weil es von manchen als Absage an das bestehende, demokratische System der öffentlich-rechtlich anerkannten und mit dem Steuerbezugsrecht ausgestatteten kirchlichen Körperschaften interpretiert wurde.
Erst einige Zeit nach dem Vademecum erschien 2014 der Band mit den Berichten der Fachgruppe zu den einzelnen Themen. Der Charakter der Publikation ist nicht ganz eindeutig. Das Geleitwort von Kardinal Francesco Coccopalmerio, Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, verleiht dem Buch eine offiziöse Note. Entsprechend ist es mehr als ein persönliches Urteil, wenn der Herausgeber festhält, der Arbeit der Fachkommission wie dem Vademecum liege »die Überzeugung zugrunde, dass das sog. schweizerische System der öffentlichen Körperschaften gut ist«, auch wenn es verbessert werden »kann und muss« (7). Andererseits ist das Va­demecum, dessen Empfehlungen die Schweizer Bischofskonferenz »sich zu eigen gemacht und zur Umsetzung empfohlen« hat, nicht enthalten – womit das relevanteste und verbindlichste Dokument des ganzen Prozesses fehlt. Zudem veröffentlichen die Mitglieder der Fachkommission ihre Beiträge zur »wissenschaftlichen Publikation« (Coccopalmerio, 9) im eigenen Namen. Diese enthalten allerdings zum Teil Wertungen, die kaum »Wissenschaftlichkeit« beanspruchen können, so z. B. von »ekklesiologisch(em) Unsinn« die Rede ist (Gerosa, 16).
Das erste Thema, mit dem sich die Publikation befasst, ist die »Terminologie des Schweizerischen Staatskirchenrechts« (11 ff.). Stein des Anstoßes sind die »unpassenden Ausdrücke« (25), die in der staatlichen Gesetzgebung und auch im Recht der Körperschaften verwendet werden. »Unpassend« sind sie aus Sicht der Autoren deshalb, weil sie vom kanonischen Recht in einem anderen Sinne verwendet würden (z. B. »Synode« als Bezeichnung für das Parlament der kantonalen kirchlichen Körperschaft) oder weil sie den Eindruck erweckten, die Körperschaften wollten »selbst Kirche sein« und ihre Vertreter beanspruchten, »die Kirche« zu vertreten, während die Funktion der Körperschaften nach Auffassung von Libero Gerosa nur »von finanziell-administrativer Natur« (14) sei und diese »neben der Religionsgemeinschaft« bestünden (19). Beide Voraussetzungen sind ekklesiologisch, historisch und juristisch fragwürdig – entsprechend fielen auch die Reaktionen auf den kaum realisierbaren Vorschlag einer terminologischen Säuberung der Rechtsgrundlagen meist kritisch aus, auch wenn anerkannt wird, dass es Informations- und Klärungsbedarf bezüglich der Zu­ständigkeiten der Körperschaften und ihrer Grenzen gibt, will man »Missbräuche und Polarisierungen« sowie »funktionelle und strukturelle Schwierigkeiten« vermeiden (21).
Ein zweiter Themenkreis betrifft die (Wieder-)Wahl der Pfarrer durch die Kirchgemeinden (49 ff.). Mit den entsprechenden Regelungen greife das Staatskirchenrecht in den Zuständigkeitsbereich des Bischofs ein – für Yvo Hangartner ein »schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit« (98). Martin Grichting skizziert eine mögliche Lösung: Die Ernennung des Pfarrers durch den Diözesanbischof wird auf sechs Jahre »befristet«, »im Hinblick auf eine allfällige Er­neuerung der Ernennung« erhalten die staatskirchenrechtlichen Exekutiven die Möglichkeit, »schriftlich und materiell begründet bei ihm die Prüfung der Versetzung ihres Pfarrers zu beantragen« (105). In der Folge einer solchen Regelung könne dann die Wiederwahl (die nicht alle Kantone kennen) aus der Gesetzgebung entfernt werden. Damit würde allerdings die Kirchgemeinde in ihrer Rolle als Arbeitgeberin erheblich eingeschränkt: Sie könnte das Arbeitsverhältnis nur noch mit Zustimmung des Bischofs auflösen.
Ein dritter Themenkomplex ist der kanonistische Status der staatskirchenrechtlichen Einrichtungen (119 ff.). Martin Grichting zeigt auf, dass die Kirchensteuern »gemäss der Legaldefinition von c. 1257 § 1 nicht über die Qualität, Kirchenvermögen zu sein« verfügen (131). Daraus leitet er ab, dass es »für die Gläubigen keinen kirchenrechtlich begründbaren Zwang geben (kann), Kirchensteuern zu bezahlen« (135). Zudem weist er darauf hin, dass andere Rechtsstaaten der Kirche die Möglichkeit geben, »in ihren vom eigenen Selbstverständnis geprägten Strukturen finanzielle Mittel zu verwalten, die mit staatlicher Hilfe erhoben worden sind. In der Schweiz fehlt dazu derzeit der politische Wille.« (Ebd.) Einen anderen Akzent setzt Claudius Luterbacher, der in c. 1274 einen Anknüpfungspunkt für einen »kirchenrechtlichen Status« der staatskirchenrechtlichen Körperschaften sieht. Damit strebt er nicht Trennung von Kirche und Körperschaft an, sondern ein Verständnis der Körperschaften als spezielle Einrichtungen in der Kirche.
Ein viertes Kapitel ist der »Stärkung der Zusammenarbeit zwischen dem Diözesanbischof und den Körperschaften« gewidmet (149 ff.). Vorgeschlagen wird der Abschluss von »schriftlichen Abmachungen« (163). Zwar werden die Begriffe »Vertrag« und »Vereinbarung« ausdrücklich vermieden (152–156) und der wenig verbindliche Begriff »Abmachung« wird favorisiert (156). Aber es handelt sich – wie auch die Übersetzungsvorschläge (Convention, Accordo) deutlich machen – um »Vereinbarungen« oder »Übereinkünfte«. Dieser Vorschlag ist zweifellos der konstruktivste Ansatz der Fachkommission für die erforderliche Weiterentwicklung des Miteinanders von kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Strukturen.
Der fünfte und letzte Teil befasst sich mit Fragen des kirchlichen Lebens im Rahmen des staatlichen Rechts (167 ff.). Ein Anhang mit ausführlichen Tabellen zu den rechtlichen Bestimmungen in den Kantonen rundet die Publikation ab.
Abschließend: Das Buch kann nur im Kontext der innerkatholischen schweizerischen Debatte verstanden werden. Angesichts der fundamentalen Herausforderungen betreffend das Verhältnis von Religionen, Staat und Gesellschaft lenkt seine binnenkirchliche Perspektive den Blick nicht auf die wirklich zukunftsentscheidenden Fragen. Auch von den Leistungen der staatskirchenrechtlichen Körperschaften im Blick auf eine Kirche, die sich aktiv in die schweizerische Gesellschaft einbringt, ist kaum die Rede. Es dominiert das Bestreben, die Körperschaften auf ihre Rolle als Finanzierer zu reduzieren. Dass die Angehörigen der Körperschaften getaufte Glieder des Volkes Gottes sind und ihre Behörden mit großem Einsatz für eine glaubwürdige Kirche eintreten, kommt nicht zur Sprache, was allerdings nicht den Autoren zur Last gelegt werden darf – die Schweizer Bischöfe, die ihren Auftrag umschrieben, wollten das nicht näher untersucht haben. Hoffentlich, weil sie darum wissen, und nicht, weil sie diesem Engagement mündiger Kirchenglieder misstrauen.