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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

890–892

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kundert, Lukas

Titel/Untertitel:

Die Opferung/Bindung Isaaks. 1: Gen 22, 1-19 im Alten Testament, im Frühjudentum und im Neuen Testament.
2: Gen 22,1-19 in frühen rabbinischen Texten.

Verlag:

1:XI, 333 S. Geb. DM 148,-.
2:X, 218 S. Geb. DM 98,-. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1998. gr.8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 78 u. 79. ISBN 3-7887-1668-1 u. 3-7887-1680-0.

Rezensent:

Dirk U. Rottzoll

Die Erzählung der Opferung/Bindung Isaaks hat seit jeher tiefe Spuren im theologischen Denken jüdischer und christlicher Gelehrter hinterlassen. Im Unterschied zu anderen Texten der Juden und Christen gemeinsamen hebräischen Bibel (Tanach) wurde sie seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelexegese jedoch nicht nur im Kontext der jeweils eigenen Religionsgemeinschaft betrachtet, sondern war beinahe von Anfang an ein Gegenstand der Diskussion zwischen jüdischen und christlichen Bibelwissenschaftlern. Dabei ging es freilich weniger um die im Tanach tradierte Fassung der Erzählung, sondern um ihre unterschiedliche Rezeption in post-tanachitischer Zeit. Hauptstreitpunkt war vor allem, ob die in christlichen Traditionen nachweisbare Sühnevorstellung im Kontext der Rezeption der Erzählung von der Opferung/Bindung Isaaks erst sekundär in entsprechende jüdische Traditionen Eingang fand oder in diesen als genuin anzusehen ist.

Im Kontext dieser Fragestellung ist K.s im Februar 1997 an der Uni Basel angenommene Dissertation als ein weiterer, um Klärung bemühter Beitrag zu betrachten. Daß sie in zwei Teilbänden erschien, hat hauptsächlich methodische Gründe. So begründet K. in der Einleitung des ersten Bandes seinen in ihm vorgenommenen Verzicht auf targumische und rabbinische Traditionen mit "in den siebziger Jahren formulierten methodologischen Einwänden gegen die Verwendbarkeit targumischer und rabbinischer Traditionen zur Erhellung neutestamentlicher Texte" (5). Konsequenterweise werden die rabbinischen - nicht jedoch die targumischen! - Traditionen in einem separaten Teilband diskutiert. Im einzelnen geht K. im ersten Band dabei folgendermaßen vor: Nach einem der Forschungsgeschichte gewidmeten ersten Kapitel (7-28), unterzieht er zunächst den masoretischen Text von Gen 22,1-19 einer Methodenanalyse (29-43) und wendet sich im dritten Kapitel der seiner Meinung nach ältesten Interpretation dieses Textes in der Septuaginta zu (44-82). Im vierten Kapitel (83-179) folgt eine Rezeptionsanalyse der entsprechenden Traditionen im Jubiläenbuch (83-90), den Qumrantexten (91-107), bei Philo von Alexandrien (107-163), bei Josephus (163-168), dem 4. Makkabäerbuch (169-172) und bei Pseudo-Philo (172-177). Das fünfte Kapitel (180-302) ist der Rezeption der zuvor dargestellten frühjüdischen Traditionen im sogenannten Neuen Testament gewidmet, wobei Texte aus dem Corpus Paulinum (180-206), der nichtpaulinischen Briefe (206-214), des Corpus Johanneum (214-278) und Mk 9,2-13 (278-298) Beachtung finden. Eine allgemeine Zusammenfassung (303-307), ein Literaturverzeichnis (309-322) und diverse Register (323-334) bilden den üblichen Abschluß des ersten Bandes. - Im zweiten Band werden nach einer kurzen Einleitung (1-4) zunächst die entsprechenden Isaak-Traditionen in der Mechilta de R. Jishmael (5-19) sowie im palästinischen (20-42) und babylonischen Talmud (43-65) dargestellt. Das Gros der Ausführungen geht dann der Rezeption im Midrasch Bereschit Rabba (66-197) nach, bevor auch dieser Band mit einer allgemeinen Zusammenfassung (198-201), einem Literaturverzeichnis (203-208) sowie einem Sach-/Namens- und Stellenregister (209-218) beschlossen wird.

Der Überblick über das bearbeitete Textmaterial zeigt, daß K. eine immense Stoffmenge in unterschiedlichen Sprachen zu bewältigen hatte. Dieses übersichtlich darzustellen und dem Leser die Zusammenhänge des dargebotenen Materials zu erhellen, ist K. allerdings nur partiell gelungen. So wird im dritten und vierten Kapitel des ersten Bandes, die fast die Hälfte des Buchs umfassen (44-179), eine frühjüdische Texttradition nach der anderen exegetisiert, ohne daß etwaige Zusammenhänge zwischen den einzelnen Texten deutlich werden. Diese Konzeptlosigkeit ändert sich erst im abschließenden fünften Kapitel des ersten Bandes, wo auf einmal schlagartig deutlich wird, daß sämtliche bis dahin diskutierten Probleme und Texte lediglich dazu dienten, bestimmte Traditionen innerhalb des sogenannten Neuen Testaments zu erhellen. Der zweite Band zeigt dann im Ganzen wieder dieselben methodischen Schwachpunkte die das dritte und vierte Kapitel des ersten Bandes, da er im wesentlichen als eine - wenn auch hilfreiche - Materialsammlung zu betrachten ist.

Auf einige besonders auffällige Punkte sei kritisch hingewiesen: Im ersten Kapitel des ersten Bandes vermißt man im Rahmen der Forschungsgeschichte vor allem eine Auseinandersetzung mit dem Werk von A. Agus (The Binding of Isaac and Messiah. Law, Martyrdom and Deliverance in Early Rabbinic Religiosity, New York 1988); da dieses selbst im Literaturverzeichnis keine Erwähnung findet, scheint K. von ihm nicht einmal Kenntnis genommen zu haben. Das zweite Kapitel des ersten Bandes hat im Aufbau den Flair einer exegetischen Proseminararbeit; zudem scheint die auf S. 29 und 41 f. gebotene Übersetzung des Ausdrucks JJ jeraeh aus Gen 22,14 mit "Gott versorgt/sorgt für" weit hergeholt. Daß K. im dritten Kapitel des ersten Bandes die zentrale These seines Buchs auf S. 58 kleingedruckt in einem Exkurs anführt, ist zumindest unglücklich ("Dass es in den Isaak-Traditionen u. a. darum ging, Isaak als einen Typos des Märtyrers zu beschreiben, und daß es sich zudem um Traditionen handelt, die zur Zeit Jesu verbreitet waren, soll in dieser Studie erarbeitet werden").

Die hebräischen Textwiedergaben der Qumrantexte im vierten Kapitel des ersten Bandes weisen einige Tippfehler auf (vgl. 91 u. 100); zudem baut K. auf Texte von sehr geringem Umfang und unklarer inhaltlicher Aussage teilweise riesige Hypothesengebäude, die einer dezidierten Analyse oftmals kaum standhalten dürften; selbes gilt für seine auf S. 100f. vorgetragene Interpretation eines sekundär ergänzten (!) Begriffs. Wie K. im selben Kapitel im Zusammenhang der Isaak-Traditionen bei Philo von Alexandrien sagen kann: "Diese Interpretation Raschis scheint jedoch mehr durch diese Philo-Stelle als von den talmudischen Traditionen beeinflußt zu sein" (123) ist gänzlich unklar! Meint K. tatsächlich, Raschi habe die Werke Philos gekannt? Überdies ist unverständlich, warum K. im Kontext seiner Erörterungen der Isaak-Traditionen bei Josephus (163ff.) gänzlich auf die Wiedergabe entsprechender Primärtexte verzichtet, da gerade sie eine Hauptstütze für seine auf S. 58 erwähnte These bilden. Bezüglich des zweiten Bandes sei angemerkt, daß K. an einer Reihe von Stellen die hebräischen Texte nur sehr unzureichend übersetzt hat. So heißt es etwa auf S. 118, Z. 53 f.: "Gleich der Frau, die mit Spinnen reich wurde. Sie sprach: Weil ich durch diese Fertigkeit reich geworden bin, gebe ich sie nie mehr von meiner Hand". Wörtlich übersetzt bedeutet der zugrundeliegende hebräische Text aber: "(Das ist vergleichbar) zu einer Frau, die reich geworden war von ihrem Mühlstein (mpljh.h, nicht: mplkh). Sie sagte: Weil ich reich wurde von diesem Mühlstein (lies: mplh. statt mpld !), (werde) ich diesen nie mehr aus meiner Hand geben".

Fazit: Obwohl das Werk von K. über zahlreiche Schwächen verfügt, die hauptsächlich von der verarbeiteten Stoffmenge herrühren dürften, kann seine Arbeit als Materialsammlung für eine erste Orientierung zum Thema durchaus nützlich sein.